"Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden"

Anne Marie Freybourg hat einen Band über die Inszenierung des Künstlers herausgegeben

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Künstler ist die zentrale mythische Figur des Abendlandes. Seit Jahrtausenden wird er in immer neuer Gestalt verehrt: als Prometheus, Prophet, Genie oder Übermensch." Seit dem Beginn des frühen 20. Jahrhunderts wurde diese Perspektive auf den Künstler vor allem durch die Avantegarde - Bewegung in Frage gestellt, gar angegriffen. Eine Kritik, die sich in den 1960er-Jahren noch verstärkte und die zur Demontierung des heroischen Künstlerbildes führte. Hierbei geriet, angeregt durch Roland Barthes "Tod des Autors", auch der am autonomen Werk orientierte Kunstbegriff ins Wanken: "Mal humorvoll, mal sarkastisch, mal destruktiv wird die Position des Künstlers oder der Künstlerin im Kunstbetrieb reflektiert, und Kategorien wie Authentizität und Subjektivität hinterfragt. Die verschiedenen Ansätze zur Dekonstruktion des Künstlermythos in der Kunst seit 1960 führen die Ambivalenz von altbekannten Künstlerrollen zwischen Auflösung und Bestätigung vor und stellen die gesellschaftlichen Erwartungen an die Figur des Künstlers zur Diskussion."

Dieses große Interesse an der Person des Kunstschaffenden hat bis heute nicht abgenommen. Inzwischen kommt der Rollenfigur des Künstlers vor allem ein symbolischer Wert zu. Der Künstler verkörpert unsere Träume von einer nicht gesellschaftlich bestimmten Existenz. Er bildet eine Folie für unsere Spiegelungen, denn Künstler sind ideale Projektionsfiguren. "Wir brauchen sie vor allem als Entlastung vom eigenen sozialen Rollendruck und wir benutzen sie, um an ihnen soziale Freiräume und Differenzen zu erkunden."

Dass die Inszenierung des Künstlers durchaus ein aktuelles Thema ist, haben auch die Staatlichen Museen zu Berlin erkannt. Gerade ist die Ausstellung "Kult des Künstlers. Dekonstruktion des Künstlermythos" im Hamburger Bahnhof ausgelaufen. Anhand bekannter Arbeiten von Marcel Duchamp, Martin Kippenberger, Paul McCarthy, Bruce Nauman, Cindy Sherman und anderen wurden hier Fragen nach dem Status des Künstlers, seinen Arbeitsräumen und -weisen, seinen Auszeichnungsmöglichkeiten, seiner Position im Kunstbetrieb ebenso wie in der Gesellschaft in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt.

Kunstinteressierten, die die Ausstellung verpasst haben, sei an dieser Stelle "Die Inszenierung des Künstlers" von Anne Marie Freybourg empfohlen, das sich in 15 Beiträgen verschiedener Autoren der Frage nach der Inszenierung und Selbstinszenierung zeitgenössischer Künstler widmet. Welches Image kreieren sie für sich? Spielen sie mit den Medien? Oder verweigern sie sich diesen? Auf welche Weise erfüllen die Künstler die an sie gestellten Rollenerwartungen? Als Genie, Außenseiter oder Star? Reagieren sie adäquat und zeitgemäß auf die Erwartungen, die von der Gesellschaft an sie gestellt werden? Welche Mittel benutzen sie? Trägt der Markt sie oder lässt er sie fallen?

Wie auch immer die Antworten ausfallen - der Frage nach der Positionierung der eigenen Person kann kein Künstler mehr aus dem Weg gehen. "Der Kunstmarkt fordert es. Längst müssen zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen für sich passgenaue Rollen zwischen Selbstinszenierung und Selbstverwirklichung, zwischen Kunst und Kommerzialisierung finden." So benutzt Bruce Nauman beispielsweise den Körper als künstlerisches Darstellungsmittel und wirft in seinen Werken die Frage nach der Rolle der Möglichkeiten des Künstlers in Bezug auf körperbezogene Selbsterfahrung auf. Dabei gelingt es ihm mittels seiner Selbstdarstellung eine gewisse Zurückhaltung der eigenen Person zu erzeugen. Am Beispiel seiner "Clown"-Kunst zeigt sich besonders deutlich, wie sehr Nauman hinter oder in seinem Werk verschwindet und sich so einer Definition von Individualität verweigert.

Einen völlig anderen Weg wählte der 1997 verstorbene Martin Kippenberger. Der "konzeptuelle Meta-Künstler", "Durchlauferhitzer und Katalysator" hat seine eigene Person früh als Markenware inszeniert und in allen Facetten möglicher Künstlerrollen exzessiv zelebriert. Die Strategien des Kunstbetriebes durchschauend sorgte er für die publizistische Einbettung seines Werkes. "Kippenberger war ein Künstler in der Revolte, ein Zyniker und Moralist, der die Gleichsetzung von Kunst und Leben betrieb."

Auch Sophie Calle gelingt die Selbstinszenierung, die französische Künstlerin wird "trotz aller schwierigen Einschätzbarkeit für ihr spezifisches Spiel zwischen Fakten und Fiktionen, zwischen Authentizität und Phantasma geschätzt." Unabhängig davon, um welche Arbeiten es sich bei ihr handelt, sie stehen nahezu alle unter dem Vorzeichen des "Ich". Calles Arbeiten suggerieren uns, dass alles, was wir sehen, auf echten Erlebnissen der Künstlerin basiert. "Im Grunde besteht das Werk der Sophie Calle aus zwei Facetten: Den Foto-Text-Installationen, manchmal auch Objekt-Text-Installationen, und der Kunstfigur, die diese Installationen als autobiographisch authentizifiert."

Das Beispiel Jonathan Meeses hingegen ist die Fallstudie eines Künstlers, der keine Kunst mehr herstellen muss. Seine Kunst ist hinter der Meese-Maschinerie vollkommen verschwunden. Das Buch zeigt anhand weiterer Beispiele, darunter auch Andy Warhol, Sigmar Polke, Rebecca Horn, Anselm Kiefer, Gerhard Richter, Christoph Schlingensief, Martin Liebscher, Monica Bonvicini und Neo Rauch, nicht nur, wie sich die Inszenierung von den 1970er-Jahren bis heute gesteigert, verändert und neu definiert hat, sondern auch, dass zwischen Ironie und Idealisierung vielfältige Strategien der Selbstinszenierung möglich sind. Eingängig geschrieben und auf kunsthistorischem Fundament aufgebaut ist "Die Inszenierung des Künstlers" ein Buch für ein breites kunst- und kulturinteressiertes Publikum.


Titelbild

Anne Marie Freybourg (Hg.): Die Inszenierung des Künstlers.
Jovis Verlag, Berlin 2008.
112 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783868590319

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