Göttliche Science Fiction

Charles Martig und Daria Pezzoli-Olgiati lassen die AutorInnen eines Sammelbandes dem Religiösen im Outer Space des Science-Fiction-Films nachspüren

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer wieder einmal neigen jüngere AutorInnen dazu, ihre Beiträge für Sammelbände zu überladen, haben sie doch so viel zu sagen. Eine immerhin verständliche Schwachheit, der auch Sofia Syö mit ihrem Aufsatz über "Die Präsenz des Weiblichen in Science-Fiction-Mythen" erliegt. Will sie doch nicht nur das Verhältnis zwischen Gender und Mythologie in verschiedenen Science-Fiction-Filmen der letzten Jahre (vornehmlich in der "Alien"-Quadrologie) und Filme, in denen "Frauenkörper [...] den status quo in Frage stellen", untersuchen, sondern überhaupt "mythologische Themen" in den Blick nehmen. Darüber hinaus konzentriert sich ihr Interesse auf die Frage, in welchem Maße weibliche Figuren in den Filmen "religiöse Führungsaufgaben" übernehmen dürfen und dann noch ganz allgemein auf den Zusammenhang von Religion, Macht und Gender. Doch all das genügt der Autorin immer noch nicht. Vielmehr steht eine weitere Frage im Mittelpunkt ihres Beitrags: "[W]ie und in welchem Ausmaß das SF-Genre unsere Vorstellungen von Retterfiguren verändert". Vor allem aber versuche ihr Text "klarzumachen", dass Science Fiction "ein Genre mit der eindeutigen Fähigkeit zur Herausforderung" ist.

Kein geringes Programm für einen Text von gerade mal zehn Seiten. Entsprechend oberflächlich fallen denn auch Syös Ausführungen aus, die oft kaum über Hinweise auf Ergebnisse vorgängiger Forschungen hinausgehen und frei von bahnbrechenden Thesen sind; nicht aber frei von eigenartigen Zuordnungen. Etwa, wenn Syö "Buffy The Vampire Slayer" zu den "SF-Serien" rechnet. Und eine reduktionistischere Aussage als diejenige, dass die namensstiftende Protagonistin Buffy und Max, die zentrale Protagonistin der Serie "Dark Angel", "in einer Episode nach der anderen [...] gegen die Mächte der Finsternis" kämpfen, ist wohl kaum denkbar. Doch nicht nur Syö, auch Christian Wessely scheint die Serie "Buffy" mit nur einem Auge verfolgt zu haben. Zieht er in seinem Beitrag über "[d]ie Faszination alternativer Game-Welten" doch ausgerechnet die Serie um die Vampirjägerin als Beispiel für "Utopien" mit "klaren Positionierungen von Gut und Böse" heran.

Nachzulesen sind beide Texte in dem von Charles Martig und Daria Pezzoli-Olgiati herausgegebenen und auf die 2007 abgehaltene Jahrestagung der "Internationalen Forschungsgruppe Film und Theologie" zurückgehenden Band "Outer Space. Reisen in Gegenwelten". Da er im Rahmen einer gemeinsamen Schriftenreihe der Internationalen Forschungsgruppe "Film und Theologie" und der "Katholischen Akademie Schwerte" erschienen ist, überrascht es nicht, dass hier cineastische mit religiösen beziehungsweise theologischen Fragen verknüpft werden. Wie die HerausgeberInnen betonen, möchte der Band zur "Vertiefung" der "Schnittstellen" zwischen Religion und Science-Fiction(-Film) beitragen.

In den drei Rubriken, denen die Aufätze zugeordnet sind, werden zunächst "Welten und Gegenwelten in religionsgeschichtlicher Perspektive" in den Blick genommen und Mythen, Bilder und Konzepte beleuchtet, "die aus vergleichender Sicht retrospektiv als Vorreiter der SF gelesen werden können". Die in der zweiten Rubrik vertretenen AutorInnen "genreanalytische Ansätze", die auf die Science Fiction als filmisches Genre fokussieren, die der dritten Abteilung untersuchen "ausgewählte Filme und Motive" mithilfe "theologischer Grundmethoden".

Eröffnet wird der Band von Pierre Bühlers "einführende[r] Betrachtung" über "Welt und Gegenwelt in hermeneutischer Perspektive". Weitere Beiträge schlagen den Bogen "von der Science Fiction zu antiken religiösen Traditionen" (Daria Pezzoli-Olgiati), gehen "Welten und Gegenwelten im Mittelalter" nach (Theresia Heimerl) oder untersuchen "die Faszination der Gegenwelt im Fantasy-Klassiker 'Der Herr der Ringe'" (Peter Hasenberg). Simon Spiegel bietet ein "stark gekürzte Version einiger Kapitel" seines Buches "über die Poetik des Science-Fiction-Films" und mit Michael Steiger und Marie-Thérèse Mäder wenden sich gleich zwei AutorInnen David Cronenbergs Film "eXistenZ - Du bist das Spiel" zu, wobei die Analyse letzterer wesentlich gründlicher ausfällt. Charles Martig unterzieht hingegen die "Science Fiction Ikone" "Blade Runner" (1982) einer "religöse[n] Lesart". Im Zentrum des Films stehen laut Martig "Fragen der christlichen Anthropologie", wobei er eine Gotteskritik impliziere, "die sich aus der Form des Blickes und der religiösen Überhöhung von Gewalt" erschließen lasse. Angeregt durch den SF-Roman "Framstag Sam" stellt Anna-Katharina Höpfinger die rhetorische Frage, "was, wenn Science Fiction verboten würde?" Der erste Teil ihres Beitrags konzentriert sich auf "mögliche[...] Beeinflussungen der SF-Gegenwelten durch den historischen Kontext". Anhand zweier "sehr unterschiedlicher Quellen" - Isaac Asimovs "Foundation"-Trilogie und Ursula K. LeGuins "The Left Hand of Darkness" macht sie sodann deutlich, wie sich Gegenwelten der Science Fiction "von den Alltagswelten unterscheide[n]" können. Abschließend zeigt sie, wie einige Gegenwelten "die Alltagswelt prägen".

Am lesenswertesten dürfte aber wohl Werner Biedermanns "Blick in die Filmgeschichte" sein. In seinem insbesondere hinsichtlich der ersten Science-Fiction-Filme sehr informativen Beitrag erinnert er an "einige eigentümliche und manchmal zu Unrecht vergessene" cineastische SF-Werke. Dabei korrigiert er etwa einen Irrtum von dem zu behaupten, er sei weit verbreitet, eine glatte Untertreibung wäre. Er besagt, George Méliès' "La Lune À un Mètre" von 1898 sei der erste je gedrehte SF-Film. Biedermann hat nun entdeckt, dass die Filmgeschichte des Genres schon drei Jahre zuvor mit Louis Lumières nur einminütigem Film "La Charcuterie Mécanique" begann, der eine fiktive Maschine vorstellt, in die Tiere hineingetrieben werden, während am anderen Ende fertige Schinken und Würste herausgekommen.

Nicht weniger interessant sind Biedermanns Hinweise auf frühe Zukunftsfilme, in denen Geschlechterverhältnisse thematisiert werden. So entwarf Carl Laemmle in dem 1914 entstandenen, nur zehn Minuten langen Streifen "In the Year 2014" eine "provokativ[e] [...] gesellschaftliche Vision", in der Frauen hundert Jahre nach Entstehung des Films nicht nur das seinerzeit heiß umkämpfte Wahlrecht erstritten haben, sondern zudem die Wirtschaft führen und "alle politischen Ämter" innehaben, während Männer nur "in untergeordneten Tätigkeitsbereichen" arbeiten.

Biedermann erkennt in dem Film eine "Paraphrase der Pathé-Produktion 'One Hundred Years After'" von 1911, die schon drei Jahre zuvor "ein ähnliches Gesellschaftsmodell" entworfen habe. In diesem Film eines unbekannten Regisseurs werden die Männer sogar in Röcke gekleidet. In Umkehrung der Verhältnisse zu Zeiten der Auseinandersetzung um das Frauenstimmrecht, ringen nun Männer darum wählen zu dürfen, können allerdings nur auf "heimlichen Versammlungen" über ihr Anliegen diskutieren. Biedermann zufolge präsentieren sich beide Filme zwar als "albern-paradoxe Farcen", doch spiegelten sie "die noch latenten gesellschaftlichen Umbrüche und absehbaren Veränderungen im Rollenverständnis" wieder. Somit entsprechen sie allerdings gar nicht einem von Biedermann genannten Auswahlkriterium, dem gemäß er "eher marktuntaugliche Filme, die zum Zeitpunkt ihrer Herstellung die populären Themen ihrer Zeit ignorierten", vorzustellen gedachte.

Zwar ist Biedermanns Beitrag ebenso informativ wie unterhaltend, sieht man jedoch von seinem Aufsatz sowie den Texten von Spiegel und Höpflinger ab, dürfte der vorliegende Band wohl eher von theologischem als von filmwissenschaftlichem Interesse sein.


Kein Bild

Charles Martig / Daria Pezzoli-Olgiati (Hg.): Outer Space. Reisen in Gegenwelten.
Schüren Verlag, Marburg 2008.
290 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783894726324

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch