Kurpfuscher

Plagiate nehmen in Studium und Wissenschaft zu: Stefan Weber klagt zurecht an und jammert zu unrecht

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Plagiate in Studium und Wissenschaft zunehmen, ist kein Geheimnis mehr. Verantwortlich gemacht wird dafür zurecht die schnelle Verfügbarkeit von Texten im Internet, sei es als Dokumentation von Forschungsergebnissen, sei es durch verschiedene Hausaufgaben- oder Seminararbeitssites, bei denen man sich für wenig Geld bedienen kann. Seminar- und Abschlussarbeiten, die wortgleich aus dem Netz übernommen werden, sind - trotz eidesstattlicher Versicherung - allzu häufig geworden. Aber auch Forschungsarbeiten werden gewissenlos und nahezu ungefährdet abgekupfert - und zudem noch außerordentlich gut bewertet, meist ohne Konsequenzen für die Fälscher. Denn in der Regel können sie davon ausgehen, dass ihre Plagiate unerkannt bleiben. Die Forschung in beinahe jedem Bereich ist mittlerweile so unübersichtlich geworden, dass kaum noch jemand einen wirklichen Überblick selbst über seine Spezialthemen hat. Gerade im Graubereich von Seminar- und Abschlussarbeiten kann so viel gepfuscht werden, ohne dass jemand nur ahnt, es könne hier nicht mit rechten Dingen zugehen.

Allerdings sind die Möglichkeiten, Plagiate zu entdecken, nicht allzu gut: Wenn nicht deutliche sprachliche Schwankungen und ein irritierend professionell auftretender Sprachgestus (vulgo Worthülse) auf fremde, nicht nachgewiesene Quellen verweisen, dann hilft nur noch eine systematische und automatisierte Prüfung von Arbeiten durch eine spezielle Software, die elektronisch eingereichte Arbeiten checkt. Denn auch das händische googeln von auffälligen Sätzen führt nicht immer zum Erfolg, und ist zudem extrem aufwändig. Eine solche Systematik würde gerade in den B.A.- und M.A.-Studiengängen den Betrieb untolerierbar aufhalten, oder würde eine Umgewichtung von der Hausarbeit zur Klausur herbeiführen, die zumindest den geistes- und literaturwissenschaftlichen Studiengängen fremd sind. Die Studie und die Abhandlung ist und bleibt die Königsdisziplin der Geisteswissenschaften, und das aus gutem Grund. In ihre Elemente, Verfahren und Formalia kompetent einzuführen, ist eine der wichtigsten Aufgaben des Studiums. Denn immerhin geht es nicht darum, Fachidioten heranzubilden, sondern Fachleute, die mit ihren Themen flexibel, souverän und kompetent umgehen. Mit Klausuren oder anderen kurzzeitigen Lernprüfungen ist das unmöglich.

Stefan Weber, dessen Studie zum von ihm so genannten "Google-Copy-Paste-Syndrom" nun (nach der Erstausgabe 2007) in erweiteter und überarbeiteter Ausgabe erschienen ist, nennt unangenehm hohe Zahlen. Bis zu fünfzig Prozent der Studierenden plagiieren eingestandenermaßen, je nach Befragung. Weber selbst gibt 67 Fälle, die er seit 2002 recherchiert hat, zur Kenntnis (wenngleich seine Dokumentation für Außenstehende nicht überprüft werden kann, da die Fälle anonymisiert sind). Unabhängig davon aber kann er darauf verweisen, dass der größte Teil der Studierenden die Übernahme fremder Textteile als Lösung für intellektuelle und zeitliche Engpässe akzeptiert und dass darüber hinaus die Anerkennungschancen für Plagiate höher sind als für eigene Arbeiten.

Dieser letzte Hinweis nun ist entscheidend, da er zeigt, dass im Sinne eines optimierten und erfolgsorientierten Studiums Plagiate notwendig erscheinen. Nur unter ihrer Zuhilfenahme kann der Notenerfolg verbessert werden, wie Weber wiederholt berichtet. Es gibt also rationale Gründe dafür, dass Studierende plagiieren. Die eingesetzten Ressourcen sind gering, der Erfolg hoch. Nimmt man den Zeitdruck hinzu, der in den neuen Studiengängen auf den Studierenden lastet, sind Plagiate nicht nur wahrscheinlich, sondern gerade zu vernünftig.

Dennoch ist der Schaden, den Plagiate verursachen, und zwar nicht zuletzt bei den Plagiatoren selbst, hoch: Zwar wird er vom kurzzeitigen Erfolg (gute Note, Weiterempfehlung für spätere Aufgaben und dergleichen) überdeckt. Aber mittelfristig wird die Ausbildungsaufgabe des Studiums radikal unterminiert. Denn Studierende sollen im Studium lernen, Abhandlungen zu schreiben. Der Studienerfolg drückt sich eben nicht nur in den einzelnen Noten und im Abschluss aus, sondern auch und vor allem in den qualitativen Fortschritten, die Studierende machen. Dazu gehören nicht nur die Wissensfortschritte, sondern auch und besonders die Fortschritte, die Studierende in der Erschließung und Verarbeitung von Themen und Materialien machen. Auch Wissenschaft muss gelernt werden, und der kurzfristige Erfolg, den Plagiate bringen, verhindert das. Plagiate in der Forschung schließlich behindern nicht nur die wissenschaftliche Diskussion, sondern zerstören auch die Karrieren der Plagiatoren dauerhaft. Denn irgendwann fallen sie auf und dann ist Schluss mit lustig. Letztlich also ist das Resultat der plagiatorischen Bemühungen negativ.

Dennoch agieren Studierende - womit hier Weber widersprochen sei -, wenn sie plagiieren, rational. Sie legen dabei einen spezifischen Pragmatismus an den Tag und versuchen das Verhältnis von Investition und Ertrag zu optimieren: Mit anderen Worten, wenn Plagiate funktionieren, wären sie dumm, wenn sie sie nicht nutzten. Dass die Kosten-Nutzenrechnung erweitert werden muss, ist eine Erkenntnis, zu der sie allerdings erst später kommen können und müssen.

Hinzu kommt ein weiterer Umstand: In der Tat ist es richtig, dass - wie Weber betont - die Recherchewege von Studierenden sich in den vergangenen Jahren radikal verändert haben. Elektronische Ressourcen sind in den Vordergrund gerückt, Google, Wikipedia und die OPACs der Bibliotheken sind an die Stelle von Referateorganen, Zettelkatalogen und Bibliografien getreten. Wikipedia-Einträge werden von Studierenden als verlässliche Informationsquellen angesehen und zitiert. Mit anderen Worten, ein elektronisches Konversationslexikon erhält durch die Studierenden den Status einer Forschungsarbeit.

Ist allein das schon unbestritten problematisch, verschärft sich das Problem in dem Moment, in dem Studierende beginnen, Texte und Textpassagen aus dem Netz zu übernehmen, ja ganze Arbeiten aus Fragmenten anderer Arbeiten zusammenzustellen und als eigene Leistung auszugeben. Dieses doppelte Moment von Reduktion der Quellen auf die Wiki-Bewegung und die unbeschwerte Übernahme von Textteilen aus anderen Texten nennt Weber schon im Titel seiner Polemik das "Google-Copy-Paste-Syndrom". Wikipedia gerät zur Generalressource, und ergoogelte Textlieferanten werden ohne Schuldbewusstsein ausgeschlachtet.

Mit dem Betrug, der damit einhergeht, ist es aber nicht genug. Indem solche Arbeiten in den Verwertungskreislauf eingespeist werden, wird ein Teufelskreis von Sekundärtexten initiiert, in dem nicht nur das Urheberrecht verletzt, sondern auch die selbständige wissenschaftliche Arbeit ad absurdum geführt wird. Das Plagiat speist sich aus Fragmenten anderer Plagiate, die aus anderen Plagiaten zusammengestellt werden, und so fort. Wer hier von einem Wissenskosmos spricht, hat definitiv das Problem nicht verstanden. Für die wissenschaftliche Arbeit ist das jedenfalls eine Katastrophe (um hier Weber zuzustimmen).

Allerdings weiß Weber dem Problem im Wesentlichen nicht anders als "mythisch" und moralisch zu begegnen. Seine Schilderung der konventionellen und "alten" Recherchewege ist bestenfalls als Geschichtsklitterung zu sehen. Keineswegs ist es für Studierende der alten Studiengänge normal und selbstverständlich gewesen, sich intensiv und selbständig in wissenschaftlichen Bibliotheken Themen zu erschließen. Germanistik-Studierende zum Beispiel mit einem (Studien-)Lesehorizont von vielleicht zehn bis zwanzig literarischen Werken waren und sind bis heute in der Lage, ihr Studium erfolgreich abzuschließen, vielleicht nicht brillant, aber erfolgreich. In anderen Fächern sieht das ähnlich aus. Dass Studierende mit diesem Profil sich im elektronischen Zeitalter verstärkt der neuen Medien bedienen, ist ihnen kaum zu verdenken. Alles andere wäre auch kontraproduktiv. Und ob schließlich etwa gute oder schlechte Lehrer aus ihnen werden, ist damit noch lange nicht gesagt. Aber auch für seriöse Studierende ist das Internet eine unverzichtbare Informationsquelle geworden, aber eben nicht als beliebig ausbeutbare und frei kopierbare Textquelle.

Dass es überhaupt dazu kommen konnte, dass die intellektuelle Eigenleistung derart an Attraktivität verliert, ist (auch hier stimme ich Weber zu) nicht zuletzt der Wissenschaft selbst zuzuschreiben, die die langsame und seriöse Forschung den schnellen Ergebnissen, der hohen Publikationsfrequenz und der Fähigkeit vorzieht, Drittmittel in großem Umfang anzuwerben. Was das angeht, haben Wissenschaft und Wissenschaftspolitik noch einigen Reflexions-, Diskussions- und Handlungsbedarf.

Allerdings ist weder die Empörung Webers über die plagiierenden Studierenden und Kollegen angebracht, noch seine Generalkritik an den neuen hippen Themen und der - sagen wir - pseudointellektuellen Wissenschaftssprache, die anscheinend aus der Antragsprosa in die Publikationen mäandert. Wenn der Wissenschaftsbetrieb so etwas belohnt, hat es die Wissenschaft auch nicht anders verdient (und neu ist das Phänomen auch nicht). Dass Plagiate nichts anderes seien als Ausdruck einer "Textkultur ohne Hirn", ist vielleicht beim ersten Lesen noch hinnehmbar, vielleicht sogar witzig, als Dauertrope aber wird das Ganze schnell schal, zumal die Ursachen für das Problem ja nicht primär beim Medium und den Studierenden lokalisiert sind, sondern bei der Struktur der Universitäten, der dort gebotenen Ausbildung und den Lehrenden. Das System erzeugt also das Problem selbst - und ihm fällt denkwürdigerweise nicht anderes als Moral oder Sanktionen ein.

Die achtzehn Ursachen, die Weber jedenfalls für das Plagiieren angibt, zeigen jedenfalls vor allem, dass er eine Art Untergang des Abendlandes vor Augen hat, angesichts kultureller Praktiken, die das Plagiat als Selbstverständlichkeit dastehen lassen: Lehrende, die selbst plagiieren, eine Praxis, die nicht unterscheidet zwischen dem Herunterladen von Klingeltönen und dem Stehlen von Texten, Universitäten, die eine Paraphrase nicht vom Plagiat unterscheiden können, mangelnde Kreativität von Lehrenden, der Evaluationsterror, die abnehmende Lesekompetenz von Studierenden oder ihre Faulheit (einiger, nicht aller).

Daneben stehen allerdings bedenkenswerte Vorwürfe wie Beratungs- und Betreuungsdefizite von Lehrenden oder fehlende Einführungskurse in wissenschaftliche Arbeitstechniken (im Übrigen unter Einschluss der Nutzung elektronischer Medien).

Die Mischung echter Defizite mit Generalvorwürfen, der Verweis auf den bedenklichen Leichtsinn bis zum Schindluder, der mit Plagiaten getrieben wird, Webers Tiraden gegen die SMS-Kultur und den sonstigen Sprachverfall sowie seine Negativbilanz der Neuen Medien insgesamt zeigen allerdings vor allem einen Autor, der mit der Universitäts- und Medienlandschaft alles andere als in Frieden lebt. Das ist verständlich für jeden, der in der Universität sozialisiert wurde und den Betrieb kennt. Über die Universität, die Kollegen und die Studierenden zu schimpfen (wie über die Neuen Medien und die Welt überhaupt), ist zwar eine nachvollziehbare Reaktion, aber am Ende - wenn nicht für den eigenen Gemütshaushalt - sinnvoll? Das ist zu bezweifeln. Allzu sehr erinnert Webers Text in diesen Passagen an die Generalverrisse, mit denen Horst-Albert Glaser in den achtziger Jahren die damalige Studentengeneration bedachte: Faul, inkompetent und unwillig waren Studierende angeblich ja schon damals.

Webers Generalabrechnung schießt denn auch weit übers Ziel hinaus und hat auch mit dem Problem, das eigentlich im Zentrum seines Interesses steht (die Plagiate und die Veränderung der Recherchekultur und der Verfall der Recherchekompetenz), wenig zu tun. Zumal seine Lösungsvorschläge beinahe ausschließlich moralischer Natur sind: Richtlinien guter wissenschaftlicher Arbeit, eidesstattliche Erklärungen, Warnblätter, die Thematisierung in Einführungsveranstaltungen, Ombudsstellen, Ethikkommissionen, kultureller Wandel und eine "Task Force Plagiate" hören sich insgesamt nach viel Aktionismus und wenig Effekt an. Das kombiniert mit einer harten Plagiat-Definition, für die Weber zu plädieren scheint, führt lediglich zu einer wenig förderlichen Aufheizung von Klima und Diskussion.

Die systematische Durchleuchtung von Seminararbeiten und schärfere Sanktionen stehen zwar auf den ersten Blick als wenigstens konkrete Maßnahmen besser da. Aber weder das eine noch das andere scheint wirklich realisierbar, aus unterschiedlichen Gründen. Bleibt also nur die erhöhte Aufmerksamkeit der Lehrenden und eine bessere Ausbildung der Studierenden, was wiederum ganz im Sinne Webers ist, wie anzunehmen ist.


Titelbild

Stefan Weber: Das Google-Copy-Paste-Syndrom. Wie Netzplagiate Ausbildung und Wissen gefährden.
Verlag Heinz Heise, Hannover 2008.
174 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783936931563

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