Heldenkitsch

"Eishauch", John Farrows überzogener Montreal-Krimi

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Krimi ist ein Held meist kein Held, sondern eher sozial unangepasst, hat durchschnittliche Fähigkeiten, eine leidliche Intelligenz und - wenn überhaupt etwas Außergewöhnliches - eine überdurchschnittliche Hartnäckigkeit, die meist zu den gewünschten Erkenntnisgewinnen und am Ende zum Mörder oder anderen Bösewichtern führt. Moralisch allzu integre Figuren, übermächtige Akteure oder Superhirne langweilen schnell, auch wenn ihre fast akrobatischen Aktivitäten stets mit großer Bewunderung betrachtet werden können. Aber, Hand aufs Herz: wer ist die interessantere Figur - Fizz, sein Kollege Hill oder jene amerikanische Variante, die derzeit unter dem Titel "The Mentalist" gehypt wird? Fizz und Hill bestechen im Vergleich zu ihrem amerikanischen Kollegen nicht mit mehr Hirn, und erst recht nicht mit mehr Schönheit, sondern mit mehr Mängeln. Smart und schön zu sein ist im direkten Vergleich kein Vorteil, sondern eher noch ein eklatanter Malus.

Dasselbe gilt auch für die Krimikommissare. Ian Rankins Rebus ist nicht nur sich selbst ein Rätsel, sondern er säuft wie ein Schotte nur saufen kann. Jo Nesbøs Harry Hole leidet an derselben Sucht. Der Anteil der alkoholkranken Polizeiermittler ist signifikant, was ihren Erfolgen keinen Abbruch tut, und auch nicht der Sympathie ihrer Leser.

Nun aber John Farrows Émile Cinq-Mars, der in Montreal nicht für Mord und Totschlag, sondern für Autodiebstahl zuständig ist, und trotzdem dauernd Mörder überführt. Farrows Absicht war es offensichtlich, im Meer des Bösen und Unzuverlässigen so etwas wie einen einsamen Wolf der Beständigkeit, Gerechtigkeit und des Guten zu etablieren, der ruhelos seine Kreise zieht, um am Ende dem an die Gurgel zu gehen, der es offensichtlich verdient hat. Cinq-Mars ist der Held, er ist berühmt, er ist nicht korrumpierbar, er ist gerecht, er ist erfolgreich und er ist so ziemlich die unsympathischste, unwahrscheinlichste und untauglichste Figur, die je einen Krimi bevölkert hat. Man nimmt ihm seine Schnoddrigkeit ebenso wenig ab wie seine Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit, er wirkt selbstherrlich und entsetzlich bigott. Natürlich, er jagt das Böse, und das Böse muss erledigt werden.

In diesem Fall geraten zwei Motorradgangs in Montreal aneinander und machen sich gegenseitig die Hölle heiß, indem sie sich gegenseitig in die Luft sprengen. Offensichtlich macht die eine Gang der anderen das Revier streitig, was einigermaßen verwunderlich ist, hat die Polizei doch vor Jahren die eine der beiden Gangs, die Angels, aus der Stadt verdrängt. Nun kehren die Angels zurück, mit größter Brutalität und offensichtlich mit einem neuen Kopf, den sie den Zaren nennen.

Der geheimnisvolle Russe entpuppt sich als nicht minder unsympathischer und extremer Gegenspieler zu Cinq-Mars. Da werden einem abtrünnigen Polizisten schon mal die Unterschenkel mit der Kreissäge abgetrennt und andere Grausamkeiten vorgeführt. Das Ganze nimmt in dem Moment an Fahrt auf, in dem Cinq-Mars einen seiner Informanten tot in einer leer geräumten Wohnung an einem Fleischerhaken aufgehängt vorfindet, mit einem Weihnachtsgruß an ihn persönlich. Natürlich droht niemand Cinq-Mars ungestraft, auch kein unbekannter russischer Krimineller mit KGB-Ausbildung und skrupelloser Brutalität. Und so geht der Kampf zwischen Gut und Böse in die große Runde, mit bekanntem Ausgang.

Kompliziert wird das Ganze noch dadurch, dass Cinq-Mars keine Ahnung hat, woher seine Informanten kommen. Hinter ihnen steckt ein großer Unbekannter: Jemand ruft Cinq-Mars an, gibt ihm einen Tipp, und Cinq-Mars braucht nur noch eine Verhaftung vorzunehmen.

Mit dem Kampf zwischen den beiden Gangs aber bekommt das Ganze eine andere Qualität. Mit einem Mal wird klar, dass noch ein weiterer Spieler dabei ist, der anscheinend Cinq-Mars als eine Art verlängerten Arm einsetzt, was dem selbstbewussten Polizisten, der auf dem Land lebt und mit seiner Frau Pferde hält (aha), nicht gefallen kann.

Dieser geheimnisvolle Dritte nun setzt neuerdings eine unbekannte junge Frau auf die Angels an, Cinq-Mars aber will dem Treiben ein Ende setzen und verhindern, dass noch ein Informant so brutal ums Leben kommt wie der junge Mann, den er um Weihnachten herum hat auffinden müssen.

Moralgetrieben, wie Cinq-Mars nun einmal ist, hätte ein weiteres Opfer keinen Sinn. Er, der über Jahre von solchen "Maulwürfen" gelebt und eine einigermaßen hinreichende Karriere gemacht hat, will deshalb die eingeschleuste junge Frau retten. Möchte jemand raten, ob ihm das gelingt? Ist wohl nicht nötig.

So kommt dann eins zum anderen: Die Hauptfigur ist ein Superheld im Polizistenamt, der Rest der Truppe, die den Roman bevölkert, dient vor allem dazu, den Helden brillant aussehen zu lassen. Alle Beteiligten bemühen sich um möglichst coole Sprüche und alle Proben bewältigt Cinq-Mars ohne Weiteres. Der Schrecken des organisierten Verbrechens in Montreal ist im Ganzen also vor allem ein Schrecken für einigermaßen anspruchsvolle Krimileser.


Titelbild

John Farrow: Eishauch. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Friederike Levin.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2009.
590 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783426635148

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