Übler Nachgeschmack

Luc Langs "1600 Bäuche" stillt den Lesehunger nicht

Von Andrea PaluchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Paluch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Luc Langs Buch "1600 Bäuche" ist 248 Seiten lang. Auf diesen wenigen Seiten berichtet der Autor von einer Gefängnisrevolte, stellt einen kleinbürgerlichen Massenmörder vor, zelebriert ein intertextuelles Shakespeare-Revival, kolportiert die gegen das Thatcher-Regime gerichtete Sozialkritik, persifliert die Mediengesellschaft und gibt einer sado-masochistischen Kochseele Ausdruck. Was Wunder, wenn solch ein spektakuläres Unternehmen ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerät. Luc Langs Buch gehört zu den meist- und bestbesprochenen Büchern des letzten Halbjahres. Und es ist tatsächlich auch kein schlechtes Buch. Aber es ist lange nicht so außergewöhnlich, wie es scheint. Denn ein Buch, das sich solche Ansprüche aufhalst, wird entweder das opus magnum eines Autors - oder bleibt hinter den Erwartungen zurück. Langs Werk will eindeutig zu viel sein. Was für ein großartiges Thema es hätte sein können, dass der Gefängniskoch Henry Blain mit seinen diabolischen Kochkünsten die Geschicke im Knast von Manchester steuert. Doch gerade, als der Ich-Erzähler den Leser bis zu dem Punkt geführt hat, wo das Motiv der 1600 Bäuche zum Leben erwacht, entpuppt sich Blain als psychopathischer Massenmörder, der in einer Gruft unter seinem Garten etliche Geliebte und einen Erpresser verbuddelt hat. Wenn er sie wenigstens zu Tode gefüttert hätte! Doch bis auf seine erste Frau, die er wie jeder x-beliebige Mörder vergiftete, wurden die anderen mit Kissen erstickt oder stranguliert. Über Henrys Erotomanie und seine Shakespeare-Leidenschaft versucht Lang die verschiedenen Erzählstränge miteinander zu verknüpfen. Doch gelingt ihm das nur bedingt. Wohlwollend kann man in der Stimme seiner Mutter, die immer mal wieder anruft und ihren Sohn zur Mannhaftigkeit ermahnt, den Geist von Hamlets Vater oder von Lady Macbeth erahnen, man kann in Blain Richard III. sehen, man kann auch in der Liebe zu der zunächst prüden, später lüsternen Louise eine Persiflage auf die Paarbildungen alter Dramen erkennen -doch alles bleibt beliebig. Lang verhandelt die Parallelen zu oberflächlich, auch wenn Blain die Werke Shakespeares in etlichen Ausgaben besitzt. Welches Motiv in der Literatur wäre denn bei Shakespeare noch nicht vorweggenommen? Einzig interessant bleibt der "Verbrecherroman", der aus der Sicht des Folterkochs geschrieben ist: Im Plauderton eines Spießbürgers teilt Blain seine Verbrechen mit und der Lesende dringt mit einigem Vergnügen in sein krankes Hirn ein. Dem Koch bereiten der Fünf-Uhr-Tee und die Unversehrtheit seiner Rabatten mehr Kopfschmerzen, als die Entjungferung und anschließende Hinrichtung einer Reporterin. Doch selbst hier bleiben Langs Trümpfe im Ärmel: Der Verbrecherroman wird beeinträchtigt von der Last, ein großes Buch sein zu wollen. Man legt es aus der Hand und fühlt sich wie der arbeitslos gewordene Blain. 248 Seiten - und man ist unbefriedigt.

Titelbild

Luc Lang: 1600 Bäuche. Aus d. Franz. v. Wilczek, Bernd.
Verlag Antje Kunstmann, München 1999.
250 S., 20,30 EUR.
ISBN-10: 3888972205

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