"Liebe Christa…"

In Therese Hörnigks Festschrift "Sich aussetzen. Das Wort ergreifen" gratulieren über 70 Künstler und Freunde Christa Wolf zu ihrem 80. Geburtstag

Von Daniele VecchiatoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniele Vecchiato

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Auf was für ein großes Werk kann sie nun zurückblicken. Ihre Arbeiten waren und sind erstaunlich wirksam. In Deutschland, in Ost und West, in der Welt wurde und wird sie verehrt, geliebt, gefeiert. Zu ihren Lesungen, ihren öffentlichen Auftritten drängt sich ihr Publikum, in völlig überfüllten Räumen lauschen ihre Leser wie gebannt, bemüht, kein einziges Wort der Autorin sich entgehen zu lassen. Stumm und ergriffen hängen sie an ihren Lippen, die Verehrung hat fast sakrale Züge. Doch wenn sie spricht und vorliest, wird es ganz bodenständig. Mit fast ungerührter Stimme sagt sie, was sie zu sagen hat, eine in sich ruhende und lebenserfahrene Frau. Sie spricht mit klaren und klärenden Worten über die Welt, über ihre Welt, über uns."

Die Frau, auf die diese zelebrierenden Zeilen von Christoph Hein hinweisen, ist Christa Wolf, mit Anna Seghers die bedeutendste weibliche Stimme der DDR-Literatur und eine der auch international bekanntesten und beliebtesten deutschen Autorinnen der Gegenwart. Bewundert von einer generationsübergreifenden Leserschaft, übersetzt in viele Sprachen, an den philologischen Fakultäten europäischer Universitäten geforscht, für ihr politisches Engagement geschätzt und oft und gerne wegen undurchsichtiger Aspekte ihrer Biografie attackiert, hat die Schriftstellerin am 18. März die Schwelle der 80 Jahre überschritten.

1929 im heute polnischen Landsberg an der Warthe geboren, hat Wolf die geschichtlichen und politischen Erschütterungen des vorigen Jahrhunderts - vom Nationalsozialismus bis zur SED-Diktatur - direkt miterleben können. Nach dem Germanistikstudium, der wissenschaftlichen Mitarbeit beim Deutschen Schriftstellerverband und der Tätigkeit als Verlagslektorin und Redakteurin in Berlin und Halle begann sie 1961 mit der Veröffentlichung ihrer "Moskauer Novelle" eine brillante Karriere als freie Schriftstellerin, die durch zahlreiche Auszeichnungen (unter anderen den Heinrich-Mann-Preis 1963, den Bremer Literaturpreis 1978 und den Georg-Büchner-Preis 1980) bald öffentliche Anerkennung gewann. Zu ihrem Opus zählen einige der wichtigsten Erzählbände der deutschen Literatur: "Der geteilte Himmel" (1963), "Nachdenken über Christa T." (1968), "Kassandra" (1983) und "Medea. Stimmen" (1996) sind zu Recht in den literarischen Kanon eingegangen.

In der von Therese Hörnigk herausgegebenen Festschrift "Sich aussetzen. Das Wort ergreifen" drücken nun mehr als 70 Dichter, Grafiker, Autoren und Literaturwissenschaftler ihre Hochachtung vor diesem künstlerischen Schaffen und ihre dankbare Bewunderung für diese unermüdlich leidenschaftliche Schriftstellerin aus. In Form von Gedichten und kurzen Prosatexten, Briefen und Zeichnungen, Ideogrammen und Ölskizzen übermitteln Künstler und Freunde ihre Grüße und Glückwünsche.

Neben den Hommagen von Peter Härtling, Friederike Mayröcker, Ingo Schulze, Bert Papenfuß und Uwe Timm erwähnen wir als besonders gelungene Beiträge das schöne mythologische Gedicht "Kalypso" von Durs Grünbein, die konkrete Poesie von Franz Mon und die schlicht verführerischen Zeichnungen von Nuria Quevedo. Interessante Rezeptionserfahrungen bieten Uwe Kolbe, dessen Leben durch die nicht immer mit Einverständnis gesegnete Lektüre der Werke von Christa Wolf begleitet wurde, und Volker Braun, der die gesellschaftskritische Größe der Erzählung "Leibhaftig" (2002) mit verbitterter Resignation in Bezug auf die Gegenwart hervorhebt. Kerstin Hensel spielt im Gedicht "Vielerorts überall" mit dem Titel der Günderrode-Erzählung "Kein Ort. Nirgends" (1979), während der hintersinnige lyrische Text "Was nicht bleibt" von Michael Wüstefeld, der den Band schließt, auf das nach der Wende erschienene Büchlein "Was bleibt" anspielt, das 1990 vehemente Debatten in den Feuilletons auslöste, die heute unter der viel zitierten Bezeichnung "deutsch-deutscher Literaturstreit" bekannt geworden sind.

Gerade als Schutz gegen das "deutsche [...] Zeitungsgeraschel" schenkt ihr Günter Grass, der 2006 nach dem (zu) späten Eingeständnis seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS allseits heftig kritisiert wurde, die Lithografie einer seiner vielen Agaven aus seinem Domizil in Portugal. Im Begleittext erklärt der Literaturnobelpreisträger, dass gerade der Schutzwall von wasserspeichernden Kakteen und Agaven einmal sein Haus gegen einen gefährlichen Brand abgeschirmt hat. So wünscht Grass seiner langjährigen Freundin und Kollegin, dass der gelegentliche Anblick der Lithografie sie "vor uns gewohnten, aber doch lästigen Zudringlichkeiten schützen" kann.


Titelbild

Therese Hörnigk (Hg.): Sich aussetzen. Das Wort ergreifen. Texte und Bilder zum 80. Geburtstag von Christa Wolf.
Wallstein Verlag, Göttingen 2009.
192 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783835304819

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