Keine Frage des Berufs

Barbara Kavemann und Heike Rabe geben einen Sammelband zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als das Prostitutionsgesetz vor einigen Jahren verabschiedet wurde, war es heftig umstritten. Und bis heute hat die Kontroverse nicht nachgelassen. Nun haben Barbara Kavemann und Heike Rabe einen Sammelband zum Thema herausgegeben. Dem Untertitel zufolge befassen sich die Aufsätze mit "aktuelle[n] Forschungsergebnisse[n]" zur "Umsetzung und Weiterentwicklung" des Gesetzes. Wie die Herausgeberinnen im Vorwort darlegen, bietet der Band ein "interdisziplinäres Spektrum fachlicher Beiträge" mit "Forschungsergebnisse[n] und Analysen aus dem In- und Ausland" sowie "Erfahrungsberichte aus unterschiedlichen Praxisfeldern". Außerdem "klärt" er "weiteren rechtlichen Veränderungsbedarf im Bereich des Strafrechts ab" und nimmt die "Perspektiven von Prostituierten, Betreiber/innen von Prostitutionsbetrieben und von Kunden" in den Blick.

Mit letzterem scheint das Spektrum der Beteiligten und Betroffenen abgedeckt zu sein. Doch dem ist durchaus nicht so. Mag sein, dass alle an der Institution Prostitution unmittelbar Beteiligten zu Wort kommen, aber nicht alle Betroffenen. Zu ihnen zählen zunächst einmal ganz zweifellos auch die Partnerinnen der Freier. Warum bleiben sie außen vor? Eine Frage, die ein ganzes Feld weiterer eröffnet. Denn nicht nur die an der Prostitution unmittelbar Beteiligten und die ihnen nahestehenden Menschen sind von den Auswirkungen der Prostitution betroffen, sondern ausnahmslos alle Angehörigen der Gesellschaft. Prostitution zeitigt sowohl gesamtgesellschaftliche, kulturelle wie auch zwischenmenschliche Effekte, die alle und jeden betreffen, etwa indem sie nicht nur den Blick von Männern auf Frauen (mit-)prägen, sondern auch die Konstruktion von Geschlechtsidentitäten und das jeweilige Selbstverständnis als Geschlechts- und Sexualwesen sowie das doing gender eines und einer jeden beeinflussen. Mit all dem zementiert Prostitution die Hierarchie des Geschlechterverhältnisses.

Wenn sich Frauen freiwillig prostituieren, wie von deren BefürworterInnen gerne und oft ins Feld geführt wird, und manche dieser Frauen, wie weiter argumentiert wird, sich sogar gerne prostituieren, so sagt diese Freiwilligkeit oder die Freude, mit der sie ihre Tätigkeit erfüllt, für sich genommen nichts darüber aus, wie Prostitution zu bewerten ist. Denn nicht alles, was freiwillig oder gerne getan wird, ist aus diesem Grunde schon zu billigen. So muss man ja auch nicht die Auftritte von KandidatInnen im Big-Brother-Container oder im Dschungelcamp einer Ekelshow goutieren, nur weil sie freiwillig sind. Ebenso wenig wie das menschenverachtende Verhalten von Moderatoren wie Dieter Bohlen oder Stefan Raab. Auch die Auftritte von KandidatInnen und ModeratorInnen von Ekel- und anderen Shows haben abträgliche gesellschaftliche und zwischenmenschliche Effekte, mögen sie ihnen auch noch so viel Spaß machen.

Nicht alles, was jemand freiwillig und gerne tut ist also darum schon legitim. Und zwar ist es das dann nicht, wenn es anderen schadet. Sich zu prostituieren, Prostituierte zu freien oder Bordelle zu betreiben schadet sogar nicht nur irgendeinem oder irgendeiner Dritten, auch nicht 'nur' allen Frauen, sondern allen Menschen einer Gesellschaft. Denn die oben angesprochenen gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Effekte sind durchweg negativ. Selbst wenn Prostitution nicht mit Sexismus und Misogynität verbunden wäre, etwa weil es ebenso wohl und ebenso viele männliche wie weibliche Prostituierte gäbe und das gleiche für das Geschlecht der Freier gelte, wäre sie immer noch abzulehnen; unter anderem weil sie intimste Zwischenmenschlichkeit dem Gesetz des Marktes unterwirft.

Verbieten muss man all das darum aber auch nicht notwendigerweise. So kann es etwa ein strafrechtlich relevanter Unterschied sein, ob sich eine Frau prostituiert oder ein Freier sie bezahlt. Nahe läge es, Freier zu bestrafen, Prostituierte jedoch nicht. Dies nicht zuletzt darum, weil die Freiwilligkeit der Prostitution immer prekär ist (wer würde etwa schon freiwillig arbeiten, wenn der Lohn auch ohne dies allmonatlich überwiesen würde). Männer freien Prostituierte hingegen immer aus freien Stücken. In einigen Ländern wird tatsächlich strafrechtlich zwischen Prostituierten und Freiern unterschieden. Nur, dass die misogynen Gesetzgeber die Frauen bestrafen, die Männer jedoch unbehelligt lassen. Jedenfalls in den meisten dieser Staaten. Eine rühmliche Ausnahme bildet bekanntlich Schweden. Auch wenn man Prostitution nicht strafrechtlich verfolgen mag, zumindest ächten sollte man das Treiben von Freiern, BordellinhaberInnen oder anderen ProfiteurInnen der Prostitution schon. Ebenso wie etwa auch dasjenige menschenverachtender ModeratorInnen diverser Shows.

Versteht es sich einerseits von selbst, dass keine Frau zur Prostitution gezwungen werden darf, so bedeutet deren Freiwilligkeit andererseits also keineswegs schon, dass es sich um eine legitime Tätigkeit handelt. Auch die Frage, ob Prostitution ein Beruf (wie jeder andere) ist, besagt darüber nichts. Dennoch erörtert Kavemann sie in einem ihrer (einschließlich des gemeinsam mit Rabe verfassten Vorworts und des Resümees) insgesamt fünf Texte ausführlich. Prostitution, so legt sie dar, sei als "eine Form der Erwerbstätigkeit" in dem Sinne zu verstehen, "dass sie eine geschlechtsbezogene Tätigkeit ist, mit der Geld verdient bzw. der Lebensunterhalt oder das Existenzminimum gesichert werden soll." Eine Definition, unter die neben Ammen etwa auch Leihmütter und Samenspender fallen. Wie Kavemann weiter ausführt, sieht sie in der Prostitution dennoch "keinen Beruf wie jeden anderen", da in ihr "der Körper und die Sexualität in einer sehr spezifischen Weise Mittel und Gegenstand der Erwerbstätigkeit sind, wie es in anderen Berufen und Tätigkeiten nicht der Fall ist".

Das ist zweifellos richtig. Ungeachtet dessen ist die ethisch aufgeladene Diskussion, ob Prostitution ein Beruf wie jeder andere sei, dennoch müßig. Und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen gibt es überhaupt keinen Beruf, der wie jeder andere ist. Denn dazu unterscheiden sie sich untereinander einfach zu sehr. Zum anderen besagt die Qualifikation "Beruf" rein gar nichts über die Legitimität der so bezeichneten Tätigkeit oder darüber, wie eine als Beruf qualifizierte Art des Gelderwerbs ethisch zu bewerten ist; und schon gar nicht besagt die Qualifikation Beruf, dass die Tätigkeit legitim und ethisch in Ordnung ist. Man denke nur an den Beruf des Fremdenlegionärs oder des Söldners, an den Henker und den Folterer.

Fraglich ist auch, ob es sich bei Prostitution (immer) um "sexuelle Dienstleistungen" handelt, wie die Herausgeberinnen im Vorwort meinen. Übt die Prostituierte bei einem Freier beispielsweise Fellatio aus, mag die Bezeichnung zutreffend erscheinen. Cunnilingus wäre hingegen wohl eher eine Anmietung des Frauenkörpers zur vorübergehenden Benutzung durch den Freier. Jedenfalls ist die Bezeichnung "Dienstleistung" aufgrund ihrer legitimierenden und verharmlosenden Konnotation auch da bedenklich, wo sie zutreffend scheint. Zudem übernehmen die Herausgeberinnen damit die Sprachregelung von ProstitutionspropagandistInnen wie dem "Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen". Überhaupt benutzen selbst die eher prostitutionskritischen Beiträge des Bandes ein Vokabular, das Normalität und Legitimität des Phänomens signalisiert: "Kunde", "Dienstleistung", "Geld verdienen", "Arbeitsbedingungen", "Arbeitssituation", "Arbeitnehmerinnen" et cetera.

Dabei zeugt Kavemanns Aufsatz zur "Einschätzung des Prostitutionsgesetzes aus der Perspektive von Akteurinnen und Akteuren im Bereich der Prostitution" sehr wohl davon, dass ihr die Problematik einer derartigen Ausdrucksweise bewusst ist, sah sie es, "[b]eim Schreiben und Sprechen über Prostitution und mit deren Protagonist/innen" doch "als wichtig an, möglichst korrekte und sachliche Begriffe zu wählen". So spricht sie von Prostituierten und vermeidet explizit "den von der Hurenbewegung favorisierten Begriff 'Sexarbeiterinnen'", den nicht nur sie selbst, sondern auch "viele der von uns befragten Prostituierten ablehnten."

Da hätte man doch zu gerne einmal gewusst, warum die Prostituierten diese Bezeichnung zurückwiesen. Denn dies hätte vielleicht so manches erhellen können. Doch Kavemann schweigt darüber. Merkwürdig beziehungsweise inkonsequent ist auch, dass sie zwar nicht von Sexarbeiterinnen reden mag, aber davon spricht, dass die Prostituierten "arbeiten". Auch präferiert sie den Begriff Kunden gegenüber dem Wort Freiern, da der Ausdruck Kunde deutlich mache, "dass es um eine Leistung gegen Geld bzw. um zwei Parteien einer geschäftlichen Aushandlung geht." Eine fragwürdige Entscheidung, denn der Begriff Kunde signalisiert Normalität und wischt somit die von Kavemann zuvor benannten signifikanten Unterschiede zu (wie manche sagen würden: anderen) Berufen vom Tisch.

Noch eine kritische Anmerkung zur Vorbemerkung der Herausgeberinnen. Der Vorwurf, "[i]n den Medien" werde Prostitution "nach wie vor meist mit Menschenhandel gleichgesetzt" und "auf Differenzierungen verzichtet", ist selbst nicht eben sonderlich differenziert, kommen doch beispielsweise in so ziemlich allen Talkshows, die sich mit dem Thema befassen, Prostituierte und vor allem BordellbetreiberInnen zu Wort, die ausführlich darlegen dürfen, was für eine tolle Sache Prostitution doch sei beziehungsweise wie gerne sie sich prostituieren. Das Statement der Herausgeberinnen im Vorwort ist umso überraschender als eine seiner beiden Autorinnen, Kavemann, in einem der Beiträge selbst darauf hinweist, dass die "kleine Gruppe von Aktivistinnen", die "[i]n den Medien und auf öffentlichen Podien" als "selbstbewusste, frei entscheidende Prostituierte" auftreten, keineswegs "[f]ür die Gesamtheit" der Prostituierten sprechen können, da diese "überwiegend unter anderen Bedingungen" tätig sind. "Ganz Ähnliches" gelte für die "in der Öffentlichkeit präsent[en]" BetreiberInnen von Bordellen und Laufhäusern.

Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind in vier Gruppen gegliedert. Zunächst werden die Prostitutionsdiskurse einiger Länder nachgezeichnet, sodann Forschungsergebnisse zur Prostitution in Deutschland sowie "aktuelle Fragestellungen und Probleme in der Praxis" vorgestellt. Beschlossen wird der Band mit "Konzepte[n] Sozialer Arbeit". Ina Holznagel informiert im dritten Teil etwa darüber, wie sich die staatsanwaltliche Praxis fünf Jahre nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes gestaltet. Michael Ernst-Pöcken begutachtet die "Besteuerung sexueller Dienstleistungen" und Andrea Wepper berichtet aus dem Nürnberger Gesundheitsamt. Stefan Tränkle geht den "negativen Begleiterscheinungen" der Prostitution nach und insinuiert damit implizit, Prostitution selbst sei nicht negativ zu bewerten. Mechthild Eickel darf ihren Verein "Madonna" vorstellen, der "Informationen und Unterstützung für Frauen [bietet], die in die Prostitution einsteigen wollen, dort arbeiten oder gearbeitet haben oder aus der Prostitution aussteigen wollen". Bärbel Heide Uhl wendet sich gegen die Begriffe "Sexsklavin" und "Zwangsprostituierte", denn sie würden den "betroffenen Person[en] eigene Handlungs- und Erlebnisräume abspr[echen]" und suggerieren, dass es sich um "permanente, statische Identität[en] handelt". Der zweite Einwand, so er denn zuträfe, ließe sich auf alle Begriffe anwenden, mit denen Personen charakterisiert oder auch nur bezeichnet werden. Der erste ist gar völlig abwegig. Denn niemand käme auf die abstruse Idee, Menschen, die zu irgendetwas gezwungen werden oder die versklavt sind, eigene Handlungs- und Erlebnisräume abzusprechen. In der Literatur etwa wurden sie und ihre Handlungen und Erlebnisse schon oft thematisiert. Man denke nur an den titelstiftenden Zwangsarbeiter in Aleksandr Isaevic Solženicyns Roman "Ein Tag im Leben des Iwan Denisowitsch" oder den - wiederum titelstiftenden - Sklaven in "Onkel Toms Hütte" von Harriet Beecher Stowe.

Julia O'Connell Davidson weist in einem weiteren Beitrag darauf hin, dass die Grenzen und Übergänge zwischen in Verliesen gehaltenen Zwangsprostituierten, die mit Gewalt und Morddrohungen gegen sich selbst und ihre Familie gefügig gemacht werden, und ihren "extreme[n] Gegenstück[en]", also "Frauen, die sich bewusst dafür entscheiden, ihr Geld als Prostituierte zu verdienen oder ein persönliches oder sexuelles Interesse an der Prostitution befriedigen wollen", fließend sind. Das ist zweifellos zutreffend. Schönfärberei ist es allerdings, wenn sie fortfährt, letztere sähen ihre "Identität als 'Sexarbeiterin'" und bestimmten "selbst die Bedingungen ihrer Prostitution, und zwar in jeder Hinsicht". Niemand bestimmt irgendetwas, das er tut oder lässt "in jeder Hinsicht" selbst. Denn alles Handeln geschieht unter fremdbestimmten oder zumindest nicht nur selbstbestimmten Bedingungen. Ihre Behauptung der Möglichkeit absoluter Selbstbestimmung von Prostituierten zeigt vor allem eines: Den Willen der Autorin, (freiwillige) Prostitution gegen Kritik zu immunisieren. Zutreffend ist hingegen, dass es zwischen freiwilliger Prostitution und Zwangsprostitution "eine Vielzahl von Varianten" gibt, und zwar "nicht nur mit Blick auf die Art und den Grad an Zwang, der Einzelne dazu bewegt, sich überhaupt zu prostituieren, sondern hinsichtlich des Drucks, der sie dazu bringt, bestimmte Arbeitsbedingungen und Praktiken zu akzeptieren".

O'Connell Davidson fordert im weiteren die "Anerkennung der Prostituierten als Subjekt und Handelnde (nicht als Objekt und ewiges Opfer)". Niemand behauptet Prostituierte seien "ewige Opfer". Doch statt sich mit tatsächlichen Einwänden von ProstitutionsgegnerInnen auseinanderzusetzen, unterstellt sie ihnen lieber solchen Unsinn. Überhaupt ist es wenig sinnvoll, wenn O'Connell Davidson die Grenze, die sie zwischen freiwilliger Prostitution und Zwangsprostitution als fließend erkannt hat, zwischen TäterInnen und Opfer hochzieht. Selbstverständlich gibt es Menschen, die nur TäterInnen sind - im Zusammenhang mit der Prostitution sind es übrigens wohl meist tatsächlich Täter. Doch können Opfer sehr wohl zugleich TäterInnen sein und umgekehrt. Und zwar ohne dass sie das eine umso mehr sind, je weniger sie das andere sind. Hinzu kommt, dass auch ein Opfer für die Folgen - also etwa für die gesellschaftlichen und kulturellen Effekte - seines oder ihres Handelns (mit-)verantwortlich ist. So sind etwa Staaten, die Piraten Lösegelder in Millionenhöhe zahlen, (mit) dafür verantwortlich, dass Piraterie als risikoreiches, dafür aber umso lukrativeres Geschäft erscheint, das durch ebendiese Lösegeldzahlungen kräftig angekurbelt wird. Diese Mitverantwortung mindert die Verantwortung der Piraten hier und der Freier dort allerdings um keinen Jota.

Abschließend plädiert O'Connell Davidson für die Entkriminalisierung der Prostitution als "ersten Schritt [...], um Recht und Schutz für diejenigen zu gewähren, die für sich entscheiden, dass Sexarbeit, die beste der sich ihnen bietenden mageren Möglichkeiten ist". Dass dafür Sorge getragen werden könnte, ihnen bessere Möglichkeiten als die Prostitution zu bieten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, kommt ihr hingegen nicht in den Sinn.

Nicht alle Beiträge haben sich ausschließlich Kritik verdient. Joachim Renzikowski etwa weist nicht nur darauf hin, dass nach dem Prostitutionsgesetz weiterhin "strafrechtlicher Handlungsbedarf" besteht, und zwar insbesondere im Bereich der Zwangsprostitution. Er fordert zudem die "Bestrafung der Nachfrage nach Zwangsprostituierten" und hat auch einen originellen und zumindest auf den ersten Blick praktikablen Vorschlag parat, wie die schwierige Beweislage verbessert werden könnte: Bordelle und Prostituierte sollen Lizenzen erhalten, die sich Freier vorzeigen lassen müssen. Hat ein Freier sexuellen Verkehr mit einer nicht lizenzierten Prostituierten, macht er sich strafbar.

Den vielleicht interessantesten und aufschlussreichsten Beitrag hat Sabine Grenz verfasst; trotz ihres teilweise Normalität signalisierenden und somit fragwürdigen Vokabulars, das allerdings durch ihren analytischen Ansatz nahe gelegt wird. Unter dem Titel "Freier auf der Suche nach dem perfekten sexuellen Erlebnis" macht sie dankenswerter Weise auf eine "große Leerstelle" in der Debatte um die Prostitution aufmerksam: "die beständige Anregung der Bedürfnisse durch die Sex-Industrie". Wie jede andere Industrie, so argumentiert sie, weckt auch die Sex-Industrie erst die Bedürfnisse, die sie zu befriedigen verspricht, und zwar mit dem Versprechen, "dass alle sexuellen Bedürfnisse erfüllbar seien und damit das perfekte sexuelle Erlebnis käuflich sei". Daher müsse sie "im Verhältnis sowohl zur Geschichte des Konsums als auch der Geschichte der Sexualität betrachtet werden". Dies zu leisten hat sich ihr Beitrag vorgenommen. Grenz geht es nicht (nur) darum, dass sich Männer, die Prostituierte aufsuchen, "Macht über einen Frauenkörper kaufen" oder "einfach 'natürliche' Bedürfnisse befriedigen" wollen, sondern vor allem um "die Verführung zum Konsum" von Prostitution und um "das permanente Versprechen, sexuelle Lust erleben zu können". Werde damit geworben, "sich die perfekte Erfüllung der eigenen Lust kaufen" zu können, so wecke dies das Bedürfnis, "es auch zu tun, anstatt sich mit Kompromissen abzugeben". In der subjektiven Wahrnehmung von Freiern, werde das so geweckte sexuelle Bedürfnis zur "'inneren sexuellen Wahrheit' und Identität". Das "(männliche) Begehren nach Prostitution" sei also nicht etwa einfach ein "intrinsisches Bedürfnis von Freiern", sondern beruhe vielmehr auf einem "komplexen Zusammenspiel" von durch die "Sexindustrie" erzeugten "Geschlechterbildern" und "Vorstellungen von Sexualität" mit der "Konsumgesellschaft".

Unter Hinweis auf Linda LeMonchecks Untersuchung "Loose Women, Lecherous Men" (1997) benennt die Autorin einen die Freier betreffenden Effekt der Sexindustrie: "[O]bwohl sie die Sex-Arbeiterin zum Objekt ihrer sexuellen Bedürfnisse machen", werden sie auch "selbst zum Objekt der ständigen sexuellen Ansprache durch die Sexindustrie". Selbstverständlich, so betont Grenz, dürfe angesichts dieser "Objektifizierung der Kunden" nicht aus den Augen verloren werden, dass die "Diversifikation der Sex-Industrie" auch "einzelne Sex-Arbeiterinnen unter Druck" setze, wie sie allzu zurückhaltend formuliert. Zudem müsse beachtet werden, dass nicht nur die Werbung für die "allgegenwärtig[e]" Sexindustrie, sondern auch diejenige für "andere Produkte extrem sexualisiert" ist.

Zwar sind die Beiträge von durchaus unterschiedlicher Qualität, doch nur in Ausnahmefällen nehmen sie eine grundsätzlich prostitutionskritische Haltung ein. Zudem steht das Buch den allgemeinen Effekten der Prostitution insgesamt bedenklich gleichgültig gegenüber. Mehr noch: Die meisten Beitragenden scheinen sich dieser Effekte nicht einmal bewusst zu sein.


Titelbild

Barbara Kavemann / Heike Rabe (Hg.): Das Prostitutionsgesetz. Aktuelle Forschungsergebnisse, Umsetzung und Weiterentwicklung.
Verlag Barbara Budrich, Leverkusen 2008.
314 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783866492110

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