Eine regnerische Winterstimmung

Hiromi Kawakami verzaubert auch mit ihrem zweiten Roman "Herr Nakano und die Frauen"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Jetzt liebe ich Takeo zum ersten Mal richtig", sagt Hitomi am Schluss. Es ist ein langer Weg bis zu diesem Satz. Ein gewundener, schmerzhafter, seltsamer Weg. Voller seltsamer Menschen, die sich in Herrn Nakanos Trödelladen begegnen, wo er kleine Alltagsgegenstände aus Haushaltsauflösungen verkauft, Sachen, die man ihm in den Laden bringt, Vasen und Schalen, Puppen und Tassen, Heizungen, die er anmacht, wenn er mit seinen Angestellten im Winter friert. Mit Antiquitäten handelt er nicht, kennt sich auch nicht aus mit ihnen. Ein ganz normaler Laden also.

Normal auch, weil Herr Nakano, dessen Frau man nie kennenlernt, zum dritten Mal verheiratet ist und von allen drei Frauen ein Kind hat, und eine hübsche, sehr erotische Geliebte, Sakiko. Von den Angestellten wird sie nur "die Bank" genannt, weil Herr Nakano immer sagt: "Ich muss jetzt noch zur Bank", wenn er zu ihr geht. Normal, weil sich Hitomi in Takeo verliebt, den Gehilfen des Chefs, der ab und zu auch mal selbständig einkaufen gehen darf und ein glückliches Händchen dabei hat. Normal, weil viele Menschen kommen und seltsame Dinge verkaufen wollen, sich unterhalten wollen, einsam sind, arm und verlassen. Und sich manchmal selbst sehr seltsam verhalten.

Wie die Frau, die sich über den Brieföffner ärgert, den sie gekauft hat, ihn von Herrn Nakano schärfen lässt und ihn damit niedersticht. Oder Herr Tadokoro, der ehemalige Lehrer von Nakanos Schwester Masayo, der sich in eine Schülerin verliebte und mit ihr durchbrannte. Jahre später kommt er in den Laden und will erotische Fotografien verkaufen, die er von seiner Frau gemacht hat. Ein Mann mit einer intensiven Ausstrahlung, wenn er den Laden betritt, "fühlt sich die Luft sofort dichter an". Oder Sakiko, die einen obszönen Roman geschrieben hat, sich von Nakano nicht trennen kann und darum würfelt, ob sie ihn verlassen soll.

Aber auch Hitomi und Takeo benehmen sich seltsam. Eigentlich ist aber auch das normal. Sie verlieben sich, turteln ein wenig miteinander, Takeo ist der große Schweiger und einmal flüstert er ihr entschuldigend ins Ohr: "Sex ist irgendwie nicht meine Stärke." Und sie "wusste wirklich nicht, ob [sie] sauer oder traurig sein oder lieber lachen sollte."

Hiromi Kawakamis zweiter ins Deutsche übersetzte Roman erzählt nicht nur von Herrn Nakano und seinen Frauen, wie der Titel behauptet. Sondern von Beziehungsversuchen, Versuchen, nicht mehr einsam zu sein, jemanden zu finden, dem man sich endlich öffnen kann. Der Roman verbreitet eine regnerische Winterstimmung: Man möchte sich aneinanderkuscheln, aber merkt doch, dass es nicht wärmer wird. Auch zwischen Takeo und Hitomi, aus deren Perspektive erzählt wird, wird es lange nichts, ohne dass Hitomi so recht weiß, warum. Ständig fragt sie sich, was mit ihm ist, ruft ihn an, läuft ihm nach. Aber er entzieht sich und gibt einmal zu: "Ich habe eben Angst vor Menschen". Und auch sie hat Angst, alles macht ihr Angst, die Menschen, Takeo, die Gefühlskälte: "Aber die meiste Angst hatte ich vor mir selbst. Das war doch ganz normal."

Das Buch durchströmt eine poetische Melancholie, der man sich kaum entziehen kann: Die fragilen Beziehungen, die abstrusen Menschen werden so atmosphärisch beschrieben, dass man mit ihnen lebt und leidet. Und gleichzeitig ist Kawakamis Stil so distanziert und spröde zurückhaltend, dass man auch über den Figuren schwebt, sie von außen betrachtet. Eine geheimnisvolle, anmutige, sehr kunstvolle Mischung.


Titelbild

Hiromi Kawakami: Herr Nakano und die Frauen. Roman.
Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler.
Carl Hanser Verlag, München 2009.
224 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783446232747

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