Kriegslandschaft

Kim Hoons "Schwertgesang" bewegt sich zwischen Welthass und Schönheit

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es geht um Kopf und Kragen, so heißt es umgangssprachlich. In jenem Krieg, von dem dieser Roman handelt, ist die Metapher wörtlich zu nehmen: Köpfe sind hier eine Währung. Sie werden nach der Schlacht gesammelt, konserviert, als Beweis für Erfolge dem König geschickt und dienen gegebenenfalls als karriereförderndes Tauschobjekt. Die Gegenseite begnügt sich mit Nasen; und dass man Köpfen wie Nasen nicht ansieht, auf welcher Seite ihre Besitzer einst kämpften, ist aus Sicht der Befehlshaber sogar noch ein Vorteil.

Die Rede ist vom japanisch-koreanischen Krieg der Jahre 1592 bis 1598. Tatsächlich führte der japanische Versuch, Korea zu erobern, zu einer Auseinandersetzung von großer Brutalität und ist bis heute im Kollektivgedächtnis Koreas verankert - nicht zuletzt wegen der späteren japanischen Kolonialherrschaft, die die Erfahrung zu wiederholen schien. Brach der japanische Kolonialismus 1945 wegen der Niederlage gegen die USA zusammen, so hatte Korea dreieinhalb Jahrhunderte zuvor eigene militärische Erfolge zu verzeichnen. So hat das nationale Gedächtnis bis heute die "Schildkrötenboote" bewahrt - flache, gepanzerte Schlachtschiffe, mit denen der Admiral Yi Sunshin den Angreifern empfindliche Niederlagen zufügte.

Kim Hoon erzählt über das letzte Kriegsjahr aus der Perspektive dieses Admirals. Das in Korea 2001 erschienene und dort überaus erfolgreiche Buch hebt indessen nicht wie eine nationale Selbstfeier an: Von Beginn an erscheint der Kampf als Angelegenheit von trauriger Brutalität. Yi kehrt von der Folter auf seine Kommandostelle zurück; von Gegnern verleumdet, war er in die Hauptstadt verschleppt, dort erbarmungslos geprügelt und erst rehabilitiert worden, als die vom König befohlene und von ihm verweigerte Angriffsstrategie zum Verlust der Flotte geführt hatte.

Die äußere Handlung besteht in der Schilderung, wie Yi aus 120 hungernden Soldaten und den wenigen Schiffen, die die Niederlage überstanden haben, eine schlagkräftige Streitmacht formt, die nach einigen kleineren Gefechten die feindliche Flotte vernichtend zu schlagen vermag. In dieser Schlacht kommt auch Yi ums Leben; doch bedeutet dies für ihn, einen Soldaten, den ersehnten "natürlichen Tod", und damit das Gegenteil des politischen Tods, von den inneren Feinden verleumdet auf der königlichen Folter zu sterben.

Dieses äußere Geschehen vermag für einen westlichen Leser bedingt spannend zu sein - in Korea kennt freilich jedes Schulkind den Ausgang. Das Wesentliche dieses Buchs liegt auch auf einer anderen Ebene. An die Stelle eines glänzenden nationalen Befreiungskampfs tritt individueller Heroismus. Schon die ersten Seiten machen klar, dass es sich um einen Krieg handelt, der von beiden Parteien mit schmutzigen Mitteln geführt wird. Das Überleben wird nicht nur durch den ausländischen Feind bedroht, sondern auch durch innere Gegner; ein schwacher König gibt dem Admiral zuweilen Vollmachten, hört aber gleichzeitig auch auf zögerliche Berater. Ob der militärisch erfolgreiche Offizier, der fern von der Hauptstadt nur ungenügend mit der politischen Führung zu kommunizieren vermag, im Überlebensfalle geehrt oder hingerichtet würde, bleibt bis zum Ende ungewiss.

Der Erzähler kämpft in völliger Isolation: Seine Geliebte, mit der nur sprachloser Sex möglich ist, kommt als Vergewaltigungsopfer der Japaner ums Leben, und sein Lieblingssohn wird als Rache für seine militärischen Erfolge von den Besatzern getötet. Die Politik stört die militärischen Planungen - zumal die chinesischen Verbündeten, denen sein König folgt und die merklich eigene strategische Interessen verfolgen, eher eine Gefahr als eine Stärkung darstellen.

Der Autor hat denn auch bei Lesungen in Deutschland die Schrecken des Krieges betont, und dass er ein Buch voll Hass auf die Welt geschrieben habe. Dem widersprechen freilich die beiden Kraftquellen, die er Yi lässt. Da ist zum einen die Landschaft. Die Handlung spielt in dem Gewirr von Inseln, die der koreanischen Südküste vorgelagert sind. Die schmalen Meeresarme mit ihren wechselnden Strömungen bilden nicht nur einen idealen Aktionsraum für ortskundige Verteidiger. Mit der Abfolge von Tag und Nacht, von Sonnenauf- und -untergängen, von Nebel und klarem Licht evoziert Kim Hoon eine poetische Kriegslandschaft, die indessen mit Heimatverbundenheit nichts zu schaffen hat. Sein Held Yi, dem Wasser zunächst ein fremdes Element war, hat sie sich handelnd erobert, und seine Stärke liegt auch darin, dass ihn, bei aller Trauer über die Zerstörungen des Krieges, Sinneswahrnehmungen an die Welt binden. Der Anblick der stets neu beleuchteten See wie auch die Schilderung von Gerüchen nehmen in diesem Kriegsbuch viel mehr Raum ein als die Schlachtbeschreibungen.

Freilich bleibt der sinnlich erlebte Raum auch stets Aktionsraum. Die Inseln müssen Yi mit den Menschen und dem Material versorgen, mit denen er nach den Misserfolgen seiner Vorgänger eine neue Flotte aufbaut. Die See ist stets gefährlich - nicht nur, weil die Strömungen, die die feindlichen Schiffe vernichten sollen, bei einem einzigen falschen Manöver auch die eigenen bedrohen, sondern auch, weil der zunächst übermächtige Feind stets auftauchen kann und in der Vor-Satellitenzeit jede militärische Bewegung ein Informationsproblem aufwirft.

Die Landschaft, so schön sie wirkt, ist auch eine des Todes. Aus Yis Sicht geht es vor allem um den eigenen Tod - in der Entscheidungsschlacht gegen den Feind zu sterben, scheint ihm Erfüllung. Dieser Tod hat für ihn nichts mit nationaler Erfüllung zu tun; schon früh wird ihm beim Anblick im Wasser treibender Leichen klar, dass im Krieg jeder seinen Tod allein stirbt. Es geht ihm auch nicht um einen Opfergang, um sein Volk zu erlösen. Vielmehr scheint ein Tod, wie er ihn sich wünscht und am Ende auch bekommt, dem Lauf der Dinge zu entsprechen, "im Grunde ein natürlicher Tod und darum nicht sonderlich beklagenswert, wie auch niemand das Fallen der Blätter bei Wind und Wetter beklagt".

Yi, der sich als Offizier bis zum Ende vor allem als "Feind meiner Feinde" von sich spricht und mit großer Energie nichts als die Vernichtung der Japaner betreibt, ist doch gleichzeitig in seiner Weltsicht äußerst passiv. Indem er den Ort der letzten Seeschlacht sucht, sucht er bewusst gleichzeitig den Ort seines Todes - auch die Landschaft gerät in das Kräftefeld von Aktivität und Passivität. Nicht zuletzt trägt die Sprache des Romans, die außerordentlich intensiv und gleichzeitig karg das schreckliche Gemetzel in der schönen Inselwelt umreißt, dazu bei, die Einheit von Kampfeswillen und resignativer Ergebung zu vermitteln.

Das Lob des Kampfes bis zum eigenen Tod, die Verschränkung von Aktivismus und heroischem Aushalten könnten an die Kriegsbücher von Ernst Jünger erinnern. Doch zeigt ein genauerer Vergleich den Unterschied: Feierte der frühe Jünger eine junge, kämpferische Mannschaft, so schildert Kim einen alten, im Kern isolierten Mann. Versuchte Jünger panisch, mit exzessiver Vergleichssucht im blutigen Geschehen einen geschichtlichen Sinn herbeizuzwingen, so lässt Kim seinen Admiral Yi im natürlichen Zyklus des individuellen menschlichen Lebens Sicherheit finden.

Gemeinsam ist den beiden Autoren jedoch, dass sie den Krieg existentiell fassen, nicht instrumentell. Als Yi seine letzte Schlacht schlägt und den Tod findet, sind die Japaner schon dabei, aus Korea abzuziehen. Politisch hat dieser Kampf keinen Sinn mehr, und strategisch riskiert Yi mit der koreanischen Flotte noch einmal die Existenz des Landes, während den Japanern auch im Falle einer Niederlage ein sicherer Rückzugsraum zur Verfügung steht. Von seinem König und von den inzwischen als merkwürdig abwartende Verbündete eingetroffenen Chinesen wird Yi denn auch gemahnt, als Politiker statt als Militär zu denken und einen Endkampf zu vermeiden.

Allzu sehr werden dieser Kampf und Yis Tod metaphorisch überhöht, als dass man hier eine Distanznahme des Autors von seinem Helden vermuten sollte. Und doch wird die heroische Romanwelt an dieser Stelle brüchig und werden die Gefahren einer Hass-Logik, wie sie Yi für sich akzeptiert und Kim Hoon sie als negatives Weltgesetz annimmt, für einen Moment sichtbar. Von Triumph kann ohnehin keine Rede sein: Hinreichend deutlich wurde zuvor, dass die koreanische Monarchie eine blutige Tyrannei war und selbst das Ende des Krieges kein Ende des Mordens bedeutete.

So bleibt, Yis Vollendung im "natürlichen Tod" entgegen, der Grundzug der Trauer, der den Roman durchzieht. Das hebt den dicht und konzentriert geschriebenen Roman von pazifistischer Literatur einerseits, von Kriegsverherrlichung andererseits ab und sichert ihm einen ganz eigenen Platz in der Literatur über den Krieg.


Titelbild

Hoon Kim: Schwertgesang. Roman.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Sohyun Ahn und Heidi Kang.
Edition Delta, Stuttgart 2008.
190 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-13: 9783927648227

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