Langatmigkeit platonischer Liebe

Andrea De Carlos Kultroman "Wir drei"

Von Jutta KochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Koch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wir drei" erzählt die Geschichte dreier befreundeter Künstler in einer Zeitspanne von zwanzig Jahren. Vom Kennenlernen in ihrer Jugend, über zahlreiche Trennungen, erneute zufällige Begegnungen und immer wiederkeh-rende Gefühle der Verbundenheit bis in die Zeit des Erwachsenenlebens, schildert De Carlo alle damit verbundenen Höhen und Tiefen.

In einer italienischen Rezension heißt es: "'Zwei von zwei' ist De Carlos beliebtestes, unter den jungen Leuten zur Kultlektüre gewordenes Buch. 'Wir drei' führt dieses in gewisser Weise fort." Ob diese Zielgruppe sich auch in Deutschland mit dem Buch befassen wird und ob es für sie Kultstatus erlangen wird, scheint eher unwahrscheinlich. Es ist kein Buch, das man verschlingt oder sogar mehrmals liest, da es weder durch den Erzählstil noch durch den Inhalt sonderlich reizt. Die Intention des Autors, bedingungslos für seine Träume zu kämpfen, kann den Leser aufgrund mangelnder Dynamik nicht erreichen.

Warum das Buch in Italien mit einer Auflage von 400 000 Exemplaren erschien und sich acht Monate auf italieni-schen Bestsellerlisten halten konnte, wird bei der Lektüre nicht recht verständlich. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die große Popularität des Autors, der mit seinen bisherigen Werken eine treue Leserschaft für sich gewinnen konnte.

Dieser Roman scheitert vermutlich an seinem Umfang von knapp 700 Seiten, an seiner Langatmigkeit und der unüberwindbaren Distanz zwischen Erzähler und Leser. Der kann sich nicht mit Livio, dem Protagonisten identifizieren; er erscheint zu labil und verliert sich in Selbstmitleid und den damit verbundenen Ausführungen. Man sehnt sich nicht mit Livio, hofft und fühlt nicht mit ihm. Er wird von De Carlo zu farblos geschildert. Dem Buch fehlt es an spannenden Momenten und Wendungen. Da von Beginn an klar ist, dass Misia niemals mehr als reine Freundschaft für Livio empfinden wird, wirkt das Geschehen dementsprechend langatmig. Die Schilderung von Livios Leben verliert sich in endlosen Bewunderungen für Misia verliert, und alle anderen Geschehnisse skizziert der Text nur am Rande. Die Figuren sind in Klischees gefangene und festgelegte Charaktere ohne Möglichkeit zur Wandlung: Misia, die Verkörperung einer Göttin, deren Perfektion kein selbstverschuldeter Fehler Abbruch tun kann; Marco, das unverstandene, egozentrische und rücksichtslose, launische "enfant terrible" und Livio selbst, der hilflose Maler ohne Eigendynamik, der aufhört, sich selbst neu zu definieren, als er Misia kennenlernt. Die Resignation des Erzählers nimmt dem Roman seinen Schwung; aus Livios Blickwinkel erscheint nichts außer seinen Freunden lebendig.

Andrea De Carlo versucht nicht, sich auf einzelne Momente zu beschränken, sondern will dem Leser ein ganzes Leben offenbaren, was aber nicht gelingen kann, wenn alle entscheidenden, schicksalhaften Wendepunkte nicht überzeugend dargestellt sind. Immerhin wird gleich zu Beginn des Romans klar, dass es sich bei der Beziehung der Figuren untereinander um wahre Freundschaft handelt. Deren Darstellung zieht sich wie ein roter Faden durch den Zeitraum von 20 Jahren und verbindet die Personen. Das Problem der Dreiecksbeziehung, der daraus resultierenden Konflikte und verletzten Gefühle wird dabei sehr glaubhaft geschildert, doch bleibt dem Leser der direkte Zugang zum "Mit-Leiden" verwehrt. Der Roman greift das oft diskutierte und kaum rational einschätzbare Phänomen der platonischen Beziehung auf, bringt aber diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse.

"'Der Augenblick ist alles, Livio', widersprach Marco.'Das einzige, was wir wirklich haben.' Vielleicht hätte der Schwerpunkt auch auf diese Augenblicke des Lebens gelegt werden sollen, auf die Momente, die den Leser mitreißen und verzaubern und nicht als anonyme Beobachter auf das Geschehen blicken lassen.

Titelbild

Andrea DeCarlo: Wir drei.
Diogenes Verlag, Zürich 1999.
661 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3257062168

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