Ironie und Verführung

Die französische Schriftstellerin Louise de Vilmorin ist mit dem kleinen und feinen Roman „Liebesgeschichte“ zu entdecken

Von Carola EbelingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carola Ebeling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu welcher ihrer beiden Heldinnen in dem kleinen Roman „Liebesgeschichte“ hat sich Louise de Vilmorin wohl mehr hingezogen gefühlt? Zu Catherine Valle-Didier, eine „verheiratete Frau, (die) zur Verschwiegenheit neigte“ und ihre Verliebtheiten „niemals zur Schau (trug), denn der häusliche Friede sollte gewahrt bleiben“? Oder zu Marise Lejeand, „die keinen Ehemann mehr hatte, ein recht offenes Leben führte“ und die „Lust als kurzlebigen Zauber zelebrierte“? Schwer zu sagen, denn die im Frankreich der 1950er- und 1960er-Jahre sehr bekannte Schriftstellerin vereinte Anteile beider Figuren in sich.

1902 als Gräfin Louise Léveque de Vilmorin geboren, führte sie bis zu ihrem Tod 1969 ein bewegtes Leben, ihre Liebesaffären waren heftig und zahlreich. Antoine de Saint-Exupéry war ihr Verlobter, doch geheiratet hat sie dann einen anderen: Zwölf Jahre hielt die 1925 geschlossene Ehe mit dem reichen amerikanischen Immobilienmakler Henry Leigh Hunt, drei Töchter wurden in Las Vegas geboren. Ein Jahr nach der Scheidung heiratete Vilmorin einen ungarischen Grafen und Playboy, nach nur wenigen Monaten folgte Scheidung Nummer zwei. Von nun an besiegelte Louise de Vilmorin ihre Lieben nicht mehr mit dem Trauschein.

Sie selbst gehörte zum Kreis der Künstlerinnen und Intellektuellen ihrer Zeit, ebenso wie ihre späteren Lebensgefährten und Liebhaber, darunter Jean Cocteau und André Malraux. Letzterer animierte sie in den 1930er-Jahren zum Schreiben. Ihre literarischen Salons, zu denen sie auf dem Schloss ihrer Familie in der Nähe von Paris einlud, waren legendär. Zu ihrem Freundeskreis zählten Anaïs Nin, Françoise Sagan, Coco Chanel, Maria Callas und Max Ophüls, der 1953 ihren berühmtesten Roman „Madame de…“ verfilmte. Unter dem Titel „Die Liebe ihres Lebens“ kam der Film auch in die deutschen Kinos.

Um Liebe, Verführung, Sehnsucht und Täuschung geht es in Louise Vilmorins Büchern. Und immer geht es bourgeoise, zuweilen aristokratisch zu: Es sind die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die sie so gut kennt und die sie mit spitzer Feder beschreibt. Feine Ironie, trockener Humor, eine einfache, klare Sprache sind auch die Ingredienzen des 1955 erschienenen Romans „Histoire d‘aimer“, den der Dörlemann Verlag jetzt wieder auf Deutsch vorgelegt hat: „Liebesgeschichte“ ist eher eine Novelle, so schmal ist der Umfang, so überschaubar das Personal, fast parabelartig verdichtet erscheint die erzählte Geschichte.

Die sehr unterschiedlichen Freundinnen Catherine Valle-Didier und Marise Lejeand begegnen bei einem gemeinsamen Urlaub einer älteren Dame, die ihnen die Geschichte ihres Enkels Peter von L. erzählt. Es ist eine romantische Geschichte von unbedingter Liebe, ein Märchen fast. Sie mündet darin, dass Peter von L. nichts wisse vom plötzlichen Tode seiner Geliebten, man verschweigt ihm die Nachricht noch, überzeugt, er würde die furchtbare Wahrheit nicht verkraften. Die alte Dame bittet die beiden Frauen, den Rest des Urlaubs in ihrem Haus an der Küste zu verbringen, wo Peter sich gerade aufhalte. Die beiden sagen zu, und von nun an entspannt sich ein Reigen der Täuschungen, falschen Hoffnungen und Verführungen.

Denn Peter von L. erweist sich als ein überaus hübscher, charmanter und geistreicher Gastgeber. Beide Frauen ringen um seine Gunst, überzeugt davon, nur eine neue Liebe könne ihn von der verhängnisvollen Hingabe an eine Tote befreien.

„Aus Angst, dass Marises Heiterkeit Peter von L. zusagen könnte, betrat Madame Valle-Didier den Salon lachend, während Madame Lejeand aus Sorge, dass Catherines Ernsthaftigkeit den schönen Mann betören würde, nachdenklich und distanziert erschien. Und so gab die eine jeweils die Karikatur der anderen ab.“ Diese feine Ironie, der genaue und zugleich distanzierte Blick auf die Geschehnisse durchziehen das ganze Buch. Mit offenbarem Vergnügen an dem sinnlosen Wettkampf ihrer beiden Heldinnen treibt Vilmorin die Situationen auf die Spitze – trifft aber einen realen Kern.

„Liebesgeschichte“ ist ein Roman, der einerseits ganz von seiner Zeit und einem bestimmten Milieu geprägt ist. Die Sprache und der Stil wirken auf sympathische Weise unmodern, denn die bourgeoise-aristokratische Gesellschaft, die Vilmorin beschreibt, existiert so nicht mehr. Dennoch bereitet die Lektüre großes Vergnügen, denn der leichte, spitze Witz, die geschliffenen Dialoge – das funktioniert auch heute noch.

Am Ende wird in „Liebesgeschichte“ alles ganz anders sein als gedacht. Mit dem sehr schön gestalteten Büchlein ist hier eine Autorin zu entdecken, deren Werk an die zwanzig Bücher umfasst und die in Frankreich bis heute große Anziehungskraft besitzt. Kürzlich erschien dort eine Biografie, ihr Briefwechsel mit Jean Cocteau wurde ebenso ediert wie ihre Korrespondenz mit Duff und Diana Cooper. Sir Alfred Duff Cooper war britischer Botschafter und galt vor seiner politischen Karriere als großes literarisches Talent. Der Briefwechsel der drei offenbart eine ungewöhnliche ménage à trois. Louise de Vilmorin kannte die Wirrungen und Irrungen, über die sie schrieb. Sicher waren sie im realen Leben nicht immer so heiter. Aber vieles in ihrer Biografie war romanwürdig.

Titelbild

Louise de Vilmorin: Liebesgeschichte.
Übersetzt aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky.
Dörlemann Verlag, Zürich 2009.
128 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783908777373

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