Schein und Sein

Alberto Manguels Geschichte über die ungestrafte Grausamkeit der Mächtigen

Von Heiko SeibtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heiko Seibt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seinem ersten Roman "Im siebten Kreis" erzählt der 1948 in Buenos Aires geborene Schriftsteller Alberto Manguel die Geschichte des pensionierten Polizeioffiziers Antoine Berence, der mit seiner Familie in einem Badeort an der Küste von Quebec ein zurückgezogenes Leben führt. Berence ist eine angesehene Persönlichkeit in der Gesellschaft von Percé und zeigt sich in der Öffentlichkeit als liebevoller Vater und Ehemann, doch die scheinbare Idylle trügt. Seine Frau Marianne leidet unter Depressionen und spricht kaum ein Wort, nicht einmal zu ihrer Tochter. Über seine Vergangenheit und ehemalige Tätigkeit als Polizeioffizier in Buenos Aires schweigt er, auch vor seiner Familie. Als jedoch eine Bombe sein Haus zerstört und seine Frau bei diesem Anschlag ums Leben kommt, wird ihm klar, dass damit alte Rechnungen beglichen werden sollen, dass das Attentat ein Akt der Vergeltung war.

Gleich im Anschluss an den Bombenanschlag springt Manguel in der Zeit zurück und ändert die Erzählform. Er lässt Marianne die Ereignisse schildern, die sich vor dem Anschlag und vor der Zeit in Percé zugetragen haben, auch solche, von denen Antoine Berence gehofft hatte, er könne sie vor seiner Frau verheimlichen.

Marianne erzählt von ihrer Kindheit in Algerien, wo sich ihre aus Frankreich stammende Familie zur Oberschicht zählen darf. Einheimische spielen in ihrem Leben nur eine untergeordnete Rolle. Es ist eine unruhige Zeit, in der Ausschreitungen gegen die mächtigen Franzosen im Land ebenso alltäglich sind wie die brutalen Bemühungen, alle Mitglieder rebellischer Untergrundorganisationen ausfindig zu machen, gleichgültig mit welchen Mitteln. Immer wieder werden Menschen verhaftet, und weder Angehörige noch Freunde hören je wieder von ihnen.

Eines Tages lernt Marianne den zehn Jahre älteren Antoine Berence kennen, der wie Marianne kein Verständnis für den algerischen Unabhängigkeitskampf hat, wenn auch aus anderen Gründen. Während Marianne Algeriens Unabhängigkeit einzig und allein deshalb ablehnt, weil sie beinahe ihr ganzes Leben hier verbracht hat und sich nun keine Veränderungen mehr wünscht, ist Antoine der festen Überzeugung, dass es sich bei den Rebellen um "Verirrte" handle. In Antoine findet Marianne einen interessierten Zuhörer und geduldigen Lehrer, dessen Gegenwart ihr anfangs ein Gefühl von Sicherheit und Schutz schenkt. Erst nach einigen Jahren Ehe erfährt Marianne durch Zufall, dass ihr Ehemann als Foltermeister tätig ist. Sie wird unbemerkt Zeuge seines bizarren Unterrichts und sieht sich plötzlich einem Menschen gegenüber, der sich in seiner Kaltblütigkeit gänzlich von dem unterscheidet, den sie einmal zu lieben glaubte. Damit beginnt Mariannes allmähliches Verstummen.

In seinem Roman erschafft Alberto Manguel Figuren, die sich allesamt weit von ihrer Fassade entfernen. "Im siebten Kreis" ist eine Geschichte über die ungestrafte Grausamkeit der Machthaber, die durch selbstgefällige Rechtfertigungen der Täter und ihre offensichtliche Reuelosigkeit umso erschreckender anmutet.

Titelbild

Alberto Manguel: Im siebten Kreis. Dtsch. v. Chris Hirte.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
271 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3499225999

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