Japanische Traumwelten für verständnislose Europäer

„Aus dem Schattenreich“: Hyakken Ushida präsentiert klassische japanische Phantastik

Von Stefan CernohubyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Cernohuby

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literatur, die sich auf kulturelles Erbe bezieht und dabei aus völlig anderen Breiten stammt als der Leser, stellt stets eine Herausforderung dar. Gerade die japanische Kultur unterscheidet sich von jener des Abendlandes deutlich. Zu erkennen ist dies auch in Hyakken Uchidas Werk „Aus dem Schattenreich“, das 19 Erzählungen beinhaltet, die von Traumgeschichten und dem Seltsamwerden der Welt berichten.

Ein Mann erwacht und stellt fest, dass er zu einer Art Fabeltier geworden ist. Er besitzt nun einen Rinderkörper und ein Menschengesicht. Dabei handelt es sich allerdings um ein Tier, von dem alle eine bedeutende Prophezeiung erwarten, weswegen er nun auf Schritt und Tritt verfolgt wird. Ein anderer Mann arbeitet als ehrerbietiger Deshi (Schüler) bei seinem Meister und begeht einen folgenschweren Fehler. Auf einem Damm beobachtet ein Mann mehrere Gestaltwandler und ist sich sicher, dass eine alte Frau ein böswilliger Fuchs ist – was fatale Folgen für ein Kleinkind hat. Außerdem werden Konflikte zwischen unterschiedlichen Völkern dargestellt: Weder die Chinesen noch die christlich geprägten Völker kommen dabei sehr gut weg. Andere Erzählungen drehen sich um seltsame Begebenheiten wie den eigenen Tod, Begegnungen mit niemals geborenen Brüdern und furchteinflößende Nächte.

Uchida ist kein aktueller japanischer Autor, sondern verfasste seine Geschichten Anfang des 20. Jahrhunderts. So stammen beispielsweise alle Erzählungen in diesem Buch aus dem Jahr 1921. Doch nicht das Alter der Schriftstücke ist es, das den Leser verwirrt, sondern vielmehr die Art der Konstruktion. Man ist als westlicher Leser stets einen gewissen Aufbau einer Erzählung gewohnt. Man erwartet einen Spannungsbogen und eine Schlusspointe. Und gerade letztere gibt es in 90 Prozent der Fälle nicht – oder man ist nicht in der Lage, sie zu verstehen. Wenn eine Geschichte mit den Worten „Ich muss ständig über Vergangenes grübeln“ endet, entspricht das nicht den üblichen Erwartungen an den Schluss einer Story. Auch die sicherlich zahlreichen Anspielungen, die in den Erzählungen versteckt sind, sind nicht identifizierbar. Ein Hund bellt, eine Krähe krächzt, ein Fluss wird überquert – und weiter? Befände sich nicht am Ende des Buchs ein Abschnitt, in dem viele der enthaltenen Wortbilder erklärt werden, käme man nicht umhin, sich zu fragen, ob gewisse Geschichten überhaupt eine Aussage enthalten. Doch auch so kommt beim Lesen keine Begeisterung auf. Zu fremd sind die Metaphern, zu fern liegen europäischen Lesern die angedeuteten Gedankensprünge, die die Texte enthalten. Insofern ist das Werk nur jenen Lesern zu empfehlen, die sich schon eingehend mit Japan, seiner Gedanken- und Traumwelt sowie seinen Metaphern auseinandergesetzt haben. Ist das der Fall, steht dem Lesegenuss vermutlich nicht mehr viel im Weg. Alle anderen werden nicht allzu viel mit dem Werk anzufangen wissen.

Titelbild

Hyakken Uchida: Aus dem Schattenreich. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Japanischen von Lisette Gebhardt.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009.
170 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783421044228

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