Der Gesandte des Großen Prinzips

Eine graphic novel von Fred Vargas und Edmond Baudoin, die sich mit dem Übersinnlichen beschäftigt

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Grégoire ist ein Gelegenheitsdieb. Eigentlich sammelt er viel lieber Kronkorken für seinen Vater, heißt es gleich am Anfang. Aber dann lässt er sich von Vincent doch überreden, den alten Mann zu bestehlen, ihm nachzugehen, ihn zu überfallen. Sie schnappen sich seine Tasche. Vincent macht sie auf: „Himmel, Arsch“, sagt er, „dreißigtausend Eier“. Aber in der Tasche ist noch mehr: Bücher über das Wahrsagen und das Unsichtbare, handgeschriebene Blätter mit Titeln wie „Die Pforten des Wissens“, drei oder vier Haarsträhnen in einer Plastiktüte. Dazu Schraubenzieher, ein Tarotspiel, ein Kompass, ein Löffel, Ausweise für eine Bibliothek, eine Kantine, die Polizei – alle auf verschiedene Namen ausgestellt. Kieselsteine, eine Vogelkralle, ein Schädel, ein Kamm, eine Geweihsprosse, eine Schachtel mit Fragmenten von Zähnen. „Was soll dieser ganze Scheiß?“, murmelt Vincent.

Er wird es nicht erfahren, denn kurz nach dem Diebstahl ist er tot. Am nächsten Morgen geht Grégoire zu ihm, um sich die widerliche Tasche anzusehen und findet Vincents Leiche. Er holt die Tasche aus ihrem Versteck und verschwindet. Auftritt Kommissar Adamsberg, der Wolkenschaufler, den man schon aus anderen Krimis von Fred Vargas kennt: „Sieht nach nichts aus und dreht dir sachte die Luft ab, während er vor sich hin träumt. Konfus, lässig, aber gefährlich.“

Denn wie immer bei Vargas gibt es einen geheimnisvollen Kriminalfall, der sich mit dem Übersinnlichen beschäftigt, mit dem Sinn des Lebens, mit den Beziehungen zwischen den Menschen und in einer Familie. Und mit der Liebe. Und dem Tod. Hier zelebriert von einem Serienkiller, der „der Widder“ genannt wird und der sich für den „Gesandten des Großen Prinzips“ hält, was immer das sein mag. Angenehm ist es nicht, soviel ist klar, denn an seinen Opfern lässt er vor allem auch schön ziselierte Schnittwunden zurück.

Grégoire wird gejagt, verschwindet aufs Land, seine Familie beschützt ihn, sein braver angepasster Bruder, der in einer Bank arbeitet, sein Vater, der aus farbigen Bierdosen und Kronkorken eine verrückte überdrehte Skulptur von Bernini nachbastelt. Da ist schließlich das Mädchen Estelle, das eine etwas geheimnisvolle Rolle spielt, von der man lange nicht weiß, ob sie Grégoire hilft oder ihn in eine Falle lockt. Und da ist vor allem Baudouin.

Baudouin ist ein in Frankreich berühmter Künstler, der Comics zeichnet, bandes dessinés, graphic novels. Bei uns ist das noch keine Kunstform wie in den Nachbarländern, deswegen hat wohl auch der Verlag, der die deutschen Rechte an Fred Vargas’ Werk besitzt, das Buch als Roman von Vargas „mit Zeichnungen von Baudouin“ ausgegeben, statt es als gemeinsames Werk zu präsentieren, wie es sich gehört. Denn Bild und Text gehören nun mal zusammen, das Bild ist nicht der Diener des Textes.

Leider malt Baudouin seine Bildtexte in einem stark verwischten, sehr düsteren Schwarz-Weiß-Stil, so dass die Personen zu Schemen und dunklen Gestalten werden, selbst dort, wo sie strahlen müssten. So verwischt er auch die taghelle Mystik Vargas’ (so hätte Robert Musil sie genannt), die nicht nur das dunkle Rätsel beschreibt, den finsteren Abgrund, sondern mit ihren Personen und Geschichten auch die helle Seite immer mit entwirft. Zudem erzählt er die Story manchmal zu hektisch, und er überzeichnet die Personen teilweise zu Karikaturen. Schade, denn die kleine Geschichte von Fred Vargas hätte schon einen kongenialen Zeichner vertragen können.

Titelbild

Fred Vargas: Das Zeichen des Widders.
Mit Zeichnungen von Edmond Baudoin.
Übersetzt aus dem Französischen von Julia Schoch.
Aufbau Verlag, Berlin 2008.
230 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783351032500

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