Luminose Botanik

Julien Offray de La Mettrie erkennt den Menschen als Pflanze

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als sich das 20. Jahrhundert im Schatten des Nationalsozialismus zu verdunkeln begann, schrieb Rosa Mayreder an ihrem Alterswerk. Größere Differenzen wie diejenigen zwischen den Völkermördern im Zeichen des Hakenkreuzes und der österreichischen Feministin lassen sich kaum denken. Galt den einen die eigene ‚arische Rasse‘ als Krone der Evolution, so sah die andere in friedvollen Pflanzen ideale Lebewesen. An ihnen sollten sich die Menschen oder doch zumindest die menschliche Moral orientieren. Dass Mayreder zu Zeiten der Nazi-Tyrannei kaum auf die Publikation ihres Buches hoffen durfte, versteht sich. Vermutlich wäre der Band auch unter nicht rassistisch verblendeten ZeitgenossInnen auf wenig Verständnis gestoßen. Tatsächlich konnte ihr auch heute noch originelles Buch mit dem Titel „Der letzte Gott“ erst im vergangenen Jahr erscheinen. Und auch heute noch dürfte Mayreders Empfehlung, es den Pflanzen gleich zu tun, bei vielen Menschen auf Befremden stoßen.

Rund zweihundert Jahre zuvor hätte Julien Offray de La Mettrie, der von Friedrich Albert Lange, dem Urvater des Marburger Neukantianismus, in dessen „Geschichte des Materialismus“ nicht zu Unrecht als „Prügelknabe des französischen Materialismus“ gezeichnet wird, sicherlich wenig Anstoß an der Engführung mit dem Reich der Fauna genommen. Galten ihm Menschen doch sowieso als Pflanzen, wie er in einem schmalen Bändchen erklärte, welches das aus Frankreich geflüchtete enfant terrible der Aufklärung 1748 unter dem Schutze Friedrich des Großen im Preußischen Exil publizierte, ohne sich weiter daran zu stören, dass er den Menschen in einem kaum umfangreicheren Büchlein gerade erst zur Maschine erklärt hatte. „L’homme machine“ gilt seit zweieinhalb Jahrhunderten als das Hauptwerk La Mettries und wurde entsprechend oft in alle möglichen Sprache übertragen. So auch im Laufe des 19. Jahrhunderts in die deutsche. Hingegen sollte es bis ins Jahr 2009 dauern, bis nun endlich auch sein weitaus unbekannterer Text „L’Homme-Plante“ auf Deutsch vorliegt. Dass dies nun überhaupt geschah, ist der Kooperation zwischen der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, der Universität Salzburg und der Akademie Berlin-Brandenburg sowie der Editorin Maria Eder zu verdanken. Und natürlich Gabriele Blaikner-Hohenwart und Hans Goebel, den ÜbersetzerInnen.

Felix Unger, Heinrich Schmidinger und Günter Stock haben im Namen der drei genannten Körperschaften ein Vorwort zu dem zweisprachigen Band verfasst, in dem sie versichern, dass das Werkchen auch heute noch „zahlreiche interessante Denkanstöße“ bietet. Derlei ist Usus, wenn man eine Publikation nicht allein mit historischem oder ideengeschichtlichem Interesse rechtfertigen möchte. Doch so verkehrt ist das im vorliegenden Falle gar nicht. Vor allem zweierlei ist aus heutiger Sicht bemerkenswert: Zum einen, dass La Mettrie die scharfe Trennung zwischen Tier und Pflanze in Frage stellt und fließende Übergänge oder genauer gesagt: ein Ineinanderfließen von Flora und Fauna annimmt. Interessant ist das gerade heute darum, weil seit jüngstem einige MikrobiologInnen wie Lynn Margulis zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wenn auch auf ganz anderen, nämlich empirisch abgesicherten Grundlagen.

Doch auch der Aufklärer beließ es nicht bei der bloßen, halb augenzwinkernden Spekulation, sondern argumentierte durchaus biologisch, wenn er auf die Morphologie Bezug nehmend erklärte, „die Verhältnisähnlichkeit (Analogie) zwischen dem Bereich der Pflanzen und jenem der Tiere hat mich entdecken lassen, dass man die wichtigsten Teile des einen im anderen vorfindet.“

Das also wäre die eine der beiden heute bemerkenswerten Argumentation La Mettries. Die zweite hängt unmittelbar mit dieser zusammen. Denn die Parallelisierungen zwischen Pflanzen und Tieren zieht er aus deren Geschlechtlichkeit und der Ähnlichkeit von Form und Gestalt der Geschlechtsorgane, denen er sich im ersten Teil seines kurzen Textes widmet, während sich die im zweiten Teil eingeräumten Unterschiede zwischen Pflanzen und Menschen implizit auf ein allgemeines ungeschlechtliches Menschenwesen und auf die Frage der Seele beziehen.

Selbstverständlich wird das Bändchen künftig in kaum einer philosophischen Bibliothek deutscher Universitäten fehlen. Auch wer Kuriosa zu schätzen weiß, wird Freude an ihm haben.

Titelbild

Julien Offray de la Mettrie: L'Homme-Plante - Der Mensch als Pflanze.
Übersetzt aus dem Französischen von Gabriele Blaikner-Hohenwart und Hans Goebl.
Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaft, Weimar 2008.
67 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783897396067

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