Blut, Orden, Geld

Warum nennt die Bundesregierung den Krieg in Afghanistan „Stabilisierungseinsatz“?

Von Dirk KaeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Kaesler

In Afghanistan engagiert sich eine Internationale Schutztruppe in einem „Stabilisierungseinsatz“, sagt Franz Josef Jung (CDU), deutscher Verteidigungsminister. Nachdem bis Monatsmitte bereits 46 ausländische Soldaten am Hindukusch getötet wurden, rangierte der Juli 2009 als der bislang „verlustreichste“ Monat seit Beginn des Einsatzes vor acht Jahren. Am 29. April 2009 verstarb zum ersten Mal ein deutscher Soldat in einem Gefecht, bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Textes sind insgesamt 27 Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan zu Tode gekommen.

Am 6. Juli 2009 verlieh die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dr. Angela Merkel, erstmals das neue „Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit“. Diese Ehrenkreuze werden verliehen an Soldaten, die etwas geleistet haben, das „weit über das erwartete Maß an Tapferkeit im Rahmen der Pflichterfüllung hinausgeht“. Die zuerst Ausgezeichneten sind vier Soldaten, die sich nach einem Selbstmordanschlag in Afghanistan um ihre verwundeten Kameraden unter Lebensgefahr gekümmert haben.

Die Diehl BGT Defence GmbH & Co. KG ist ein führendes Unternehmen auf dem Gebiet der Verteidigung und mit seinen rund 1630 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie einem Jahresumsatz von ca. 420 Millionen Euro das größte Tochterunternehmen der Diehl-Gruppe. Hauptsitz des Unternehmens ist Überlingen am Bodensee. Das Produktportfolio der Firma wird vor allem durch suchkopfgelenkte Flugkörper, intelligente sowie konventionelle Munition und Trainingssysteme bestimmt.

Der Bund, also seine Steuerzahler, hat bisher in 21 Fällen Lebens- und Unfallsversicherungsleistungen für getötete Soldaten übernommen, weil die Versicherer die Zahlung verweigerten. Sie bezogen sich bei dieser Weigerung auf die so genannte „Kriegsklausel“, der zufolge Zahlungen der so genannten „Todesfallleistungen“ ausgeschlossen sind, wenn „die Schädigung unmittelbar oder mittelbar durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse verursacht wird“. Das Verteidigungsministerium kritisiert die Diskrepanz zwischen dem versicherungsrechtlichen und dem völkerrechtlichen Verständnis des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Die Versicherungen behaupten, es sei Krieg in Afghanistan, und darum zahlen sie nicht. Die Bundesregierung sagt, es handele sich um einen Stabilisierungseinsatz, und darum müssten die Versicherungen eigentlich zahlen. Bis zur gerichtlichen Klärung jedoch „springen“ wir Steuerzahler „ein“, auf der Grundlage des Soldatenversorgungsgesetzes, das den Bund zu einem „angemessenen Schadensausgleich“ verpflichtet.

Bei der Erstverleihung des neuen Tapferkeitsordens betonte die Kanzlerin, dass diese Auszeichnung eine wichtige Neuerung sei, und dass eine Armee „im Einsatz“ eine solche Auszeichnung brauche. Seit Anfang der 1990er-Jahre seien insgesamt 260.000 Soldaten der Bundeswehr im Ausland „im Einsatz“ gewesen, sie leisteten damit einen „Einsatz“ für „Stabilität und Frieden, Sicherheit und Wiederaufbau“, diese dienten „den nationalen Sicherheitsinteressen“.

Bei der aktuellen Listung der großen deutschen Familienunternehmen fiel die Diehl Stiftung & Co. KG mit ihren vier Teilkonzernen (Metall, Controls, Defence, Aerosystems) und ihrem erwirtschafteten Umsatz von 2,1 Milliarden Euro von Platz 75 im Vorjahr auf den 82. Platz. Nicht wesentlich besser sah es aus mit der Rheinmetall AG, die vom 100. Platz auf Platz 122 fiel, trotz ihres Umsatzes von 3.869 Millionen Umsatz. Mal sehen, ob es für beide Unternehmen im Jahr 2010 wieder besser aussieht, scheint doch gerade der Unternehmensbereich Defense eine zweistellige Rendite beim Ergebnis vor Steuern und Zinsen zu versprechen. Der soeben abgeschlossene Liefervertrag für den Schützenpanzer „Puma“ und das gepanzerte Fahrzeug „Boxer“ bieten dem größten europäischen Anbieter von Heerestechnik eine solide Beschäftigungsbasis, wie Klaus Eberhardt, der Vorstandsvorsitzende von Rheinmetall zu vermelden weiß. Gut drei Milliarden Euro kostet das derzeit in Europa bedeutendste Heeresbeschaffungsprojekt.

Die Tochter des Pfarrers Horst Kasner muss es wissen, dass das Kreuz des Christentums seit dem Massaker von 782 nach Christus durch die Soldateska des auch deswegen so genannten Karl „des Großen“ in Verden an der Aller zum Symbol des gegenseitigen Schlachtens im Namen des christlichen Gottes geworden war. Nicht nur in den Kreuz-Zügen, auch noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurden die Waffen der Reichswehr durch christliche Funktionsträger im Namen des Kreuzes gesegnet. Angela Merkel lächelte dennoch unbesorgt, als sie das „Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit“, das in seiner Gestaltung dem „Eisernen Kreuz“ des Karl Friedrich Schinkel verblüffend ähnlich sieht, an den Hauptfeldwebel Henry Lukacz aus Jena und seine drei Kameraden vom Fallschirmjägerbataillon 263 heftete. Der goldgeschmückte Lukacz jedenfalls ließ in seinen Interviews keinen Zweifel über den Charakter seines Tuns in Afghanistan: „Das bedeutet kämpfen, schießen, dass Menschen getötet werden.“

Oberstarzt Karl-Heinz Biesold, Leiter der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotraumatologie beim Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, berichtet von einem seiner Patienten, dass dieser sich in eine menschenleere Gegend flüchtet, weil er nur dort sicher vor dem Geräusch von Hubschraubern ist. Menschen mit einer „Posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS) gehören zur größten Krankengruppe innerhalb des deutschen Afghanistan-Kontingents, mit der Fallzahl von 1.100 Soldaten ist ihre Zahl sechsmal so hoch wie die der Schussverletzten. Diese Menschen erleben sich im Krieg, sie haben Schwierigkeiten damit, dass ihnen ihr Befehlshaber sagt, dass sie an einem „humanitären Stabilisierungseinsatz“ teilgenommen haben.

Der führende Systemanbieter für gepanzerte Rad- und Kettenfahrzeuge in Europa heißt Krauss- Maffei Wegmann (KMW). Mehr als 3.000 Mitarbeiter entwickeln, fertigen und betreuen von München und Kassel aus Gefechtsfahrzeuge für internationale Kunden in über 30 Ländern. Das als wegweisend geltende Produktportfolio reicht von Kampf- und Schützenpanzern über Artillerie- und Flugabwehrsysteme bis hin zu Pioniergeräten und -geschützen sowie luftverladbaren Radfahrzeugen. Alle Einsatzsysteme sind perfekt an die Ansprüche von Streitkräften im 21. Jahrhundert angepasst. Hierzu zählen der weltweit beste Minenschutz ebenso wie herausragende Durchsetzungsfähigkeit, Mobilität und Luftverladbarkeit. Im Fokus der Produktphilosophie stehen Zuverlässigkeit, Wirksamkeit, Modularität und langfristige Verfügbarkeit der Systeme. Synonym umfassendster Systemkompetenz ist der Kampfpanzer „Leopard“. 21 Länder haben sich für die Systeme der „Leopard“-Familie entschieden – eine weltweit einzigartige Quote, die zugleich die technologische Durchsetzungsfähigkeit des deutschen Unternehmens auf dem Weltmarkt unterstreicht.

Blut, Orden, Geld: Als wissenschaftlich geübte Medienkonsumenten sind wir unablässig dabei, Zusammenhänge zu suchen und zu identifizieren. Wie kann man es schaffen, nicht zynisch oder verzweifelt zu werden, wenn man glaubt, Zusammenhänge zu sehen? Wie bilden wir uns eine Meinung zu allen diesen Geschehnissen, die zumeist auch noch in unserem Namen geschehen? Gerade eben haben wir den 60. Geburtstag unseres Grundgesetzes gefeiert, in dessen Artikel 87a steht: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Bin ich gefragt worden, ob auch ich glaube, dass meine Freiheit am Hindukusch verteidigt wird? Oder geht es inzwischen mehr um die Verteidigung von Arbeitsplätzen im Wirtschaftssektor „Defense“?

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zu Dirk Kaeslers monatlich erscheinenden „Abstimmungen mit der Welt“.