Armer August in Arkadien

August von Goethes italienische Aufzeichnungen

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch Johann Wolfgang Goethes Sohn August war in Italien - und auch er hat wie schon Vater und Großvater zuvor seine Reise in Briefen und Aufzeichnungen geschildert. Diese wurden nun erstmals von Andreas Beyer und Grabiele Radecke herausgegeben. In ihrem Nachwort zu "August von Goethe, Auf einer Reise nach Süden" betonen die Editoren ihr Unverständnis darüber, dass Generationen von Forschern keinerlei Interesse an Augusts italienischen Eindrücken hatten. Augusts Aufzeichnungen lassen diese Missachtung allerdings nur zu verständlich erscheinen, denn der Sohn und Enkelsohn verfolgte im Unterschied zu Großvater und Vater weder literarische noch bildungsbürgerliche Ambitionen, sondern wollte einfach nur weg aus Weimar, wo die Last seines Hofamtes und die dominante Gestalt seines Vaters ihn beinah erdrückten. Hinzu kommt noch, dass Augusts Ehe mit Ottilie von Goethe ebenso zerrüttet war wie seine Gesundheit, die langsam vor Alkoholexzessen und Völlerei zu kapitulieren drohte.

Gleichwohl hatte Augusts Aufbruch im April 1830 nichts von der ungeplanten Flucht seines Vaters nach Italien. Im Gegenteil, mit dem getreuen Eckermann als Reisebegleiter begab er sich auf eine minutiös vorbereitete Tour, die über die Simplon-Passstraße nach Mailand, Venedig und Genua führte und schließlich in Neapel und Rom enden sollte. In seinen an den Vater gerichteten Briefen und Tagebuchaufzeichnungen gibt sich der Sohn redlich Mühe, die Städte und Sehenswürdigkeiten zu beschreiben, allein der dürren Prosa mangelt es nicht nur an Eleganz, sondern auch an narrativen Qualitäten. Der Hofbeamte August von Goethe liebt den Kanzleijargon für unendlich langatmige Beschreibungen der herrlichsten Städte und Kunstwerke. Durch die Kontakte des Vaters trifft er Manzoni und andere Persönlichkeiten der Zeit, kommt an Orte, die für den gewöhnlichen Reisenden unzugänglich gewesen wären, aber ein Funke springt nicht über. Nur wenn es um seine Laster geht, wird August von Goethes Beschreibung auf einmal lebhaft: Essen und Trinken, Osterien und Restaurants werden mit großer Anteilnahme und Liebe zum Detail geschildert. Die Dürftigkeit der Reisebeschreibung wird von den Herausgebern in ihrem Nachwort dadurch entschuldigt, dass es nach dem 'Ende der Kunstepoche' mit den Italienreisebeschreibungen sowieso nicht mehr weit her gewesen sei, was die Tatsache übergeht, dass sich in den letzten 170 Jahren zahlreiche Beispiele von elegant und gut geschriebenen Italienimpressionen finden lassen.

Mögen August von Goethes Aufzeichnungen auch nicht unbedingt eine literarische Neuentdeckung sein, sie geben doch Aufschluss über die Familiengeschichte des Hauses Goethe: In Augusts Briefen spielt sich das Drama des unbegabten Kindes eines brillanten und übermächtigen Vaters ab. Denn kindlich wirkt August von Goethe trotz seiner 40 Jahre in den Briefen an den Vater. Vor allem auf der ersten Hälfte der Reise schreibt der "treue Sohn", der in Italien dem Italienerlebnis seines Vaters hinterherjagt und sich permanent darüber beschwert, dass noch keine Briefe aus Weimar angekommen sind. Zudem sammelt er in Italien alles, was den Vater interessieren könnte und schickt es regelmäßig nach Weimar. Es scheint fast, als würde er für den Vater reisen. Dies ändert sich durch ein Zerwürfnis mit Eckermann, das zu dessen Abreise führte. Ein Unfall hat zur Folge, dass sich August von der vorgegebenen Reiseroute emanzipiert und nach Florenz fährt, welches eigentlich erst für den Rückweg eingeplant war. Die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten, die einst von Johann Wolfgang Goethe weitgehend ignoriert worden waren, werden von August genüsslich und fast ein bisschen überschwenglich beschrieben. Nun nimmt er auch Dinge wahr, die außerhalb der Touristenperspektive liegen, z. B. bemerkt und lobt er das liberale politische Klima der Toskana, das ihm sichtlich behagt. Wie schon in Florenz, so genießt er auch in Neapel die Cafes und das Straßenleben. August von Goethe ist zwar immer noch am glücklichsten, wenn er mit Landsleuten in einer deutschen oder schweizer Kneipe sitzen kann, aber gleichzeitig hat er zu einer eigenen Sicht des Landes gefunden. Als Resümee schreibt er am 16.10.1830 an den Vater, dass er zum ersten Mal in seinem Leben ein Gefühl der Selbstständigkeit empfunden habe. Ob sich dieses Gefühl in Rom, wo der lange Schatten des Vaters wesentlich nachhaltiger wirkte als in Florenz oder Neapel, sich hätte aufrecht erhalten lassen, ist nicht auszumachen. August von Goethe erkrankte kurz nach seiner Ankunft in der ewigen Stadt an einem Fieber und starb wenige Tage darauf. Wie aus den im Anhang abgedruckten Briefen hervorgeht, ergab die Obduktion, dass die eigentliche Todesursache darin lag, dass Augusts Körper durch übermäßigen Weinkonsum irreperabel geschädigt war.

So wurde der legendäre protestantische Friedhof an der Cestius Pyramide in Rom zur letzten Station von Augusts italienischer Reise. Die am Ende seines Lebens errungene Selbstständigkeit wurde ihm hier wieder genommen, denn auf dem von Thorvaldsen erstellten Grabstein, der ebenfalls im Band abgebildet ist, findet sich nicht sein Name, sondern lediglich Goethe Filius, Goethes Sohn, als Inschrift. Die allgemeine Betroffenheit, die in Goethes Bekanntenkreis herrschte, lässt sich aus mehreren im Anhang abgedruckten Briefen ersehen.

Insgesamt bietet "Auf einer Reise nach Süden" neben Augusts tagebuchartigen Aufzeichnungen und Briefen an den Vater einige Gegenbriefe, Briefe an Ottilie und Freunde, Eckermanns Briefe und einige andere Dokumente. Die Kommentare und Anmerkungen lassen jedoch Gründlichkeit und Ausführlichkeit vermissen. Dies gilt sowohl für die Reisebeschreibungen wie auch für die familiengeschichtlichen Bezüge. Hier wird zu oft versäumt, auf den Kontext von Augusts Ausführungen zu verweisen, dessen Kenntnis zu deren Einordnung unverzichtbar ist. Auch das Nachwort der Herausgeber ist nur mäßig erhellend. Sie heben vor allem darauf ab, dass in der Familie Goethe sowohl Vater und Sohn wie auch der Großvater den Traum einer italienischen Reise hegten und verwirklichten. Wären die Herausgeber nicht so stark auf die männlichen Mitglieder der Familie fixiert gewesen, wäre ihnen vielleicht aufgefallen, dass Ottilie von Goethe nach dem Tod von Ehemann und Schwiegervater mehrfach zu langen Italienaufenthalten aufgebrochen ist, in Rom Mittelpunkt einer kosmopolitischen Geselligkeit war und mehr Kenntnisse des Italiens der Italiener besaß als Vater, Sohn und Großvater Goethe zusammen.

Titelbild

August von Goethe: Auf einer Reise nach Süden. Hrsg. von Andreas Beyer und Gabriele Radecke.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
336 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3446193251
ISBN-13: 9783446193253

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch