Politpornografie

Hans Christoph Buch verhebt sich in seiner Erzählung „Tod in Habana“ an der Imitation literarischer Vorbildern

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenigen deutschen Erzählungen wird ihre Zugehörigkeit zum Kanon so selten bestritten wie Thomas Manns „Der Tod in Venedig“. Eine Reise in den Süden lässt das Gerüst von Disziplin, in dem sich der Schriftsteller Gustav von Aschenbach zum Leitbild der Jugend emporgeschrieben hat, schnell und gründlich zerfallen – nicht zuletzt daraus bezieht das Werk seine Spannung.

Sich dem Vergleich zu stellen, verlangt Selbstbewusstsein und ein hohes Maß an Können. Über ersteres verfügt Hans Christoph Buch, wenn er seine Erzählung „Tod in Habana“ nennt und seinen Protagonisten, den verglichen mit Manns Helden um ein „s“ amputierten Gustav von Achenbach, auf die letzte Reise schickt. Was das Können angeht, so fällt die Bilanz indessen weniger positiv aus. Buchs Achenbach, nun ein Architekt, ist moralisch von Beginn an recht locker – eine durchaus zeitgemäße Wendung, die allerdings die Figur ziemlich uninteressant werden lässt.

Wer Manns Erzählung auch nur oberflächlich kennt, wird bei Buch zwar viele Anspielungen finden. Wo aber Manns Aschenbach von den Boten des Morbiden erst überwunden werden musste, ist kein Grund erkennbar, weshalb sich Buchs liberalerer Held irgendwie grämen sollte. Das Spiel mit Verweisen mag germanistische Interpreten erfreuen, es mag auch den Anschein literarischer Bedeutsamkeit erwecken. Dem Text allerdings eröffnet es keine zusätzliche Bedeutungsdimension. Wenn Buch an einer Stelle etwas wahllos auch noch das Ende von Franz Kafkas „Process“ zitiert, so bestärkt er damit nur den Verdacht, ein leicht vampiristisches Verhältnis zur literarischen Tradition zu pflegen.

Sprachlich erreicht „Tod in Habana“ nirgends auch nur entfernt die Beschreibungsdichte von Mann oder Kafka. Die besten Passagen, in denen es etwa um den Verfall der Altstadt geht, könnte man wohlwollend als gelungen bezeichnen, ständen nicht auch sie in einem peinlichen Missverhältnis zu den Werken, mit denen verglichen zu werden Buch sich freiwillig und ohne literarische Notwendigkeit auferlegt hat. Die schwächeren lesen sich etwa so: „‚Damit wir uns richtig verstehen‘, sagte der Botschafter, während seine Vorzimmerdame und Sekretärin aus einer Silberkanne Kaffee einschenkte, ‚dies ist ein Hintergrundgespräch, aus dem Sie nicht zitieren dürfen, besonders was die Krankheit des MÁXIMO LÍDER betrifft, die hierzulande ein Staatsgeheimnis ist.‘“

Vertrauliche Bedeutungshuberei, eine Dame mit Silberkännchen, und als krönender Abschluss des Gesprächs der wohlwollende Tipp des Botschafters für den in einer vorangegangenen Nacht beraubten Achenbach, er möge doch besser seine Kreditkarte sperren lassen, als käme der ohne den höchsten deutschen Repräsentanten im Land nicht von alleine auf diese Idee: das ist so ungefähr der Realitätsgehalt, den man von dieser Erzählung erwarten kann. Das betrifft insbesondere die Beschreibung der kubanischen Wirklichkeit.

Buchs Schilderungen sind aus zwei Gründen unangenehm. Zum einen geht es ihm nicht um legitime politische Kritik, sondern um Denunziation. Es bedarf schon außerordentlicher Blindheit, Seite um Seite ein Verfallssymptom ans andere zu reihen, ohne auch nur ein einziges Mal das US-Embargo zu erwähnen, unter dem Kuba seit fast einem halben Jahrhundert leidet. Bei Buch sind die Probleme auf Kuba einzig die Folge eines verrückten Experiments von Fidel Castro. Warum die Bevölkerung die Revolution unterstützte, was erreicht wurde und was nicht, das vermag er nicht zu beurteilen. Es herrscht das Ressentiment, und damit eine gewisse Wahllosigkeit in der Kritik: Mal gilt, wie der Botschafter behauptet, Castros Krankheit als Staatsgeheimnis, mal macht sich der Erzähler über die Deklaration lustig, mit der der Rücktritt Castros und die Nachfolge durch seinen Bruder verkündet wird. Das Motto lautet: Hauptsache draufschlagen. Die Logik der Vorwürfe ist nachrangig.

Man könnte nun fragen, was diese politische Ebene mit Achenbachs Verlangen nach kubanischer Architektur und kubanischem Sex überhaupt zu schaffen hat. Handlungslogisch nichts – das seitenlange politische Geschwätz vermittelt, was der Autor wohl immer schon mal sagen wollte, bläst aber vor allem einen dünnen und wenig konsistenten Verlauf zum Buchformat auf. Doch galt Kuba vor der Revolution von 1959 als vorgelagertes US-Bordell und führte die Not nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Wirtschaftssystems um 1990 dazu, dass es auf Kuba wieder Prostitution gibt. Dies nun nutzt Achenbach weidlich aus. Vor allem sucht er Männer fürs Bett, doch auch Frauen verschmäht er nicht. Das ist der zweite Grund, weshalb diese Erzählung peinlich wirkt.

Thomas Mann führte seine Hauptfigur in den damals exotischen Süden Europas und gestaltete ein beziehungsreiches Ineinander von Selbstdisziplinierung und Begierde, bei dem nie ganz klar wird, was Realität ist und was nur Wunschprojektion Aschenbachs. Bei Hans Christoph Buch hingegen ist von Beginn an klar, dass Kuba vor allem als Ort zum Ficken taugt. Der Exotismus ist auf seine primitivste Schwundform reduziert, dabei ohne jede erkennbare Distanz. Bei Mann ist der Tod des Helden als Ausweg aus einem unlösbaren Konflikt lesbar – dass jedoch Buchs von einer Midlife-Crisis gezeichneter Architekt am Ende seinen Tod in der Umarmung eines Prostituierten genießen soll, ist literarisches Zitat und auftrumpfender Höhepunkt, ohne im mindesten durch Handlung oder Charakter vermittelt zu sein.

Gegen Sex ist so wenig einzuwenden wie gegen Politik. Die durch die US-Politik erzwungene Prostitution aber zum einen als Anklage gegen die kubanische Regierung zu benutzen, sie zum anderen exotistisch als eigentlicheres Dasein auszubeuten, das dem alternden, zuletzt impotenten Europäer nicht mehr zugänglich ist – das ist von schwer überbietbarer Peinlichkeit. Buch schwelgt im morbiden Verfall, den er auf Kuba zu erkennen glaubt, und benutzt ihn gleichzeitig zu einer blindwütigen Anklage der Regierung wie auch als literarische Reizerzeugungsmaschinerie. Ergebnis ist eine Erzählung, die sogar ohne den Vergleich mit ihrem unerreichbaren Vorbild als völlig misslungen bezeichnet werden muss.

Titelbild

Hans Christoph Buch: Tod in Habana. Eine Erzählung.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2007.
126 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783627001445

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