Fauler Voodoo-Zauber?

Nick Stone überfrachtet seinen Miami-Krimi

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die guten Krimis unterscheiden sich von den schlechten unter anderem dadurch, dass Leser in den guten nie den Eindruck bekommen, hier seien ganze Teile überflüssig. Und umgekehrt. Überfrachtung ist eines der Grundübel der Unterhaltungsschreiberei.

Hinzu kommt ein zweites Übel, das nämlich der mangelnden Konsistenz. Wenn Figuren unmotiviert ihren Charakter wechseln und Handlungsstränge abbrechen oder ihre Erzählrichtung wechseln, liegt die Vermutung nahe, dass der Autor seine Textfülle nicht wirklich beherrscht und gelegentlich den Überblick darüber verloren hat, wie sich den was zuzutragen hat.

Weniger ein Übel, denn eine Last ist schließlich die Neigung zur Worthülse, die im schlechteren Krimifall die Lektüre zum humoristischen Ereignis machen kann, so als ob ein Krimischreiber schreiben muss, was ein Krimischreiber schreiben muss.

Nick Stone verfällt diesen Übeln leider extensiv. So haben wir in „Der Totenmeister“ den Sohn einer haitianischen Magierin, der anfangs als Superlude auftritt, alles wunderbar organisiert und im Griff hat, aber zugleich der sadistischen Autorität seiner Mama unterworfen ist, die den Jungen mit außergewöhnlichen harten Bürsten abzuschrubben pflegt. Eine Ex-Prostituierte vermag ihn sogar in aller Öffentlichkeit abzukanzeln, ohne dass er sich dagegen wehrt. Und als er eine weitere seiner Ex-Damen in der Fleischabteilung eines Supermarkts hinter der Theke entdeckt, überlegt er sich sogar, ihr für den Neuanfang ein bisschen Geld zu spenden (obwohl er hingegangen ist, um ausstehende Schulden einzutreiben).

Oder der Große Böse im Hintergrund: Ein haitianischer Gangster, dem es mit Hilfe eines Partners in den höchsten Polizeispitzen gelungen ist, alle Hinweise auf seine Identität zu verwischen, gerät im Zuge von Ermittlungen, die zwei Polizisten auf eigene Faust anstellen, so unter Druck, dass seine Aktionen mehr von Panik als von der Minimierung der Verluste geprägt ist, mit anderen Worten, er verliert seine grausame Souveränität. Und auch das ganze Voodoo-Gezaubere hilft nicht mehr.

Auch einer der beiden Heldengestalten ist unplausibel inkonsistent: Max Mingus, Kronprinz des Departments, hat es sich in Absprache mit seinem Chef zur Gewohnheit gemacht, Beweise zu manipulieren und genehme Täter hinter Gitter zu bringen. Zum Ausgleich müssen dann die wahren Schuldigen per Privathinrichtung gestraft werden und verschwinden in den Everglades. Geläutert durch die Solidarität mit seinem schwarzen und legalistischen Partner Joe Liston und durch eine neue Frau, die in sein Leben tritt, schwört Max im Laufe des Romans nicht nur dem Alkohol- und Nikotinmissbrauch ab, sondern auch seinem allzu elastischen Verhältnis zur Legalität. Das geht zu schnell, zu abrupt und geht am Ende nur mit dem Hilfsargument auf, dass Joe Liston und Max Mingus eben leidenschaftliche Polizisten sind und sich vor allem der Gerechtigkeit verschrieben haben.

Die Geschichte mit der neuen Liebe ist auch deshalb ein wenig grenzwertig, da Mingus zu Beginn des Romans als heruntergekommene, verschwitzte und vor alle aus dem Mund stinkender Kerl geschildert wird, zumindest die olfaktorische Belastung innerhalb der Intimdistanz aber seiner neuen Freundin nichts auszumachen scheint. Genauer gesagt, sie taucht nicht mehr auf.

Kommen wir noch zu den Worthülsen, und dazu als Exempel ein wahrlich männlicher Dialog: „Max schüttelte den Kopf. ‚Ich habe so schon gute Chancen, einen Menschen zu verlieren, der mir wichtig ist. Ich will nicht zwei draus machen.‘ / ‚Du wirst niemanden verlieren‘, widersprach Joe. ‚Ich habe dich da reingebracht, ich hol dich wieder raus.‘ / ‚Er hat recht‘, sagte Eldon, ohne Joe anzusehen. ‚Keiner geht allein in die Hölle.‘“ Froh kann derjenige sein, der solche Kollegen sein eigen nennt. Unfroh ist nur derjenige, der das lesen muss.

Lässt man solche handwerklichen Schwächen und die Neigung Stones beiseite, immer noch einmal eine Vorgeschichte zu schildern, wenn es sich auch nur ansatzweise anbietet, und so seinen Roman auf Schmökerformat anschwellen zu lassen (was auch die Danksagungsorgie am Ende des Romans erklären mag – wieviele Leute so ein britischer Krimiautor kennt, unglaublich), dann hat „Der Totenmeister“ sogar einen hinnehmbaren Gruseleffekt: Da wird auf grausame Weise gemordet, und das auch noch in großer Zahl, zu alledem gibt es ein aufwendiges Magiespektakel, Zombies treten auf und Killer, die gern Bonbons essen. Recht und Gerechtigkeit sind willfährige Opfer von Polizisten, die nicht minder kriminell sind als die Gangster, gegen die es geht. Das Rechtssystem ist der Politik ausgeliefert, die alles von der hohen Warte der Staatsraison betrachtet oder von der des Nutzens des jeweiligen Akteurs.

Dagegen treten eben nur die wahren Gerechten auf, die – wie im Falle Max’ – allerdings erst noch erkennen müssen, dass sie eigentlich die Guten sind und deshalb nichts Böses tun sollen. Das mag der Reinigung der Seele und der Moral gleichermaßen dienen. Aber eigentlich sind solche Romane nicht wirklich akzeptabel, außer als Zeitvertreib. Und zu diesem Zweck ist ja fast alles erlaubt.

Titelbild

Nick Stone: Der Totenmeister. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Heike Steffen.
Goldmann Verlag, München 2009.
640 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783442468669

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