Hatz? Welche Hatz?

Jørgen Gunneruds Krimi „Hatz“ ist ein Ermittlungslangweiler

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Kriminralroman schöpft seine Spannung im Grundsatz aus dem Verhältnis von Tat, Täter und Ermittler. Das hat mit der Zeit dazu geführt, dass die Tätigkeit des Ermittlers selbst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten ist. Die zahlreichen Criminal-Science-Serien, die Pathologenkrimis der letzten Jahre und deren Gegenpart, die Detektivkrimis, zeugen nicht zuletzt davon. Dabei ist die Systematik der Ermittlung selbst eigentlich belanglos, im Vergleich zu der Frage, ob die Zeichenkette, die am Ende zu Täter führt, schließbar ist oder nicht und welches Menschen- und Gesellschaftsbild hinter der jeweiligen Lösung steckt.

Nun aber Jørgen Gunnerud: Er widmet sich in dem fälschlich überschriebenen Krimi „Hatz“ nichts anderem als dem Ermitteln. Ideologie? Epistemologisches zur Ermittlung? Nichts von alledem.

In einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche ist eine junge Frau, die als Nachtwache arbeitet, erstochen worden. Außerdem sind ein paar Gegenstände aus dem Heim gestohlen worden. Der Eindruck liegt also nahe, dass es sich hier um einen Unfall bei einem Einbruch handelt. Die Einbrecher haben nicht mit einer Nachtwache gerechnet, sind überrascht worden und dann ist das Ganze eskaliert. Dass die Ermittler, unter ihnen Kommissar Knut Moen, einen sichtlich unter Rauschmitteln stehenden Kleinkriminellen aus der Nachbarschaft ausfindig machen können, dessen Komplize sich anscheinend bei dem Bruch tödlich verletzt hat und bei dem schließlich sogar die Mordwaffe gefunden wird, weist darauf hin, dass diese erste Vermutung nicht abwegig ist.

Allerdings bekennt sich einer der Jungen aus dem Heim zur Tat, er kennt zwar viele der Details nicht, die die minutiöse Ermittlung der Polizei herausarbeitet. Aber er bezeugt, dass er der wahre Schuldige sei. Umso schlimmer, dass die Nachtwache zu den wenigen Beschäftigten des Heims gehörte, die sich für den Jungen ausgesprochen hatte, der als aggressiv und verhaltensauffällig gilt. Zwei Schuldige, zwei Tathergänge – beide sind aber letztlich für Moen nicht überzeugend. Zu viel von dem, was er und seine Kollegen herausfinden, spricht dafür, dass hier mehr im Spiel ist.

Da ist zum Beispiel ein junger Mann, der zwar verheiratet ist, aber dennoch ein Verhältnis mit der Nachtwache hatte, und der flieht, als ihn Moen näher befragen will. Und da sind noch weitere Einzelheiten wie Hinweise, die allzu offensichtlich versteckt waren, die darauf verweisen, dass es sich lohnt, weiter nachzuhaken. Schließlich und endlich haben Moen und sein Team – nach Wochen übrigens – Erfolg. Der Täter wird entlarvt, alles war natürlich ganz anders, als es anfangs zu sein schien. Und die Mühen, die Moen und Kollegen aufgewendet haben, lohnten sich schlussendlich. Wie denn auch anders?

Und an all diesen Mühen darf ein Leser auch fast ebenso minutiös und detailversessen teilnehmen wie die Krimifiguren selbst. Jeder Schritt der Ermittler wird aufgezeichnet, jede Besprechung, jedes Verhör, jede Bewegung, jeder Gang – so scheint es wenigstens – ist Gunnerud ein paar Sätze wert.

Und das führt dazu, dass die knapp 280 Seiten des Buchs umfasst, langwieriger und vor allem langweiliger erscheinen als so manch durchschnittlicher Krimi der Publikumsverlage. Gunneruds Erzählstrategie ist dabei vielleicht systematisch, aber sie ist keineswegs kurzweilig.

Steinchen wird auf Steinchen, Hinweis auf Hinweis, Frage auf Frage gesetzt, bis schließlich und endlich klar wird, wer hinter allem steckt, welche Persönlichkeit sich hinter der öffentlichen Fassade verborgen hält, wo der Täter die belastenden Hinweise versteckt hat und mit welchen Argumentationsweisen er sich rauszureden versucht. Die Erzählgeschwindigkeit ist dabei derart abgebremst, dass der Titel des Krimis, „Hatz“, mindestens als Versuch der ironischen Redeweise verstanden werden muss.

Angeblich ist Gunneruds Buch der beste norwegische Krimi des Jahres 2007, was auch nur ein Beleg dafür ist, dass Juroren auch nur Menschen sind und sich gründlich irren können. Und in diesem Fall haben sie sich definitiv geirrt, oder der Rest war noch viel schlimmer. Oder sollte es auch Freunde solcher Ärmelschoner-Krimis geben? Die stellt man sich gern vor, wie sie sich hektisch in einen Sessel platzieren, um dann atemlos der Hatz des Herrn Kommissar Moen auf den bösen, bösen Mörder zu folgen. So oder ähnlich wenigstens. Andererseits ist es auch vorstellbar, dass nach den ganzen blutrünstigen Schlächterromanen, die in den letzten Jahren aus Skandinavien nach Deutschland geschwappt sind, der Wunsch nach ein bisschen bodenständiger Kriminalarbeit und einem einfachen Mord ganz ohne Kulturkritik übermächtig geworden ist. Möglich wäre es immerhin.

Titelbild

Jorgen Gunnerud: Hatz. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Andreas Brunstermann und Gabriele Haefs.
Rotbuch Verlag, Hamburg 2009.
285 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783867890632

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