Das Messer im Rücken

Silvia Bovenschen schickt in ihrem Krimi-Debüt „Wer Weiß Was“ eine Kommissarin in den Ruhestand

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Silvia Bovenschen dürfte zu den renommiertesten KulturwissenschaftlerInnen und EssayistInnen des Landes zählen. Und dies schon seit einigen Jahrzehnten, hat sie doch nicht nur vor nunmehr genau dreißig Jahren mit ihrer Studie über die „imaginierte Weiblichkeit“ weit über feministische Kreise hinaus für Furore gesorgt, sondern sich auch mit einem damals innovativen Beitrag an der Diskussion um die Frage einer spezifisch weiblichen Ästhetik beteiligt. Später erwies sie sich zudem als Meisterin der Kleinen Form, zuletzt trat sie mit so lesenswerten Büchern wie „Älter werden“ und „Verschwunden“ hervor. Nun also ein Krimi.

Im Prolog gewährt die Autorin mit leicht angedunkeltem Humor Einblicke in das Innenleben eines frischgebackenen Mörders, der, soweit sich bis dahin sehen lässt, an sich kein schlechter Kerl zu sein scheint. Oder sollte es sich gar nicht um einen Kerl handeln, sondern um eine Frau, und es Ermittelnde wie Lesende mit einer Mörderin zu tun haben. Denn möglicherweise hat da ja „jemand die feministische Sprechreform nicht vollzogen“, wie die Erzählinstanz anheim stellt.

Schon auf der nächsten Seite entpuppt sich das meuchelmörderische Innenleben allerdings als Beginn eines Romans aus der Feder einer der Figuren. Klingt das nicht irgendwie bekannt? Richtig, Isabel Rohner lässt ihren Krimi „KunstmörderIn“ mit eben diesem Trick beginnen. Dann stellt sich aber schnell heraus, dass bei Bovenschen selbstverständlich doch alles ganz anders ist als bekannt und angenommen. Und ob der Prolog nicht doch aus dem Herzen des Mörders plaudert, ist längst nicht ausgemacht. Ihm vorgeschaltet ist jedenfalls noch ein Figuren-Verzeichnis, das neben dem Getöteten und dem Täter – oder der Täterin – auch sämtliche Verdächtigen und Ermittelnden und einigen anderen Figuren sowie vier Sprach- und Kommunikationsforschende auflistet, von denen man zwar herzlich wenig weiß, die sich aber jedenfalls mit „raumzeitlichen Einschränkungen“ herumschlagen müssen. Sie sind die (teilnehmenden?) Beobachter, wobei das generische Maskulinum in ihrem Fall nicht nur nichts über ihr Geschlecht aussagt; es ist nicht einmal ausgemacht, ob sie überhaupt eines haben beziehungsweise sind, womit wir schon mitten in der Gendertheorie wären.

Mag auch das Geschlecht des vierblättrigen Kleeblattes dunkel bleiben, so sind sie sind sie ganz eindeutig für ein bisschen Metaphysik und zusätzliche Sprachtheorie zuständig. Nach Figurenkabinett und Prolog kommt die Autorin sofort richtig zur Sache und zwar mit dem letzten Kapitel, das in diesem Fall das erste ist.

Angesiedelt ist der Roman im universitären Milieu, genauer gesagt, in einem Germanistischen Institut und dem Umfeld eines der Lehrstuhlinhaber, dessen Kollege, ein „Sprachwissenschaftler für Sprache und Literatur“, scheinbar auf dem Personalklo hinterrücks ermordet wurde, ohne dass seine Leichenteile allerdings auf die Fächer seiner KollegInnen verteilt worden wären, wie man es aus einem anderen Krimi-Debüt kennt.

Wie es einem ordentlichen Campus-Roman – denn das ist er natürlich ebenfalls – gebührt, brillieren das Werk und sein Personal mit profundem Wissen um die Literatur und der sich mit ihr befassenden Wissenschaften. Das aber wäre für eine Autorin vom Kaliber einer Silvia Bovenschen natürlich zu wenig. So gleicht sich darüber hinaus die literarische Form dem Inhalt immer mal wieder an, ohne sich dabei allerdings in Mimikry zu erschöpfen. Und was der Wissenschaft die Fußnote ist, ist der Erzählinstanz die Klammer.

Gehen andere AutorInnen des Genres gerne mit dämonischen Verbrechen hausieren, bietet Bovenschens schlechtestensfalls mal einen „Techniker des Bösen“. Menschliche Monster treten allenfalls in den Fernsehnachrichten auf, welche die Figuren nicht nur über das Welt- und Tagesgeschehen informieren, sondern den Lesenden zugleich ein zeitliches Setting der Handlung bieten. Und der Autorin wohl obendrein die Gelegenheit, durch die Stimme eines ihrer Kommissare ihrem Unmut über die „präpotente Unverfrorenheit“ einer bis zur Kenntlichkeit gezeichneten Moderatorin im Frühstücksfernsehen oder über einen Politiker, der im Hessischen um Stimmen kämpft, Luft zu machen. Dann und wann bringt sie auch noch längst überfällige Forderungen unter, wie etwa die nach einem „Niveauschutz“ für den Diskurs über Willensfreiheit.

Auch die im Beziehungsalltag ermattet ausgetragenen Partnerschaftsauseinandersetzungen, die sich kaum noch den Ehrentitel Geschlechterkampf anheften lassen dürfen, kommen nicht zu kurz. Immerhin finden sich hier ja die beliebtesten Mordmotive.

Zudem geistern zwar immer mal wieder gegenüber der universitären Untat weitaus aufklärungsbedürftigere „Bandenmorde“ durch den Roman. Eigentlich aber handelt er von einem „verfehlte[n] Experiment“ und von menschlichem „Verhängnis“, das in diesem Fall zwar nicht eben euripideischen Ausmaße erreicht, dafür aber nicht nur tief gestaltet, sondern ebenso leicht erzählt ist.

Vielmehr sei nicht gesagt, nur soviel noch:Nicht nur Lesende, die sich professionell mit Literatur befassen, werden eine mörderische Freude an Bovenschens phantastischem Buch haben, das mehr noch als die Nerven die Schmunzelmuskeln strapaziert. Wer aber wen ermordet hat, wird nicht verraten. Das Leben jedenfalls schreibt die schlechteren Krimis.

Titelbild

Silvia Bovenschen: Wer Weiß Was. Eine deutliche Mordgeschichte. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
333 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783100035158

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