Das Leben, das sie nie wollten

Richard Yates seziert in „Zeiten des Aufruhrs“ die amerikanische Mittelschichtsspießigkeit der 1950er-Jahre

Von Christina LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Langner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor bald 50 Jahren erschien in den USA Richard Yates’ erster Roman „Revolutionary Road“; er wurde mit beachtlichen Kritiken gewürdigt, was sich jedoch in den Verkaufszahlen keineswegs widerspiegelte. Tragischerweise sollte sich das auch mit Yates’ Folgeromanen ähnlich zutragen, in denen er immer wieder mit beißender Nachdrücklichkeit den amerikanischen Traum bloßstellt.

Dreizehn Jahre vor seinem Tod malte sich Richard Yates als ein altes, bärtiges Männchen, bucklig und traurig. Zwei gescheiterte Ehen, schriftstellerische Erfolglosigkeit, unbeherrschter Zigaretten- und Alkoholkonsum hatten ihn zu diesem seelisch und körperlich verwundeten Mann werden lassen. Das wahrlich Tragische daran: Erst einige Jahre nach seinem Tod im Jahr 1992 erlebte das Werk dieses vergessenen großen Schriftstellers eine Art Renaissance und wird heute einhellig als bedeutender Klassiker der amerikanischen Moderne gefeiert. Und Yates selbst hätte wohl als allerletzter darauf gewettet, dass sein Debütroman – in Deutschland unter dem Titel „Zeiten des Aufruhrs“ erschienen – mit dem Hollywood-Traumpaar Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen verfilmt wird.

Die Story seines ersten und – wie er selbst einmal urteilte – „besten Romans“ ist schlicht: Das junge Ehepaar April und Frank Wheeler lebt in den späten 1950er-Jahren in einer New Yorker Vorstadt. Sie haben ein kleines Haus mit Garten und zwei Kinder. Frank macht sich jeden Morgen auf zur Arbeit in die Stadt, während sich April um Haushalt und Kinder kümmert. Von außen betrachtet ist es die perfekte amerikanische Familie. Doch beide führen genau das spießbürgerliche Mittelschichtsleben, das sie niemals führen wollten. Frank hasst seinen Job und April glaubt fest daran, dass an ihr eine große Schauspielerin verloren gegangen sei. Beide verharren in ihren Träumen, deren Umsetzung immer unerreichbarer zu werden scheint – sie entfremden sich, natürlich betrügen sie sich und natürlich machen sie sich gegenseitig verantwortlich für ihr Scheitern. So ist es nicht die Story, die Yates Roman so anregend macht, sondern sein beeindruckend genauer Blick auf den Alltag dieses so typisch amerikanischen Paares, dessen Ehe von anfänglichen kleinen Streitereien, über lautstarke Auseinandersetzungen, langsam auf die Katastrophe hin zusteuert.

In einem Nachwort nennt Richard Ford „Zeiten des Aufruhrs“ eine bestechende Chronik der 1950er-Jahre – und das ist sie wahrlich. Beinahe peinlich genau bildet Yates die Seelenlage des amerikanischen Volkes nach dem Zweiten Weltkrieg beispielhaft am Leben des Ehepaars Wheeler ab. Hinter der eiscremefarbenen Fassade der Vorstadthäuser führen April und Frank unter dem allgemeinen gesellschaftlichen Konformitätsdruck ein erschreckend inhaltsloses Leben, dessen Gewöhnlichkeit selbst den Leser erdrückt. Erdrückt, aber auch ein bisschen entlarvt, denn trotz seiner Ansiedlung in einer vergangenen Zeit ist die Thematik aktuell geblieben und jeder – der eine mehr, der andere weniger – findet sich in dieser unerbittlichen Gesellschaftszeichnung wieder.

Titelbild

Richard Yates: Zeiten des Aufruhrs. Roman.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Hans Wolf.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008.
368 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783421056078

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