Anekdoten statt Analyse – eine verschenkte Chance

Christian Genzel lässt in „The Films of John Carpenter“ das Schaffen des Regisseurs Revue passieren und hält nicht, was er verspricht

Von Patrick BaumRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Baum

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der US-amerikanische Regisseur John Carpenter wird, neben Martin Scorsese, Brian de Palma, George Lucas oder Steven Spielberg dem so genannten New Hollywood zugerechnet. Charakteristisch für diese Generation von Filmemachern ist der Rückbezug auf die Tradition des Classical Hollywood und seine Konventionen. Diese Konventionen werden aber nicht einfach aufgegriffen, sondern, im Zuge der Liberalisierung Hollywoods, ,gebrochen‘, verschoben und erweitert. Von den anderen hier genannten Regisseuren unterscheidet sich Carpenter dadurch, dass er – stärker als jene – dem Genre-Kino und dessen Konventionen verhaftet geblieben ist. Seit 1974 hat er siebzehn Kinofilme sowie einige TV-Filme gedreht. Die meisten dieser Filme lassen sich dem Horror- und Science-Fiction-Film zuordnen, inkorporieren allerdings auch Motive anderer Genres, vor allem des Westerns.

Die dezidierte Verortung im Genre-Kino ist vielleicht auch die Ursache dafür, dass das Carpenter‘sche Schaffen bis heute höchst unterschiedlichen Bewertungen unterliegt. Genre-Filmen unterstellt man landläufig, dass sie sich in ihrer Konventionalität erschöpfen, und die Regisseure von Genre-Filmen werden in der Regel als ordentliche Handwerker angesehen. Entsprechend ist auch den Filmen John Carpenters lange Zeit vorgeworfen worden, sie seien zwar handwerklich solide, aber im Kern ideologisch reaktionär und lediglich ,Massenware‘. Erst seit jüngster Zeit ist das Werk Carpenters im Hinblick auf seine ästhetischen und narrativen Qualitäten vollends anerkannt, und der Regisseur gilt nun auch außerhalb von Frankreich als auteur. Die zunehmende Anerkennung findet ihren Ausdruck etwa darin, dass die American Cinemateque ihm 2002 eine Retrospektive gewidmet hat und die Library of Congress seinen Film „Halloween“ 2006 in die National Film Registry aufgenommen hat.

Nicht zuletzt aufgrund dieser wechselhaften Rezeptionsgeschichte ist die akademische Auseinandersetzung mit den Filmen John Carpenters bis heute höchst überschaubar. Zwar listet der Film Literature Index bis 2001 rund 145 Texte auf, die sich mit dem Schaffen Carpenters befassen, doch handelt es sich beim Gros der Texte um Filmbesprechungen in Tageszeitungen und Zeitschriften, Interviews mit dem Regisseur oder Berichte von Dreharbeiten; mithin handelt es überwiegend um für ein breites Publikum gedachte Texte. Die wenigen Bücher, die sich mit Carpenters Filmen auseinandersetzen, sind fast durchweg für den Fan geschriebene Werkschauen, in denen Inhaltsangaben, Anekdoten und einzelne filmästhetische Beobachtungen übergangslos ineinanderfließen. Es gibt auch Ausnahmen wie Gerhard Hroß’ Monografie „Escape to Fear“, deren Fokus aber weniger ein filmästhetischer, denn ein medienpädagogischer ist, oder den von Ian Conrich und David Wood herausgegebenen Sammelband „The Cinema of John Carpenter“. Gleichwohl herrscht ein gewisser Mangel an akademischen Arbeiten mit dezidiert filmästhetischen Fokus.

Die jüngst im Saarbrücker VDM-Verlag erschienene Arbeit von Christian Genzel, „The Films of John Carpenter“, erhebt – zumindest in der Kurzdarstellung, die den Umschlag ziert – den Anspruch, diesem Mangel abzuhelfen: Versprochen wird eine „in-depth discussion“ der Filme, die einerseits stilistische Bezugnahmen auf Filme und Filmgenres sowie popkulturelle Verweise aufarbeitet als auch die durchgängigen Themen des Carpenter‘schen Werks – als solche werden vor allem das Misstrauen gegenüber Institutionen und das Phänomen der Isolation ausgemacht – freilegt. Diesem selbst gestecktem Anspruch genügt die Publikation leider nicht einmal in Ansätzen. Die im Untertitel behauptete „Critical Analysis“ der untersuchten Filme bleibt das Werk schuldig. Schon der Aufbau des Inhaltsverzeichnisses lässt befürchten, dass hier nur eine weitere Werkschau für den Carpenter-Aficionado vorgelegt wird: Auf eine knappe Einleitung folgt ein zweiteiliger biografischer Abriss, an den sich dann der Hauptteil anschliesst, der strikt chronologisch die Filme Carpenters abarbeitet. An diesen Hauptteil schließen sich dann ein Resümee der Überlegungen und ein kurzes Ausblickskapitel an, in dem der Verfasser über die cinematografische Zukunft Carpenters spekuliert. Bereits der Aufbau des Buches legt nahe, dass ihm das fehlt, was für eine ,kritische Analyse‘, die ihren Namen verdient, unabdingbar ist: eine wie auch immer geartete analytische Perspektive, die im Werk Carpenters formale Strukturen sichtbar macht und so Aussagen über die durchgehende Ästhetik seiner Filme und ihre Themen ermöglicht.

Die Lektüre der Publikation bestätigt diesen Eindruck. An keiner Stelle legt der Verfasser seine methodischen Grundlagen offen; aus der Einleitung und der ausführlichen Regisseursbiografie lässt sich schließen, dass das Buch einer recht kruden, biografistischen auteur-Theorie folgt. Der fehlende theoretische ,rote Faden‘ des Buches macht sich unangenehm im Hauptteil bemerkbar, der die Filme einzeln in kurzen Segmenten abhandelt; der Aufbau dieser Segmente ist weitgehend willkürlich: Aus verschiedenen Quellen zusammengetragene biografische Anekdoten oder Erläuterungen popkultureller Referenzen wechseln sich ab mit filmtechnischen Beobachtungen und der Rekapitulation der zeitgenössischen Rezeption der Filme. Die Zusammenhänge, die zwischen den Filmen hergestellt werden, sind eher assoziativ und selten am Material ausgewiesen. Nicht nur im Hinblick auf die theoretische Grundlage, auch im Hinblick auf das filmanalytische und wissenschaftliche Handwerkszeug lässt die Publikation zu wünschen übrig: Das Buch kommt gänzlich ohne screen shots aus und verzichtet auch auf präzise Zeitangaben. Die Bezugnahme auf die untersuchten Filme beschränkt sich auf Inhaltswiedergaben und Hinweise auf einzelne Einstellungen oder Szenen, die aber nicht exakt verortet werden.

Ärgerlich ist auch die außerordentlich eklektische Berücksichtigung des Forschungsstandes, der ja, wie eingangs ausgeführt, vergleichsweise überschaubar ist: Die einschlägigen Texte werden fast durchweg ignoriert, nur Robert C. Cumbows „Order in the Universe“ findet Erwähnung. Der oben genannte Sammelband etwa, die wahrscheinlich wichtigste akademische Publikation zu Carpenters Filmen, findet keine Berücksichtigung. Der Verfasser ignoriert ebenso die im deutschen Sprachraum erschienenen Monografien wie Frank Schnelles „Suspense Schock Terror“ oder die erwähnte Arbeit von Gerhard Hroß. Allein das für ein breites Publikum geschriebene „Große John-Carpenter-Filmbuch“ von Willy Loderhose hat es ins Literaturverzeichnis geschafft. Besonders bedauerlich ist es in diesem Zusammenhang, dass die französische Monografie von Luc Lagier und Jean-Paul Thoret, „Mythes et masques. Les fantômes de John Carpenter“, dem Verfasser offenbar nicht untergekommen ist, denn diese enthält ein langes Kapitel über das Phänomen der Isolation, das immerhin in der vorliegenden Publikation als das thematische Zentrum in Carpenters Filmen bestimmt wird. Überdies ist das Buch der Franzosen sowohl theoretisch reflektiert als auch filmanalytisch versiert, so dass es als Vorbild hätte dienen können.

Das von Christian Genzel vorgelegte Buch ist leider in jeder Hinsicht eine Enttäuschung und eine verschenkte Chance, denn das Werk Carpenters hätte eine umfängliche Würdigung in der Tat verdient. Eine solche Würdigung müsste aber methodisch durchdacht und handwerklich sorgfältig sein; in beiden Bereichen hat die rezensierte Publikation deutliche Mängel, so dass selbst am Thema Interessierten die Anschaffung nicht empfohlen werden kann, zumal der Ladenpreis für eine Publikation dieser Länge außerordentlich hoch ist. Wer einen Überblick über das Schaffen Carpenters haben möchte, ist mit den Büchern von Robert C. Cumbow (siehe oben) und John Kenneth Muir („The Films of John Carpenter“, McFarland 2000) – beide sind illustriert und deutlich günstiger – wesentlich besser bedient.

Titelbild

Christian Genzel: The Films of John Carpenter. An Auteur of Isolation: A Critical Analysis of a Genre Filmmaker's Body of Work.
Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2009.
158 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783639168457

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