Produktive Zensur

Tobias Nagl untersucht die Repräsentationen von ‚Rasse‘ im Weimarer Kino

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Charakter des „Neger[s]“ lasse sich „nichts an das Menschliche Anklingende“ finden, belehrte Georg Wilhelm Friedrich Hegel die Hörer seiner „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“. Wenn man Tobias Nagls Untersuchung zu „Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino“ liest, kann man den Eindruck gewinnen, die weißen Filmschaffenden der dort behandelten Ära seien noch immer Hegels rassistischer Auffassung gewesen. Im Zentrum seiner Arbeit steht „das Zusammentreffen einer Kamera mit einem ‚primitiven Körper‘“, genauer gesagt, die „Herstellung der Kategorie des ‚Primitiven‘ durch die Kamera“. Diese sei keineswegs ein bloßer Prozess der Projektion, sondern eine „Interaktion zwischen realen Akteuren in bestimmten historischen Konstellationen“. Mehr noch, die „Konstruktion von Rasse“ ist Nagl zufolge zugleich „das Produkt und der Prozess ihrer Repräsentation“, die „wirkungsmächtige reale, soziale und subjektive Implikationen“ habe. Der Quellenfundus, aus dem Nagl schöpft, um seine Thesen anhand „exemplarischer Beispiele“ zu plausibilisieren, setzt sich aus Filmen ganz unterschiedlicher Genres zusammen, darunter exotische Abenteuerfilme, Komödien und Revuefilme, aber auch nationalistische Propagandastreifen und ethnografische Kulturfilme.

Insgesamt erhebt die Arbeit keinen geringen Anspruch, denn sie möchte nicht nur „einen Dialog zwischen postkolonialer Kritik, Rassismustheorie und Filmwissenschaft“ anregen, sondern plädiert zudem für einen Paradigmenwechsel in der Erforschung des Weimarer Kinos. Die hierfür grundlegende These besagt, dass „kritische Lesarten“ der einschlägigen Filme, die sich nur „auf Fragen der Zuschauerpositionierung und narrative und visuelle Inszenierungsweisen“ konzentrieren, „auf fundamentale Weise unhistorisch“ bleiben müssen, wenn sie darauf verzichten, „Fragen der Produktion und Rezeption“ zu berücksichtigen. Diese einzubeziehen hat Nagl sich vorgenommen. Und er löst sein Vorhaben ohne weiteres ein, indem er sich nicht nur an analytischen Methoden der ‚Text‘-Analyse, wie sie von den Postcolonial und Cultural Studies gepflegt werden, orientiert, sondern die populäre Filmkultur im Anschluss an den Begründer dieser Ansätze, Stuart Hall, als „komplexes, widersprüchliches und überdeterminiertes Feld der Artikulation kolonialer und rassistischer Diskurse“ auffasst. Nicht zuletzt darum versteht Nagl seine Studie als „Beitrag zur Überwindung“ des „Eurozentrismus in der Filmgeschichtsschreibung“.

Im ersten der sieben Kapiteln untersucht der mehr als 800 Seiten starke Band das sechsteilige Abenteuer-Serial „Die Herrin der Welt“. Nicht weniger als 30.000 Menschen arbeiteten an dem für damalige Zeiten monumentalen, insgesamt 16.000 Meter langen Werk, das die „Motivstruktur“ von Henry Rider Haggards Romanen „King Solomon’s Mines“ und „She“ „freizügig adaptierte“. Unter Berufung auf Gayatri Chakravorty Spivak, deren Befund zu Charlotte Bronte „Jane Eyre“ sich „auch mit Blick auf ‚Die Herrin der Welt‘ aufrechterhalten“ lasse, sackt Nagl die in der Serie zweifellos vorhandenen Momente weiblicher Emanzipation ein. Der Autor illustriert seine Argumentation mit der Inszenierung der weiblichen Hauptfigur Mauds als von den ‚Negern‘ angebetete Göttin Astarte, die ein „schlagendes Bild weiblicher Selbstermächtigung und Selbsttransformation“ liefere. Doch kann gerade hier keineswegs von weiblicher Selbstermächtigung die Rede sein, denn nicht sie selbst erhöht sich zur Göttin, vielmehr sind es die Krieger des Stammeskönigs Makombe, die ohne Mauds Zutun auf diese Idee kommen. Nach dieser Vergötterung lasse die Serie „kaum einen Zweifel daran, dass temporäre Transgressionen vornehmlich der Konturierung weißer Weiblichkeit dienen und es ih[r] letztlich um die imaginäre Bestätigung eines eurozentrischen Machtanspruchs geht“, [Herv. R. L.] schießt Nagl seine Argumentation.

Protestiert wurde seinerzeit allerdings nicht gegen die Darstellung der ‚Neger‘, sondern gegen die der Chinesen. Denn der in Berlin ansässige „Verein chinesischer Studenten“ bezichtigte die in China handelnden Episoden einer „verzerrende[n] Betonung des ‚Rassengegensatzes‘“ und des „Aufruf[s] zum ‚Rassenhass‘“. An der sicherlich nicht weniger rassistischen Darstellung der ‚Neger‘ in anderen Episoden nahmen die chinesischen Studenten hingegen offenbar keinen Anstoß.

Es sei denn, Nagl hätte gerade diese Stellen aus ihrer umfangreich zitierten Protestnote gestrichen, was allerdings nicht anzunehmen ist. Jedenfalls war der studentische Protest erfolgreich. So spielte der Film nach deren Intervention nicht mehr wie vorher in der chinesischen Provinz Kanton, sondern in der „fiktiven Stadt ‚Lön-San‘ auf der Inselgruppe ‚Ku-da-ra‘.“ Auch die eingeblendeten Zwischentexte wurden geändert. Statt „Ein Fünftel der gelben Einwohner Kantons haust in dem ins Wasser gebauten Teil der Stadt“, hieß es nun etwa „Die meisten alteingesessenen Bewohner von Lön-San wohnen in dem Stadtteil, der ins Wasser hineingebaut ist.“ Doch es wurde noch mehr erreicht. So wird die weiße Heldin nicht mehr in ein chinesisches Bordell entführt und zur Prostitution gezwungen, sondern soll „nur als Tänzerin kommen“. Darüber hinaus wurden etliche weitere Änderungen des Plots vorgenommen und zudem ein sympathisch gezeichneter Chinese eingefügt. Nagl findet allerdings, dass alle vorgenommenen Veränderungen nur „oberflächlich[er]“ Art seien. Gleichwohl sind sie ihm Anlass, „wichtige Fragen hinsichtlich des Konzepts filmischer Autorschaft auf[zuwerfen]“ und zu problematisieren, ob die „Urheberschaft“ an dem Film zurecht allein Joe May und Karl Figor zugeschrieben wird, denn schließlich sei er „das Resultat eines komplexen Prozesses, in dem die Weimarer Filmindustrie gezwungen wurde, eine Kritik an deutschen Kolonialfantasien zu verhandeln“, womit der „produktive, sowohl vorläufige wie prozesshafte Charakter von Zensur“ hervortrete.

Nicht nur chinesische Studenten, auch andere Seiten riefen nach dem Zensor. So etwa im Frühjahr 1922 die „Deutsche Kolonialgesellschaft“, die sich in einem Schreiben an das Berliner Polizeipräsidium über ein Ballett mokierte, weil seine Tänze „in einer für die weiße Rasse entwürdigenden Art schließlich den Sieg der schwarzen Rasse in sexueller Hinsicht“ ausdrücken würden. Ein Vorfall, den Nagl im zweiten Kapitel erwähnt, in dem er sich nach seiner umfangreichen und meist, aber nicht immer ganz überzeugenden Auseinandersetzung mit „Der Herrin der Welt“ der cineastischen Propaganda gegen die an der Besetzung des Rheinlandes beteiligten schwarzen Soldaten der französischen Truppen zuwendet. Nach Nagls Angaben bestand die französische Besatzungsarmee des linksrheinischen Gebietes aus etwa 85.000 Soldaten. 20.000 bis 25.000 stammten aus Frankreichs afrikanischen Kolonien. Darüber, ob dies dem Anteil der Afrikaner in der französischen Armee insgesamt entsprach, gibt er keine Auskunft. Jedenfalls wurde von deutscher Seite eine vehemente Propagandakampagne gegen die „Schwarze Schmach“ geführt. Der Begriff war während der ersten Jahre der Weimarer Republik ein stehender Topos des Rassismus und fand sich nicht nur im Namen des „Deutschen Notbundes gegen die schwarze Schmach“ wieder, sondern stiftete zudem den Titel eines einschlägigen Spielfilms, der sich wie die Kampagne insgesamt „geradezu zwanghaft“ Bildern bediente, „die blonde Frauen in der Gewalt schwarzer Männer zeigten“.

Dass massenhafte (Nach-)Kriegsvergewaltigung tatsächlich von der Antike bis ins 21. Jahrhundert hinein zum Soldatendasein gehören (selbstverständlich ganz unabhängig von der jeweiligen ‚Rassenzugehörigkeit‘ der Täter), erwähnt Nagl nicht. Stattdessen merkt er an, zumindest zu Beginn der Kampagne sei die Information unterdrückt worden, „dass französische Kolonialsoldaten während ihrer Stationierung mit weißen Frauen auch Kinder zeugten“. Denn „dass weiße deutsche Frauen freiwillig schwarze Männer liebten“, mutmaßt er, „ließ sich nur schwer mit dem Bild der ‚vergewaltigten Unschuld‘ vereinen.“ Gerade so, als könnten vergewaltigte Frauen nicht schwanger werden und als sei es möglich, gezwungenermaßen zu lieben. Anzumerken ist auch, dass die Gegenseite nicht weniger diffamatorisch verfuhr, nur dass sie nicht die rassistische, sondern die sexistische Karte spielte. So veröffentlichte die französische Zeitschrift „Le Rire“ am 10.7.1920 eine Karikatur, die einen mit Orden behangenen aufrechten französischen Soldaten schwarzer Hautfarbe zeigt, neben dem eine Sau mit sechs Brüsten hockt, die einen Rosenkranz hält und über und über mit Ohrringen, Armreifen und anderem Schmuck behangen ist. Ein Eisernes Kreuz an der Perlenkette weiß sie als Deutsche aus. Offenbar bietet sie sich dem Soldaten als Hure an, der jedoch stolz an ihr vorbeischreitet. „Wir wollten einen Adler bewachen und müssen uns vor einem Schwein schützen“, lautet die Bildunterschrift.

Doch zurück zu Nagels Buch. Von dem Film „Die schwarze Schmach“ sind dem Autor zufolge zwar nur noch „einige Dutzend Standbilder“ erhalten. Überliefert sind jedoch diverse Kritiken, bebildertes Pressematerial und eine „ausführliche Plotbeschreibung des Fett & Wiesel-Programmhefts“. Diese sekundären Quellen dienen dem Autor als „archäologische[r] Ausgangspunkt“ seiner Interpretation und Bewertung des Films. Angesichts des Umstandes, dass Nagl den Film gar nicht kennt, fällt sein Urteil über dessen Ästhetik und Narration erstaunlich dezidiert aus. Weit weniger kritisch wertet der Autor seine sekundären Quellen aus. So ist er etwa der uneingeschränkten Überzeugung, der Inhalt eines anderen, ähnlich gelagerten und ebenfalls verschollenen Films mit dem Titel „Die schwarze Pest“ gehe „aus zwei Zensurprotokollen hervor.“

„Warum“, so fragt sich Nagl, „genossen es weiße Deutsche, einen Film anzusehen, der in Bildern weißer männlicher Agonie und Niederlage schwelgte“, und glaubt die Antwort in einer von ihm unterstellten „masochistische[n] weiße[n] Lust“ zu finden. Dabei ist keineswegs belegt, dass die deutschen KinogängerInnen den Film überhaupt genossen. Nagl spricht an dieser Stelle allerdings offenbar nur von Männern. Eine einleuchtende(re) Erklärung dafür, dass weibliche wie männliche RassistInnen ihn womöglich schätzten, könnte allerdings darin liegen, dass er ihre Vorurteile befeuerte, ihnen die Lust des Hassens bereitete. Jedenfalls wurde der Film von den Zensurbehörden „nicht nur in Deutschland gestoppt, sondern zugleich wurde auch sein Export verboten und die Zerstörung der Filmkopien angeordnet.“ Die rechtliche Grundlage hierfür bot der § 1 des Lichtspielgesetzes, aufgrund dessen Filme verboten werden konnten, welche die Beziehungen Deutschlands zu einem auswärtigen Staat zu gefährden drohten.

Nachdem Nagl in den ersten beiden Kapiteln diverse Filme untersuchte, gilt sein Interesse im dritten dem vielfältigen Werk des seinerzeit prominenten „Großwildjägers, Journalisten und Kolonialfilm-Pioniers“ Hans Schomburgk, wobei der Autor ein besonderes Augenmerk auf die Spielfilme legt, in denen Schomburgks Ehefrau Meg Gehrts die weibliche Hauptrolle innehatte. Schomburgk verfügte nicht nur über eine „jahrelange Praxis im Kolonialwesen, sondern auch in der Filmindustrie“ und hatte sich mit seinen Veröffentlichungen einen „gut eingeführte[n] Markenname“ als „Afrikaforscher“ erwoben. Vor allem aber war er ein furchtbarer Rassist und Menschenschinder, wie Nagl anhand zahlreicher Zitate aus Schomburgks Schriften zeigt.

Die Entwicklung, die der ethnografische und kolonialrevisionistische Dokumentarfilm in der Weimar Republik vollzog, ist Thema des nächsten Kapitels. Nach dem sich Nagl in den ersten vier Abschnitten auf die „Konstruktion weißer Weiblichkeit und deren rassistische Bedrohung durch nicht-weiß Männer“ konzentrierte, nimmt er im fünften Kapitel die „Besonderheiten der Repräsentation schwarzer Frauen“ im Weimarer Kino in den Blick, wobei er sich an den „Konzepten des schwarzen Feminismus“ orientiert. „An der Begegnung des westlichen männlichen und imperialen Blicks mit nicht-weißen Frauen“ ist Nagl eine „zentrale Abwesenheit“ besonders aufgefallen: die schwarzer Frauen. Träten sie doch einmal in den Filmen der Weimarer Republik auf, würden sie als „als unterwürfig, irrational, aggressiv, leidenschaftlich, eifersüchtig und als vom Begehren erfüllt, durch eine Beziehung zum weißen Mann selbst weiß zu werden“, dargestellt. Ebenfalls in diesem Abschnitt thematisiert Nagl die indische Tradition der Witwenverbrennung, die er allerdings zur „Witwentreue“ verharmlost. So versäumt er denn auch nicht, Spivak zu zitieren, die sich nicht scheute, ausgerechnet in diesem Zusammenhang gegen „white men [who] are saving brown women from brown men“ zu polemisieren. Etwas kritischer nähert sich Nagl Franz Fanon. So konstatiert er zwar im Anschluss an den afro-karibischen Kolonialismuskritiker und Psychiater die „Phallifizierung des schwarzen Mannes“, doch hat er ein waches Auge für die „essenzialisierenden Aussagen“ und die „misogyne […] Dialektik“ des Propagandisten der algerischen „Nationalen Befreiungsfront“.

Nach den cineastischen Konstruktionen von Rasse und Geschlecht sowie dem Werk damaliger Filmschaffender kommt Nagl im sechsten Kapitel zu den schwarzen SchauspielerInnen, das heißt vor allem zu denjenigen männlichen Geschlechts. Denn wie er zuvor konstatierte, war schwarzen Frauen kaum mal ein Auftritt vor der Kamera vergönnt. Unter Bezugnahme auf jüngere Untersuchungen zur „Geschichte von Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland“ entreißt er die „Lebenssituation[en]“ der schauspielernden „Kolonialmigranten und schwarze[n] Deutsche[n]“ dem Vergessen, die „mit ihren Körpern“ die zuvor behandelten Repräsentationen von ‚Rasse‘ und Geschlecht „schufen“. „Die vergessene und verdrängte Geschichte schwarzer Schauspieler“ wie dem damals recht prominenten Louis Brody oder seiner kaum bekannten Kollegen Peter Makembe und Wilhelm Munumé „nachzuzeichnen“, ist nicht nur dem Autor von „zentraler Bedeutung“, sondern tatsächlich eines der Unterfangen, welche die vorliegende Arbeit auszeichnen.

Mit dem letzten Kapitel verlässt der Autor die Weimarer Republik und wirft einen abschließenden und kontextualisierenden Blick auf das „Verhältnis von ästhetischem Modernismus, Amerikanismus und Rasse“.

Insgesamt hat Nagl eine immense Recherchearbeit geleistet. Mit mehr als 800 Seiten ist das Ergebnis nicht nur für eine Dissertation etwas ausufernd ausgefallen, was dem Umstand anzulasten sein dürfte, dass der Autor seiner Detailverliebtheit allzu oft nachgibt. Andererseits ist das Buch gerade wegen seiner informativen Fülle hochinteressant. Die Ansage, einen Paradigmenwechsel ins Werk zu setzen, ist hingegen etwas vollmundig. Allerdings fügt Nagl den Perspektiven auf das Weimarer Kino eine weitere, bislang sträflich vernachlässigte hinzu, was ja schon verdienstvoll genug ist. Dabei wird im Text und mehr noch im Subtext immer wieder sein Bemühen deutlich, den Blick der ‚Anderen‘ einzunehmen, zu dem er sich ausdrücklich bekennt, in dem er dem unerfüllbaren Wunsch Ausdruck verleiht, einmal „mit dem schwarzen deutschen Schauspieler Luis Brody oder mit den chinesischen Kritikern von ‚Die Herrin der Welt‘ einen Blick hinter die Kulissen des Weimarer Kinos“ zu werfen.

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Tobias Nagl: Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino.
edition text & kritik, München 2008.
832 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783883779102

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