„Pinsel und Feder also in der gleichen Hand“

Dominik Müller untersucht in seiner Studie „Vom Malen erzählen“ die erdichteten Maler des langen 19. Jahrhunderts

Von Nadine IhleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Ihle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich bin daher statt des Gewinsels, / Mehr für die stille Welt des Pinsels“, heißt es in üblich bitterböser Deutlichkeit in Wilhelm Buschs Bildgeschichte ‚Maler Klecksel‘. Nun kann man Kleckse nicht nur mit Pinsel und Farben, sondern auch mit Feder und Tinte fabrizieren – das Genre der Künstlerromane, und unter diesen die, die Maler als Hauptfiguren hatten, erlebte im langen 19. Jahrhundert seine größte Blüte. So finden sich, wie Dominik Müller in seinem Buch „Vom Malen erzählen – von Wilhelm Heinses ‚Ardinghello‘ bis zu Carl Hauptmanns ‚Einhart der Lächler‘“ feststellt, gerade bei den bis heute kanonischen Dichtern jener Zeit immer wieder ausgedehnte Schilderungen der Malerei, des Künstlerlebens und –scheiterns. Und dies nicht nur in einzelnen Szenen oder Figuren, sondern bis auf Roman- beziehungsweise Novellenlänge ausgebreitet.

Die Verbindung zwischen Malerei und Literatur ist dabei oft eine doppelte: so evozieren Dichter ihre fiktiven Maler mit ihren imaginären Bildern, während gleichzeitig viele Autoren selbst auf unterschiedlichen künstlerischen Feldern tätig waren. Am deutlichsten tritt dies wohl bei Gottfried Keller hervor, der sich mit seinem Roman „Der grüne Heinrich“ regelrecht von der eigenen Maler-Existenz freischrieb. So ist auch das Keller gewidmete Kapitel folgerichtig das gewichtigste in Müllers Studie. Unter dem Blickpunkt der Intermedialität untersucht Müller en detail den ‚paragone‘ von Literatur und Malerei in Werken von Heinse, Tieck, Hoffmann, Mörike, Stifter, Keller, Robert Walser und Carl Hauptmann. Dabei interessiert ihn die Malerei nicht nur als Motiv und Bezugspunkt der Literatur, sondern eben gerade auch das Verhältnis der beiden Künste in ihrem Wettstreit mit- und ihrem Bezug aufeinander.

Die mediale Wechselwirkung innerhalb einer Literatur, die aus Buchstaben imaginäre Kunstwerke formt, ihrerseits wiederum ebenfalls Kunstwerk ist und ebenfalls über imaginäre Bilder wirkt, ist komplex und in ihren einzelnen Teilen nicht leicht aufzuschlüsseln. Müller ist es dennoch gelungen. So spürt er in jedem der untersuchten Werke dem nach, was über die Kunstwerke der Malerfiguren und ihre Entstehung sowie Wirkung vermittelt wird; er untersucht das gesellschaftliche Ansehen der Maler ebenso wie ihren künstlerischen Werdegang; und entwickelt die genretypischen Rollen von Frauenfiguren als Muse und Geliebte ausführlich. Dabei lässt Müller trotz aller detailreicher und zitatenhaltiger Überlegungen nicht außer acht, dass die Romane und Erzählungen eben vor spezifischen Zeitfolien der Kunstgeschichte selbst entstanden. Interessanterweise finden sich in nahezu allen untersuchten Werken scheinbar prophetische Vorausdeutungen zu späteren kunstgeschichtlichen Verläufen. So mag man in den Werken der Romantik bereits Verweise auf die spätere Landschaftsmalerei sehen, in Stifters und Kellers literarischen Bildern scheinen bereits Futuristen und abstrakte Malerei anzuklingen. Selbst Buschs Bildergeschichte scheint die Malerei Picassos vorweg zu nehmen. Müller erklärt dies Phänomen einleuchtend damit, dass wir nur durch unser eigenes Wissen um die Entwicklung der Kunstgeschichte überhaupt diese scheinbar hellsichtigen Weissagungen der Dichter identifizierbar machen.

Nicht nur ihr Hinausreichen über die eigentliche Textanalyse macht die Studie von Müller so informativ. Es sind vor allem die zahlreichen Querverbindungen der Texte untereinander, die Müller überzeugend und souverän zu knüpfen versteht. So wird deutlich, dass die Maler-Romane nicht singuläre Literaturphänomene waren, sondern im 19. Jahrhundert ihr ganz eigenes Gewicht besaßen, ihr ganz eigenes Genre begründeten, von ganz eigenen Spezifika geprägt waren.

Müller nutzt Buschs Maler Klecksel in einem ausführlichen Schlusskapitel als verbindende thematische Klammer. Dies ist doppelt klug gewählt, weil sich in dessen Bildergeschichte die Malerei und Literatur direkt und unvermittelt treffen und gleichzeitig alle Motive, Versatzstücke und Entwicklungen des Genres wiedergegeben sind. In ihrer Reichhaltigkeit ist die Studie Müllers vorrangig für den wissenschaftlichen Blick für Interesse. Müller schreibt allerdings in einer so flüssigen, gut lesbaren Erzählweise, dass sich sein Buch auch ohne jeden Studienzweck zum rein neugierigen Lesen gut eignet. Es regt in seiner Ausführlichkeit und Detailliebe zum Lesen oder auch Wiederlesen der Originale an. Und so fragt man sich während der Lektüre des Buches vielleicht an mancher Stelle: wo steht eigentlich alte Busch-Album, den Keller könnte ich auch mal wieder zur Hand nehmen und habe ich eigentlich Stifters Erzählung irgendwo stehen?

Titelbild

Dominik Müller: Vom Malen erzählen. Von Wilhelm Heinses Ardinghello bis Carl Hauptmanns Einhart der Lächler.
Wallstein Verlag, Göttingen 2009.
432 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783835304598

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