„Arnold Schönberg, dem Eigentlichen…“

Der Briefwechsel zwischen Arnold Schönberg und Thomas Mann bietet Einblicke ins Innenleben eines enttäuschten Künstlers

Von Jonas ReinartzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Reinartz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kontroversen waren in Thomas Manns Karriere keine Seltenheit. Oft ging es dabei um jenen Prozess, den er im Aufsatz „Bilse und ich“ (1906) als „künstlerische Verwertung einer nahen Wirklichkeit“ bezeichnet, wobei dessen Beherrschung ihm zufolge erst den begnadeten Schriftsteller offenbart. Letztlich sei ohnehin nur von ihm selbst die Rede. Besagter Text war eine Replik auf einen Sturm der Entrüstung in seiner Heimatstadt. Die Lübecker Bürger zeigten sich nämlich alles andere als erfreut, als sie feststellen mussten, dass der ihren Reihen entstammende Autor etliche von ihnen als Inspiration für das Figurenarsenal der „Buddenbrooks“ (1901) verwendet hatte. Hinzu kam die damit engverwandte Kunst der „Montage“. So bezeichnet er die Übernahme und Integrierung verschiedenster Quellen in das eigene Werk, die so manchen Unmut nach sich ziehen konnte.

Beim berühmt gewordenen Disput zwischen Mann und Arnold Schönberg flossen beide Aspekte zusammen – letzterer sah sich nicht nur als syphilistischen Teufelsbündner portätiert, sondern, was weitaus schwerer wog und den Konflikt erst auslöste, auch um seine bedeutendste Schöpfung, die Zwölftonmusik, gebracht. Im Roman „Doktor Faustus“ (1947) wird diese bekanntlich dem Protagonisten Adrian Leverkühn zugeschrieben, ohne dass Schönberg zuvor davon unterrichtet worden war. Sowohl die persönliche Widmung „dem Eigentlichen“ in einem ihm überlassenen Exemplar als auch die Formulierung und Platzierung einer in den folgenden Auflagen des Buches eingefügten Richtigstellung zu seinen Gunsten empfand er als unzureichend, ja sogar als in ihrer Form als Demütigung.

Darum entspann sich eine Auseinandersetzung, die erst in privater Kommunikation, später öffentlich ausgetragen wurde und auf großes mediales Interesse stieß. Beendet wurde sie scheinbar erst, als sich der Unmut auf Theodor W. Adorno, den Zubringer des Autors, verlagerte. E. Randol Schoenberg, Enkel des Komponisten, hat nun den erstmals komplett in deutscher Übersetzung vorliegenden Briefwechsel unter dem Titel „Apropos Doktor Faustus“ herausgegeben. Ergänzt wird dieser durch viele weitere textliche Zeugnisse der Kontrahenten, Zeitungsartikel, einige ausgewählte Aufsätze zum Thema sowie eine Auswahlbiografie.

Neue Erkenntnisse sind von dieser Zusammenstellung nicht zu erwarten. Lesevergnügen bereitet sie dennoch – nicht zuletzt, da der Austausch in ausreichendem Maße kontexualisiert wurde, etwa durch Auszüge aus Adornos „Philosophie der neuen Musik“ (1949), Schönbergs brisantes Essay „Ein Vier-Punkte-Programm für das Judentum“ (1938) oder das für Leverkühns Musikverständnis entscheidende 22. Kapitel des „Doktor Faustus“. Die bekannten Tagebucheintragungen Thomas Manns führen zudem das geistige Klima des amerikanischen Exils gewohnt plastisch vor Augen. Wohltuend ist es zudem, dass der Herausgeber sich, von einigen Äußerungen im Vorwort einmal abgesehen, Wertungen enthält und die Dokumente für sich sprechen lässt, die zahlreich vorhandenen Fußnoten teilen lediglich Informationen zum besseren Verständnis von Personen und (geistes-)geschichtlichen Zusammenhängen mit. Unter den drei enthaltenen Sekundärtexten sticht jener von Bernhold Schmid hervor, der äußerst klar und umsichtig die Entwicklung des Streits dargestellt.

Bei der Fülle an Eindrücken und Anschauungen ist es vor allem der Zorn Schönbergs, der eine nachhaltige Wirkung hinterlässt, zumal sein Gegner sich betont gleichmütig und versöhnlich gibt, obwohl er, wie wir sehen, bisweilen in Panik verfiel. Zweifellos ist die Empörung in diesem Ausmaß überzogen, zumal der verbitterte Musiker, dessen Ruhm zunehmend verblasste, aufgrund eines Augenleidens nur Teile des Romans kannte, die er sich vorlesen oder auf Band sprechen ließ. Vor allem finden sich hier Äußerungen eines von der Angst um das Vergessen des eigenen Werkes durch die Nachwelt getriebenen Künstlers.

Im Brief eines gewissen Hugo Triebsamen, den er freilich selbst verfasste und an den Nobelpreisträger schickte, der (angeblich?) den Schwindel nicht zu durchschauen vermochte, sind seine Ängste in nuce ersichtlich. Zugleich handelt es sich um ein Stück Satire, bei deren Lektüre selbst Bewunderer Thomas Manns ins Schmunzeln geraten dürften. Dort wird von einem Lexikoneintrag aus dem Jahre 1988, gelesen im Jahre 2048, berichtet, der ihn als Urheber des Komponierens mit zwölf Tönen ausweist, der diese Technik Schönberg lediglich überlassen habe, als er sich dem Schreiben zugewandt habe. Später forderte er sie zurück, in dem er sie einer seiner Figuren, einem „Humunculus“, zuschrieb, so der angebliche Artikel.

Obgleich „dieses Buch nicht als wissenschaftliche Edition gedacht“ ist, so der Herausgeber im Vorwort, haben sich dennoch einige Fehler eingeschlichen, die leicht vermeidbar gewesen wären. Im Index etwa wird zwischen drei verschiedenen Schreibweisen von Adornos Namen unterschieden, als ob es sich um verschiedene Persönlichkeiten handeln würde. Ebenso befinden sich dort fiktive Personen wie Zeitblom oder Leverkühn, was zu einer Vermischung der Ebenen führt, die unbedingt vermieden werden sollte. Zwar dürfte hier wohl kein Leser, der den Band in die Hand nimmt, etwas missverstehen, doch gerade angesichts der Befürchtungen Schönbergs bekommen diese editorischen faux pas eine unbeabsichtige, nahezu ironische Note. Es sei jedoch angemerkt, dass jede wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik ohnehin auf die entsprechenden Editionen zurückgreifen wird. Als „Lesebuch“ für Wissbegierige ist es trotzdem, wenn auch mit Abstrichen, zu empfehlen.

Titelbild

E. Randol Schoenberg (Hg.): Apropos Doktor Faustus. Briefwechsel Arnold Schönberg - Thomas Mann 1930-1951.
Czernin Verlag, Wien 2008.
397 Seiten, 23,80 EUR.
ISBN-13: 9783707602753

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