Gefolgschaftsverweigerung

Lars Distelhorst möchte seinen LeserInnen den Weg zu Judith Butler weisen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf rund hundert Seiten mit dem komplexen Werk Judith Butlers vertraut zu machen, ist ein Kunststück, das kaum gelingen kann. Doch nicht nur deshalb lässt sich Lars Distelhorsts Einführung in das Denken der Gender-Theoretikerin kaum empfehlen. Dazu leidet das Bändchen an zu vielen Schwäche und Unschärfen. Auch schreibt sogar die für ihren schwierigen Stil verschrieene Butler klarer und vor allem präziser als dies Distelhorst in manchen Passagen gelingt.

Schon die ersten Zeilen Distelhorsts lassen eine Hagiografie erwarten, beschreibt er den Weg von „800 Menschen“ zu einem Vortrag, den Butler am 20.6.2008 „im restlos überfüllten Auditorium“ einer Universität hielt, doch als „Prozession“. Dabei habe dessen Titel auch nicht anders als der zahlreicher vergleichbarer Veranstaltungen geklungen. Der „wesentliche Unterschied“ habe vielmehr „in der Person der Vortragenden“ gelegen, „ein[em] Popstar, zu dessen Vorträgen die Menschen pilgern“. Sie als solchen zu sehen, verstelle jedoch den Blick darauf, „um wen es sich bei Judith Butler wirklich handelt“ und „worum es in ihren Büchern geht“, ebenso, wie die Annahme, es handle sich um „interdisziplinär arbeitende Theoretikerin“, deren Texte zu verstehen „nur unter großen Schwierigkeiten zu meistern“ sei. Distelhorst stellt also implizit in Aussicht, darüber aufzuklären, was es mit Butler und ihren Theorien wirklich auf sich hat. Das erinnert doch allzu sehr an die Art halbseidener Enthüllungsbücher.

Zugleich erklärt er noch auf derselben Seite, „[d]er einzige Weg“, sich Butlers Werk „zu nähern“, biete das „gründlichen Studium ihrer Bücher“. Wenn dem aber so ist, kann man dann die vorliegende Einführung nicht gleich zuklappen und zu den Werken selbst greifen? Doch halt. Distelhorst verspricht immerhin, den Zugang zu Butlers Werk „ein wenig zu erleichtern“. Das klingt denn doch etwas vertrauenswürdiger, als die implizite Ankündigung, über ‚die wirkliche‘ Judith Butler aufzuklären.

Sich Distelhorst anzuvertrauen, fällt dennoch nicht ganz leicht. Zunächst einmal stimmen manche Formulierungen skeptisch. Dass etwas bei Distelhorst nicht etwa sinnvoll ist, sondern wie im Englischen „Sinn macht“, zählt noch zu den Belanglosigkeiten. Auf weniger Verständnis dürfte da schon seine Rede „vom normalen Verständnis des Begriffs Diskurs“ stoßen. Ebenfalls schwerer wiegt die sprachliche Unschärfe, mit der er erklärt, dass es „in der heutigen Welt Menschen gibt, denen der Status Mensch […] nicht zukommt“. Das ist, man kann es nicht anders sagen, sinnloses Gestammel. Sinnvoll wäre zu sagen, dass bestimmten Menschen von anderen Menschen der Status des Menschseins abgesprochen wird. Und das ist vermutlich auch gemeint. Denn der Autor konstatiert, Butlers „Ziel“ sei es, „ein kritisches Verständnis der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ex- und Inklusionsmechanismen zu erarbeiten, um diese politisch so verschieben zu können, dass jene, die heute nicht als menschlich gelten, anerkannt und auf diesem Wege zu vollwertigen Subjekten.“ Nun trägt er hier zwar dem Unterschied zwischen zukommen und zusprechen beziehungsweise dem zwischen etwas sein und als etwas gelten Rechnung. Doch dafür schenkt er sich ein Verb.

Distelhorsts Rückblick auf die deutsche Rezeptionsgeschichte Butlers verstärkt die solchermaßen geweckte Skepsis weiter. Die Behauptung, dass die ganz überwiegend ebenso ahnungslosen wie berühmt-berüchtigten Butler-kritischen Stellungnahmen in Heft Nummer zwei der „Feministischen Studien“ aus dem Jahre 1993 zu Butlers bahnbrechendem Buch „Gender Trouble“ „auch heute noch als paradigmatisch für die deutsche Butlerdiskussion gelten“, ist geradezu grotesk. Eine Ahnung davon scheint Distelhorst selbst zu anzuwehen, erklärt er doch andererseits, es habe in Deutschland einen „Butler-Hype“ gegeben, was in dieser pejorativen Formulierung allerdings kaum weniger bedenklich ist.

Mit der weiteren Lektüre wächst auch die Skepsis weiter, genährt etwa durch Distelhorsts Feststellung, „besonders die späteren Werke von Butler“ seien „erst mit starker Verzögerung übersetzt worden“, was zu „Problemen in der Rezeption“ führe, „da sich auf der Grundlage der deutschen Veröffentlichungen immer nur über eine Butler diskutieren lässt, die nicht mehr wirklich aktuell ist.“

Tatsächlich lagen beispielsweise Butlers 2002 gehaltene Adorno-Vorlesungen schon im folgenden Jahr und der Potsdamer Vortrag vom Sommer 2008 schon wenige Monate später auf Deutsch vor. Die Übersetzungen von Butlers englischsprachigen Publikationen hinken den Originalen zeitlich ebenfalls keineswegs so sehr hinterher, wie Distelhorst vorspiegelt. Die Übersetzung „Antigones Verlangen“ wurde hierzulande gar im gleichen Jahr wie das englische Original publiziert, nämlich 2001. Auch bei Erscheinen von „Gefährdetes Leben“ (2005) war seit der Publikation des englischen Sammelbandes nicht mehr als ein Jahr verstrichen; die enthaltenen Aufsätze waren erstmals in den Jahren 2001-2003 in verschiedenen Zeitschriften erschienen. Und zwischen der deutschsprachigen Ausgabe von „Psyche der Macht“ (2001) und dem Original liegen gerade mal vier Jahre. Etwas älteren Datums sind tatsächlich die in dem jüngst erschienen Buch „Die Macht der Gefühle“ (2009) enthaltenen Aufsätze. Einige von ihnen erschienen erstmals bereits Ende der 1990er-Jahre, die meisten zwischen 2001 und 2004. Doch all dies spielt im Grunde gar keine so große Rolle. Denn schließlich wechselt Butler ihre Theorien nicht so schnell wie andere Leute ihre Hemden. Mit anderen Worten – ihre älteren Texte sind keineswegs obsolet.

Distelhorst unterteilt Butlers Theorie in drei Themenkomplexe: die „Frage nach der geschlechtlichen Identität“, „dem Status des Subjekts“ und „der Ethik des Krieges“. Um sie den Lesenden nahe zu bringen, gliedert er seine Einführung in sieben Kapitel, dessen erstes die Frage stellt: „Wie natürlich ist die Natur?“ Anders als die Kapitelüberschrift vermuten lässt, geht es in dem Abschnitt allerdings tatsächlich gar nicht um die Natürlichkeit ‚der Natur‘, sondern um die Rolle beziehungsweise den Anteil der menschlichen Natur am menschlichen Dasein; genauer gesagt um dessen Anteil an der menschlichen Geschlechtlichkeit und dessen Sexualität. Und noch in einer weiteren Hinsicht führt die Überschrift in die Irre. Denn die (von Butler aufgeworfene) Frage zielt nicht darauf, wie natürlich Geschlecht ist, sondern ob es überhaupt natürlich ist. Entsprechend verharmlost Diestelhof Butlers Gender-Theorie dahingehend, dass es ihr nur darum gehe, „in welcher Weise sex lesbar gemacht wird“.

Die letzten Abschnitte des Buches gelten Butlers ethischen Überlegungen, ihrer „Kritik des Krieges“ und den von ihr ins Auge gefassten beziehungsweise eröffneten Möglichkeiten „politische[n] Widerstand[s]“. Besonders ausführlich widmet sich Distelhorst Butlers USA- und Israelkritik sowie ihrer in den letzten Jahren immer lauter werdenden Kritik am „Feindbild Islam“ und an der „Islamophobie“. Das ist das eine, vielleicht große Plus gegenüber manch anderer Einführung, die das nicht in diesem Maße leistet. Ein Manko, an dem auch Butler-Einführung von Hannelore Bublitz leidet. Das Manko von Distelhorsts Darstellung besteht hingegen darin, dass er Butlers Antiamerikanismus bei gleichzeitiger Verharmlosung der in islamisch geprägten Kulturen vorherrschenden (Hetero-)Sexismen nicht deutlich macht. Einer der zahlreichen Gründe, warum Bublitz’ Butler-Einführung der von Distelhorst vorgelegten noch immer vorzuziehen ist. Wenngleich einer Neuauflage eine entsprechende Erweiterung nicht übel anstände.

Titelbild

Lars Distelhorst: Judith Butler.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2009.
125 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783825230388

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