Lebensansichten eines Unbequemen

Georg Kreislers Autobiografie „Letzte Lieder“ entspricht nicht unbedingt den Erwartungen an gängige Memoiren

Von Luitgard KochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Luitgard Koch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anekdoten aus seinem Privatleben finden sich in Georg Kreislers Autobiografie nicht. Wer auf Memoiren üblicher Machart hofft und chronologisch korrekte Vollständigkeit erwartet, den enttäuscht der Autor. Doch dafür bietet der 1922 in Wien geborene Musiker, Texter, Sänger, Entertainer, Opernkomponist, Romancier und Dramatiker wesentlich mehr. Denn schließlich ist das Multitalent ein Künstler und als solcher ein Freigeist, der sich nicht in ein Genrekorsett zwingen lässt. Vielmehr verdichtet der Schriftsteller in seinem Buch Gedanken über Künstlersein, Musik, Schreiben, Religion, Armut, Patriotismus und Nationalismus zu Aphorismen von faszinierender Klarheit.

„Die Kunst fordert den ganzen Menschen, und ihr Lohn ist Erkenntnis und Einsamkeit“, schreibt er. Und Georg Kreisler empfindet sich durch und durch als Künstler. Auch wenn ihn bis heute die bösen schwarzen Lieder aus seinen Wiener Jahren (1955-1958 und 1962-1975) wie „Tauben vergiften im Park“ oder „Zwei alte Tanten tanzen Tango“ verfolgen, trifft es keineswegs, den Sohn eines jüdischen Wiener Anwalts als „Kabarettist“ zu bezeichnen. Als sein Hauptwerk sieht er die Romane, Theaterstücke und Opern an. Seine Vielseitigkeit beweist er mit diesem furiosen Band erneut. Mit klarer Sprache philosophiert Kreisler, reist durch sein Leben, amüsiert oder empört sich noch einmal. Und erklärt, warum der Heimatlose fast nur in der Kunst ein Zuhause hat: „Ich bin ein Außenseiter geblieben.“

Dem 16-jährigen Georg Kreisler und seinen Eltern gelingt es, vor den Nationalsozialisten von Wien nach Kalifornien zu fliehen. Gerade noch rechtzeitig. Georg hat einen Cousin in Hollywood, der hilft. Er besucht die Highschool, stürzt sich in die englische Sprache, hält sich und seine Eltern mit Jobs als Pianist über Wasser, nimmt Gesangsstunden und begegnet zahlreichen Exilkünstlern. Darunter Arnold Schönberg, Kurt Eisler und Marlene Dietrich, die er vor allem als Kekse backende Hausfrau erlebt. Als 20jähriger wird Kreisler amerikanischer Soldat und kämpft gegen Nazideutschland. Aufgrund seiner Muttersprache wird er einer Spezialeinheit zugeteilt, in der er das Verhören von Kriegsgefangenen trainiert. In den Soldatenlagern schreibt er fantastische Songs, komponiert und inszeniert Musicals, unter anderem mit dem Dramaturgen und Opernkenner Marcel Prawy. Als Verhörspezialist trifft er gegen Kriegsende auf Nazischergen wie Göring, Streicher und Kaltenbrunner.

Beim Lesen seiner Autobiografie spürt man vor allem Eines: Georg Kreisler hat es nicht nötig, es irgendjemandem recht zu machen. Er schreibt radikal und kompromisslos. Gnadenlos bissig rechnet der Schriftsteller ab mit dem Establishment, dem Kulturbetrieb, mit Intendanten, Redakteuren, Politikern und besserwisserischen Kritikern. Man kann nur sagen: zum Glück. Aber auch die antisemitische Atmosphäre im Wien von 1938, aus dem er fliehen musste, und des Wiens von 1960 und 2008 beschwört er herauf. Grandios ist vor allem das vorletzte Kapitel. Es besteht hauptsächlich aus einer Art Mini-Drama in drei Akten. Pointiert zeichnet Kreissler darin den schwärenden Antisemitismus dreier Generationen von der Nazi-Zeit bis heute nach.

Es sind die Ansichten eines Unbequemen, der sich zu Recht weigerte, nach seiner Rückkehr aus dem Exil wieder die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen, weil er dazu einen Antrag hätte stellen müssen. Über das Drama jüdischer Flüchtlinge sagt er knapp: „Man kann nicht zurückkommen.“ Auch über seine frühen Jahre, die mit der Flucht vor Hitler in die USA jäh endeten, äußert Kreisler, der jetzt in Salzburg lebt, ohne Larmoyanz und dafür um so eindringlicher: „Eine Jugend mit erwachenden Freiheitsgefühlen, erster Liebe, lustigen Streichen und dergleichen hatte ich nicht.“

Zwischendurch blitzt leise Selbstironie auf. Was hält Kreisler von sich selbst? „Ich bin ein einfacher, hochkomplizierter Mensch.“ Und: „Ich glaube nicht, dass ich mir sympathisch wäre, wenn ich mich auf einer Cocktailparty träfe.“ Mit diesem unglaublich lebendigen Buch, einem Wechselspiel aus Satire, spannendem Lebensbericht und kulturpolitischen Überlegungen, sowie einer stolzen Art von Resignation wird es Kreisler gelingen, nicht nur als Sänger seiner unvergleichlichen „Everblacks“ in Erinnerung zu bleiben. Zumal der Nonkonformist das Singen schon seit etlichen Jahren aufgegeben hat. Seit den 1980er-Jahren schrieb er nur noch Lieder ohne Melodie und Klavierbegleitung. Seine zweite Oper mit dem Berliner Chansonier Tim Fischer, der in den vergangenen Jahren zum musikalischen Stellvertreter des Altmeisters avancierte, heißt „Das Aquarium oder die Stimme der Vernunft“ und handelt von uns allen, so Kreisler, denn wir Menschen seien wie Fische, die nicht über den Rand des Aquariums hinaussehen könnten. Kein Wunder, dass seine letzten Lieder bittersüß klingen.

Titelbild

Georg Kreisler: Letzte Lieder. Autobiografie.
Arche Verlag, Hamburg 2009.
156 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783716026137

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