Ich, Marlen(e)

Marlene Krispers Essay über „Das ordentliche Leben der Marlen Haushofer“ ist allzu ichbezogen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Werke von Literatinnen rein autobiografisch zu lesen, entspricht bekanntlich dem misogynen Klischee, dass schreibende Frauen nicht literarisch und somit künstlerisch tätig sein können, sondern bloß ‚Selbsterlebtes‘ erzählen. Solche biografische Lektüren werden den Schriftstellerinnen allerdings nur in den allerseltensten Fällen gerecht. Und wenn sich InterpretInnen dann noch allzu sehr mit diesen Literatinnen identifizieren, tut auch dies nur höchst selten gut. Nun, den InterpretInnen selbst vielleicht schon, ihrer Interpretation sicher nicht. So auch im Falle von Marlene Krispers kleinem, durch einen großzügigen Satzspiegel zu einem Buch aufgeblähten Essay über „Das ordentliche Leben der Marlen Haushofer“. Zumal bei ihr beide Übel zusammenkommen – die biografische Lesart und die Identifikation mit der Literatin beziehungsweise deren Figuren.

Krisper führt Haushofers Werk nicht nur mit deren Biografie eng, sondern auch noch mit der eigenen. „Es ist, als ob sie mich als mögliche Frauenfigur erfunden hätte, ich gehöre zu ihren Entwürfen oder fast schon zu ihrem Inventar. Manchmal fühle ich mich sogar imstande, eine ihrer nicht fertig geschriebenen Geschichten in ihrem Sinne weiterzuschreiben, besonders die abgründigen“, plaudert sie munter drauf los, ohne dass ihr die Idee zu kommen scheint, dies könnte anmaßend klingen. Dafür identifiziert sie sich offenbar einfach zu sehr mit Haushofer, die sie auch gerne mal ganz vertraulich beim Vornamen Marlen zu nennen pflegt. Vielleicht fühlt sie sich dazu ermutigt, weil sie sich einmal erlaubte, bei Haushofer anzuklopfen und Einlass fand: „Als ich Marlen Haushofer in den späten Sechzigerjahren kennenlernte, lud sie mich nicht von sich aus ein, ließ es aber geschehen, daß ich sie aufsuchte und ihr Fragen stellte.“ Womöglich glaubt sie darum auch, die „eigentliche Natur“ der Literatin genaustens zu kennen, die einige von Haushofers Figuren Krisper zufolge „stellvertretend“ für die Literatin ausleben, indem sie „die Fassade bürgerlicher Ordnung niederreißen, ihren Weg kompromisslos und radikal zu Ende gehen“. Dabei ist es doch schon fragwürdig genug, Menschen überhaupt eine „eigentliche Natur“ zu unterstellen.

Die tatsächlichen oder vermeintlichen, jedenfalls aber behaupteten Parallelen zwischen Haushofers und ihrem eigenen Leben führt Krisper zudem wiederholt als Beglaubigungsstrategie ins Feld. „[Z]u Marlens Studentenzeit und auch noch zu meiner bedurfte es schon eines ungeheuerlichen Mutes, anlässlich einer Schwangerschaft nicht zu heiraten. Ich weiß, wovon ich rede, ich bin eine von jenen, die heiraten mussten“, versichert sie etwa. Ganz ähnlich klingt es auch, wenn sie auf die „Dankbarkeit zu sprechen komm[t], die eine Frau dem Mann schuldete, der sie von einer vermeintlichen Schande erlöste und ihr ermöglichte, sich unbeschadet in die bürgerliche Ordnung zurückzubegeben. Und wiederum weiß ich, wovon ich spreche, weil es mir ebenso ergangen ist.“

Zu diesen Verfehlungen treten weitere Mala. Es sind zu viele, um hier alle genannt zu werden. Einige sollen aber doch erwähnt werden. So trägt Krisper etwa ihre – ebenso unbeweisbaren, wie unwiderlegbaren – Vermutungen allzu apodiktisch vor und erklärt beispielsweise: „Selbst wenn Marlen Haushofer zu ihren Lebzeiten eine Autobiografie geschrieben hätte, wäre sie in die Falle der Selbsttäuschung gegangen.“ Sodann findet sie, Schreiben sei „die egoistischste Handlung überhaupt“. Ob da eine Raubmord nicht vielleicht doch noch ein klein wenig egoistischer ist? – Und ihre Ansicht, dass es zumindest in einer Hinsicht ziemlich gleichgültig sei, ob man „über erfundene Protagonisten oder über sich selbst“ schreibt, begründet sie damit, es sei ohnedies „alles […] Erinnerung, ein Hinterherschreiben, im Moment des Schreibens schon vergangen, gefiltert und verfremdet.“ Das mag zwar so sein, wenn man über sich selbst schreibt, aber doch wohl kaum bei den besagten „erfundene[n] Protagonisten“. Abschließend und eher am Rande sei noch erwähnt, dass Haushofer, Kripser zufolge, mit „ihrem Förderer Hans Weigel […] mehr als Freundschaft“ verbunden hat. Nun, Weigel versuchte möglichst viele schriftstellerisch ambitionierte Frauen zu fördern und ins Bett zu bugsieren. Sollte das tatsächlich mehr als Freundschaft sein und nicht etwa weniger?

Titelbild

Marlene Krisper: Das ordentliche Leben der Marlen Haushofer. Ein Essay.
Ennsthaler Verlag, Steyr 2009.
78 Seiten, 9,70 EUR.
ISBN-13: 9783850688345

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