„Auf den innersten Kern kommen“

Galsan Tschinag über Schamanismus, Heilkunde und Wissenschaft

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Galsan Tschinag, Häuptling und Schamane des turksprachigen Nomadenvolks der Tuwa, einer rund 4.000 Personen umfassenden Minderheit in der Mongolei, und vor allem Autor von gut zwei Dutzend deutschsprachigen Romanen, Erzählungen und Gedichtbänden legte zuletzt den autobiografischen Roman „Die Rückkehr“ vor. Der „Moses von Ulanbator“, wie Tschinag sich selbst einmal nannte, erzählt im „Roman seines Lebens“, wie der Untertitel lautet, auch die Geschichte seiner beiden Schamanenschülerinnen, deren (Richtungs-)Streit einst große Teile des Nomadenvolkes verunsicherte und wie es ihm gelang, beide wieder zu versöhnen.

Nun ist im schweizerischen Unionsverlag, der bereits unter anderem „Auf der großen blauen Straße“; „Dojnaa“, „Das Ende des Liedes“, „Die Karawane“, „Tau und Gras“, „Der Wolf und die Hündin“ sowie „Im Land der zornigen Winde“ publiziert hat, unter dem Titel „Der singende Fels“ ein umfangreicher Trialog zwischen Galsan Tschinag, dem Technikphilosophen Klaus Kornwachs und der Schamanin und Schmuckdesignerin Maria Kaluza, die auch als Herausgeberin fungiert, erschienen. Der Text ist ein Auszug aus „mehr als fünfundzwanzig Stunden“ dauernden „Gesprächen über Grundfragen der Menschen, erlebten Resonanzen zwischen der Erfahrungs- und der Wissenschaftswelt“, wie Kaluza einleitend erläutert.

In elf Themenkreise ist der Band eingeteilt. Er berichtet zunächst „Vom Werden eines Schamanen“, womit Tschinag einen genaueren Einblick in sein Verständnis des Schamanentums gibt: „Schamane wird man nicht, das ist man. Das ist die eine Seite der Wahrheit. Die andere ist: Der Schamane wird aufgebaut.“ Er erscheint als „ein Wesen, das sich zwischen Mensch und Tier bewegt.“

In eindringlichen Beispielen, Bildern und Metaphern wird dabei Tschinags animistisches Weltbild deutlich, ebenso sein Verständnis der westlichen in Abgrenzung zur mongolisch-nomadischen Kultur. Im Nomadentum Tschinags ist alles beseelt: „Das Univsersum ist für uns ein Großes, Rundes, Ganzes. Alles ist mit Leben, Körper, Geist und Seele versehen.“ Dagegen erscheint die westeuropäische Kultur mit ihren „scharfen Grenzen und Mauern“ immer „leicht auch aggressiv“, denn „Sprache ist ja das Bild gewordene Denken.“

So entsteht ein Buch über Gott und die Welt, über Spiritualität, über „Heilen – Heil – Heilung“, über den westlichen und nomadischen Krankheitsbegriff, über Parapsychologie, über „Träume und andere Wirklichkeiten“, über den Tod, über „Sterben – Hoffen – Wiederkehren“, über verschiedene Formen und Grade des „Wissens“ und vieles andere mehr, wobei sich aber unweigerlich Wiederholungen ergeben.

„Der singende Fels“ ist der Versuch, eine Verbindung zwischen östlicher und westlicher Kultur zu ziehen, oder wie es Kornwachs auf den Punkt bringt: „Es ging gar nicht darum, dass der andere recht haben könnte, es ging nämlich gar nicht um Recht oder Unrecht oder um falsch und logisch richtig, sondern es ging um das Zuhören, es ging um das Lernen, es ging auch um einen Anfang von Verstehen – weit davon entfernt, alles verstanden zu haben […] anregend, ein Anschub, sich auf eine Reise zu machen.“ Tschinag drückt dies mit seinem Schlusssatz so aus: „Eines Tages werde ich auf den innersten Kern kommen, ich muss mich noch weiter schärfen.“ Und für eine solche Reise bietet „Der singende Fels“ Anregungen genug. Zudem lässt sich dieses Buch auch als willkommene „Verstehenshilfe“ für Tschinags poetische Texte lesen.

Titelbild

Galsan Tschinag: Der singende Fels. Schamanismus, Heilkunde, Wissenschaft. Galsan Tschinag im Gespräch mit Klaus Kornwachs und Maria Kaluza.
Unionsverlag, Zürich 2009.
313 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783293004030

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