Muttertiere und Vaterhelden

Lisa Ortgies plädiert für die emanzipierte Familie

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den Themen, die Feministinnen derzeit besonders umtreiben, zählt offenbar die Familie. Alice Schwarzers altgediente „EMMA“ publizierte in den Heften des Jahres 2009 nicht nur eine Reihe kleinerer Artikel über die „Regenbogenfamilie“, „Kuckucksväter“ und „Wahlverwandtschaften“, sondern auch ein allzu euphorisches Dossier über „Neue Väter“, die forschen Popfeministinnen des „Missy Magazins“ warten in ihrer jüngsten Ausgabe mit einem „Dossier Familie“ auf, in dem ihre Redakteurinnen über Besuche bei „drei etwas andere Familien“ berichten, und die TV-Feministin Nummer 1 Lisa Ortgies plädiert in einem soeben erschienen Buch „für die emanzipierte Familie“. Es trägt den Titel „Heimspiel“ und ist so glänzend geschrieben, wie man es von Ortgies’ Beiträgen in „EMMA“ gewohnt ist, die man bekanntlich seit einiger Zeit schmerzlich vermissen muss. Dabei unterhält die Autorin mit zahlreichen aus dem Familienleben gegriffenen Anekdoten über die möglichen Freuden und faktischen Leiden namentlich der Familienmütter, ohne völlig auf die eine oder andere statistische Angabe zu verzichten. Diese lässt sie aber so beiläufig und selbstverständlich einfließen, dass sie nie langweilen oder gar ermüden. Und stets hat sie erheiternde Zitate verschiedener Opfer männlicher Steinzeitgene parat. Ein Beispiel gefällig? „Heute wird ständig versucht, Frauen und Männer gleichzumachen, aber das funktioniert nicht. Männer sind für diese Dinge [Hausarbeit, R.L.] einfach nicht so gut geeignet“ (Originalton Felix Magath, seines Zeichens Fußballbundesligatrainer).

Zustimmend zitiert Ortgies hingegen ein selbstironisches Bekenntnis aus Simone Buchholz’ jüngst erschienenem Buch „Gangster of Love“: „Wir sind so modern, dass es uns egal ist, wenn ein Mann gerade vom Baum gestiegen ist.“ Allerdings ist das Problem jedoch viel größer. Denn tatsächlich schwingen sich die meisten von ihnen noch immer von Ast zu Ast. Jedenfalls die 80 % der Großstadtsingles auf Partnerinnensuche, die von ihren Baumwipfeln aus „nach einer jüngeren, attraktiven Partnerin“ Ausschau halten, „die ihnen viele gesunde Nachkommen beschert. In Sachen Bildung und Beruf soll sie ihnen jedoch möglichst unterlegen sein, Intelligenz rangiert auf der Prioritätenliste an zehnter (!) Stelle“, wie Ortgies aus den Ergebnissen einer Studie des Ethnologen Karl Grammer referiert.

Die Familie, konstatiert Ortgies im Vorwort, sei immer noch „das begehrteste Lebensmodell“ – und meint damit ganz offenbar die herkömmliche Kleinfamilie, in der die rebellierende ApO-Generation noch den Anfang aller Schrecken ausmachte. Ob die (Klein-)Familie tatsächlich so begehrt ist, ist ganz so sicher nicht. Nun ja, bei vielen wohl schon, vermutlich sogar bei den meisten. Aber ganz gewiss nicht bei allen. Die Missy-Macherinnen zählen jedenfalls nicht zu den Fans dieses Lebensmodells. Und der Rezensent ebenfalls nicht.

Doch gut, lassen wir uns mal auf die Familie ein, was sie der Autorin zufolge ist und was sie sein sollte, wobei letzteres dadurch eingeschränkt wird, was sie sein kann. Jedenfalls zielt Ortgies „Plädoyer für die emanzipierte Familie“ schon einmal nicht darauf, dass alle Menschen Familien gründen sollten. Vielmehr spricht sie sich dafür aus, dass sich alle Familienmenschen emanzipieren sollten. Nicht von den Familien, sondern in und mit ihnen. Und zwar vom alten, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen immer noch sehr lebendigen Rollenverhalten der Hausfrau und des Ernährers.

Der „Fallhöhe“ zwischen dem, was sich verheiratete Frauen, Mütter gar, wünschen und was sie von den ihnen angetrauten Männern zugemutet bekommen, gelten das bevorzugte Interesse und der berechtigte Zorn der Autorin. So soll ihr Buch heiratswilligen beziehungsweise verheirateten Frauen und Mütter „helfen, eine gesunde Wut auf die wahren Feinde zu entwickeln, Überforderungen zu erkennen und falsche Ansprüche an sich abperlen zu lassen.“

Natürlich ist das Buch nicht nur blendend geschrieben, Ortiegs hat auch allerlei Kluges zu sagen, etwa über die bis in Feministinnen-Kreise hineinreichende Glorifizierung bekennender „Vaterhelden“ und die Geringschätzung nicht nur bekennender ‚Muttertiere‘. So weiß sie natürlich sehr wohl, dass es nicht die Steinzeit, die Gene oder die Hormone sind, welche die Menschen in ihre Rollen bannen, „sondern die Denkschablonen, mit denen wir sie interpretieren.“ Und wenn sie vermutet, „[s]chuld an der abschmierenden Geburtenrate“ seien „nicht die Frauen im Gebärstreik, sondern die Männer im Zeugungsstreik“, so ist das sehr gut möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich. Aber wieso eigentlich „schuld“? Könnte es nicht vielmehr ein Verdienst sein, die Überbevölkerung ein klein wenig abzumildern, indem mann sich ungeachtet aller Nachteile, die der Staat sich für Kinderlose ausdenkt, versagt, niedliche und unschuldige kleine Baby ungefragt ins Dasein zu zwingen?

Ortgies hat ihr Buch in vier Kapitel unterteilt. An erster Stelle steht mit den „Väter[n] das offenbar größte Problem für eine Emanzipation der Familie. Hingegen wendet sich die mehrfache Mutter erst im letzten Abschnitt den „Kinder[n]“ zu. Dazwischen liegen das „extrem uncoole“ Thema „Haushalt“ und natürlich die „Mütter“. Im ersten dieser vier Abschnitte entlarvt die Autorin nicht zuletzt die Spießigkeit und den Rollen-Kitsch der bramarbasierenden ‚neuen Väter‘. Im zweiten konstatiert sie, dass Hausarbeit „ebenso politisch wie die Kinderfrage, die Sexualität und alles andere angeblich Private“ ist. Nun, das weiß heutzutage jedes Kind. Doch wer hätte gedacht, dass die Geschlechtertrennung bei der Hausarbeit eine „Erfindung des Kapitalismus“ ist? Ortgies belegt diese überraschende Behauptung mit einem Zitat aus einem Lexikon von 1798: „Hausarbeit ist eine Arbeit, welche von einem fleißigen Hausvater und einer sorgfältigen Hausmutter vorgenommen wird; im Gegensatze der Feld-, Garten u. Weinbergsarbeiten.“

Vielleicht am erhellendsten ist das dritte, den Müttern gewidmete Kapitel. Hier geißelt die Autorin die mütterliche Selbstinfantilisierung ebenso wie das „[a]lte und neue Mütter-Brain-Wash“, zu dem auch das grüne Müttermanifest aus dem Jahre 1987 seinen Beitrag geleistet habe. Dessen auf Johann Heinrich Pestalozzis „Mutterbild“ zurückgehender „ethische Feminismus“ spiele noch immer „Mütterlichkeit gegen Weiblichkeit“ aus, während die Männer sich „aus sicherer Entfernung“ darüber amüsieren könnten. Sodann wendet sie sich gegen das „Stilldogma“ und erschüttert nachdrücklich den „Ruf der Muttermilch als genialem Cocktail zur Abwehr aller möglichen Leiden“. Ihr nächster Angriff gilt dem „Mütterbashing“ in Alltag und Beruf. Entgeistert erfährt man von im Internet kursierenden „Vorlagen für ‚kreative Kündigungsschreiben‘“ und von arbeitsrechtlichen Seminaren, in denen ArbeitgeberInnen die „erfolgreichsten Taktiken, um Mütter loszuwerden“, erlernen können.

Wie Ortgies zeigt, bearbeitet auch das „Familiennetzwerk Deutschland“ Mütter mit allen Finessen, um sie dazu bewegen, sich vom Arbeitsmarkt zu verabschieden. Dorothea Böhm verbreitet etwa die gemeingefährliche Mär, dass Krippenkinder im „emotionalen Tiefschlaf“ dahinvegetierten. „Wissenschaftlicher Blödsinn“, lautet Ortgies knappes aber gerechtes Urteil.

Unerwartetes Lob ereilt hingegen den „Jugendschützer“ Dieter Bohlen. Und dieser Ehrentitel ist hier nicht mal ironisch gemeint. Was allerdings vor allem ein grelles Licht auf die verkommenen Sitten in ‚Talent-Shows‘ zeigt, die achtjährige Mädchen auf den Laufsteg schicken, wo sie sich model like, also möglichst ‚sexy‘ bewegen sollen. Niemand schien sich daran zu stören – außer Bohlen eben, der einem solchen Kind sagte: „Wenn ich dein Papa wäre, würde ich dir das nicht erlauben“, womit er sich Ortgies Lob verdiente.

Damit wäre der Übergang zum letzten, den Kindern gewidmeten Kapitel elegant geglückt. Tatsächlich ist es ebenso erhellend wie der vorhergehende Abschnitt. Der Ärger, den dort die „Folterrhetorik“ des „Familiennetzwerk[s] Deutschland“ evozierte, wird hier zum Entsetzen, wenn Ortgies den „deutsche[n] Sonderweg“ in Sachen Kindheit nachzeichnet und darauf aufmerksam macht, dass ein Ratgeber von Johanna Haarer, „der staatlich empfohlenen Kinderexpertin des ‚Dritten Reiches‘“, noch bis Ende der 1980er-Jahre im Buchhandel erhältlich war. Nur der Titel wurde leicht modifiziert. Statt „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ lautete er von 1945 an „Die Mutter und ihr erstes Kind“.

Ortgies Buch bietet Familienmenschen und solchen, die es werden wollen, zahlreiche Gründe zur Lektüre. Dass man mit allen seinen Aussagen und Haltungen konform gehen könnte, gehört allerdings nicht dazu. Aber dies wäre wohl auch gar kein Grund, es zu erstehen. Denn wozu sollte man das Buch dann überhaupt noch lesen.

Doch kann hier auch nicht alles gänzlich unwidersprochen bleiben. „Dass Babys umwerfend gut riechen“, trifft jedenfalls schon mal nicht immer zu. Überhaupt stimmt Ortgies das Hohe Lied auf (eigene) Kinder in allzu hohen Tönen an. Zu anderem wiederum ließe sich eindeutiger Stellung beziehen. Ihre Ansicht, dass alle „Erklärungen“ über den Anteil von Genen und Sozialisation am Sein und Werden des heranwachsenden Menschen letztlich „Glaubensfrage[n]“ seien, ist doch arg dürftig. Als gäbe es nicht plausiblere und weniger plausiblere Erklärungen. Erleichtert nimmt man zur Kenntnis, dass sie ihren Ignorabismus sogleich wieder zur Seite legt und zumindest erklärt: „Bis die Forschung ein weibliches Fürsorge-Gen entdeckt hat, kann man davon ausgehen, dass es die erlernten Rollen sind, die […] Anlagen aktivieren oder begraben.“

Eines aber ist richtig nervig. Ortgies kann es offenbar einfach nicht lassen, ständig mit dem konservativen Kampfbegriff political correctness herumzufuchteln, und kündigt am Ende gar einen „politisch ganz und gar nicht korrekte[n] Ausblick“ an. Zweifellos ärgerlich, doch sollte das niemandem vom Kauf des Buches abhalten.

Titelbild

Lisa Ortgies: Heimspiel. Plädoyer für die emanzipierte Familie.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009.
229 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783421044297

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