Mitleid statt Moral

Sabine Flick und Annabelle Hornung geben einen Sammelband zu Emotionen in Geschlechterverhältnissen heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bekanntlich sorgte bereits Mitte der 1960er-Jahre eine schlagkräftige Dame namens Emma Peel in zahlreichen Wohnzimmern für Furore; in den 1970er-Jahren war es gar eine weibliche Trias geradezu überirdischen Seins, die im Auftrag eines stets unsichtbar bleibenden Herren für allerlei gerechte Sachen unterwegs waren. Und seit Mitte der 1990er-Jahre erleben etliche kampferprobten Heldinnen in Fernsehserien wie „Charmed“, „Birds of Prey“, „Buffy“, „Alias“, „Xena“ oder jüngst „Nikita“ und „PainKillerJane“ einen regelrechten Boom. Man kennt sie, weil man sie täglich sieht. Bedauerlicherweise kommt man aber auch kaum umhin, zur Kenntnis zu nehmen, dass neben diesen Fernsehserien mit all ihren Heroinen wieder zunehmend Serien ausgestrahlt werden, die ein denkbar konventionelles, um nicht zu sagen konservatives Frauen- und Mädchenbild propagieren. Denn auch Teeny-Serien wie „Hannah Montana“ kann man kaum entgehen.

Weithin unbekannt ist hingegen, dass die „Darstellung starke[r] Frauen“, damals femmes fortes genannt, im 17. Jahrhundert schon einmal „äußerst populär“ war. Es mag dies eine der positiven Wirkungen der damaligen querelle des femmes sein. Mit diesen Frauenfiguren wurde insbesondere „der Typus Amazone“ verbunden. Wie das mythische Frauenvolk in der frühen Oper dargestellt wurde, welche Eigenschaften und Affekte ihnen zugeschrieben wurden und worin ihre spezifischen Charakterisierungen gründeten, zeigt die Germanistin Jennifer Villarama in einem von Sabine Flick und Annabelle Hornung herausgegebenen Sammelband über „Emotionen in Geschlechterverhältnissen“ am Beispiel von Friedrich Christian Bressands (1670-1699) Singspiellibretto „Hercules unter den Amazonen“.

Hervorgegangen ist das Buch aus einem 2008 an der Universität Kassel durchgeführten Workshop, der unter dem Titel „Affektregulierung – Gefühlsinszenierung – Intimität“ stand und dessen interdisziplinäre Ausrichtung Fragen zu „Emotionen und Geschlecht vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ behandelte.

Trotz aller Interdisziplinarität neigt die der „kritischen Arbeitssoziologie“ verbundene Autorin der Einleitung Christel Eckart dazu, ihren Ausführungen über „[d]ie aufklärerische Dynamik der Gefühle“ eine etwas eindimensionale Ausrichtung zu geben. Die folgenden acht Beiträge wurden auf die Rubriken „Konjunkturen der Emotionsforschung“, „Selbstverhältnisse und Intersubjektivität“ sowie „Sprache der Gefühle“ verteilt. In letzterer ist neben Villaramas Beitrag Annebelle Hornungs Untersuchung des „Begehren[s] und Leid(en[s]) des Gralskönigs Anfortas im ‚Parzifal‘ von Wolfram von Eschenbach“ untergebracht und Andrea Siebert geht „Begehren und gender-Dynamik“ anhand der Behandlung des „Fall[es] Achilles“ im mittelalterlichen Antikenroman nach. Im mittleren Teil beleuchtet Mitherausgeberin Flick die „[e]motionalen Anforderungen in subjektivierten Arbeitsverhältnissen“, Frauke Annegret Kurbacher reflektiert unter dem Titel „Geschlechtliche Liebe als Basis philosophischer Ethik“ über das „Konzept einer ‚vernünftigen Liebe‘“ von Christian Thomasius. Nina Degele und Stephanie Bethmann gehen „dem Anschein der Natürlichkeit und A-Sozialität von Liebe und Schmerz“ nach.

Die beiden Aufsätze des ersten Teils haben Katharina Scherke und Catherine Newmark verfasst. Scherke kündigt im Titel ihres Beitrages zwar „[w]issenschaftssoziologische Anmerkungen“ zur möglichen „Auflösung der Dichotomie von Rationalität und Emotionalität“ an, doch sind ihre Überlegungen zu dieser „im Prinzip nur interdisziplinär zu erforschende[n] Thematik“ eher philosophie- und wissenschaftshistorischer Art, was allerdings nicht weniger interessant ist. Nicht ohne Erkenntniswert ist jedenfalls, dass sie fünf miteinander vielfältig verschränkte „Dimensionen“ von Emotionen auffächert: die „körperliche Dimension“, die „Ausdrucksdimension“, die „Erlebnisdimension“, die „Bewertungsdimension“ und schließlich die „Handlungsdimension“.

Newmark begibt sich hingegen in den „klassischen Passionenlehren“ auf die „Spurensuche“ nach „geschlechtliche[r] Zuordnung oder nur schon Konnotationen von Emotionen oder ‚Passionen‘“. Denn beides, so lautet ihre These, habe sich erst im 19. Jahrhundert, also mit der „Durchsetzung bürgerlicher Geschlechterordnungen“ entwickelt. Zudem kündigt sie eine Untersuchung der „ganz allgemeine[n] Frage“ an, „inwiefern Emotionen in ihrer Theoriegeschichte geschlechtlich konnotiert sind.“ Tatsächlich erörtert sie allerdings fast ausschließlich die geschlechtliche Konnotation von Emotionalität schlechthin (im Unterschied zur Rationalität), weniger jedoch diejenige bestimmter Emotionen. Von letzteren erwähnt sie gerade mal den Zorn, der seit den ersten Zeilen der Ilias männlich konnotiert ist und gemeinsam mit dem Mut von Platon (427-347 v. Chr.) dem inferioren weiblichen Begehren gegenübergestellt wird, sowie das laut Immanuel Kant (1724-1804) männliche Lachen, dem der Transzendentalphilosoph das ‚weibliche Weinen‘ entgegenstellt. „Neben diesen beiden nicht sehr weitreichenden Geschlechtermarkierungen“, konstatiert die Philosophiehistorikerin, lasse sich „in den klassischen Passionstheorien keine explizite geschlechtliche Zuordnung der Emotionen finden.“

Dass sie nicht weiter fündig geworden ist, mag allerdings daran liegen, dass sie nicht immer ganz genau hingeschaut hat. So rekurriert sie – um bei Kant zu bleiben – nur auf die Anthropologie des Aufklärers, die der Transzendentalphilosoph im übrigen nicht der „reinen Philosophie“ zugeordnet wissen wollte, wie etwa aus einem Brief an Carl Friedrich Stäudlin vom 4.5.1793 hervorgeht. Auch reduziert die Autorin Kants Anthropologie auf sein 1798 publizierte Buch „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“, ohne die zahlreichen Vorlesungsmit- und Nachschriften seiner über Jahrzehnte hinweg gehaltenen Anthropologievorlesungen zu berücksichtigen. Fast noch merkwürdiger ist, dass sie die zu ihrem Thema ergiebigen „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ (1764) mitsamt den sowohl in der Akademie-Ausgabe von Kants Schriften wie auch (verlässlicher) 1991 von Marie Rischmüller veröffentlichten Bemerkungen in Kants durchschossenem Handexemplar außer acht lässt. Ganz zu schweigen von den einschlägigen Reflexionen des Weltweisen. Überall dort lassen sich fast auf Schritt und Tritt geschlechtliche Konnotationen zahlreicher Emotionen finden. So gelten Kant die Emotionen Scham, Verlegenheit, Rachgier und Ekel als weiblich. Andere Emotionen wiederum sind zwar gleichermaßen Männern wie Frauen zu eigen, doch bei diesen anders zu bewerten als bei jenen – wie etwa das Weinen. Wieder andere äußern sich geschlechtsspezifisch wie die Liebe oder werden bei den Geschlechtern durch unterschiedliche Ursachen geweckt wie etwa die Eifersucht. Gelegentlich begründet Kant die geschlechterspezifische Verteilung der Emotionen sogar. So sollen Ängstlichkeit und Mitleid Kant zufolge bestimmte weibliche Inferioritäten kompensieren. Ist die von Kant den Frauen nachgesagte spezifische Angst vor körperlichen Verletzungen durch die (Möglichkeit der) Schwangerschaft verursacht und dient (wie auch ihre Tränen) dazu, Männer zur tätigen Hilfe zu veranlassen, so ersetzt ihnen das Mitleid die Moral, zu der sie – immer Kant zu folge – aufgrund ihrer Unfähigkeit, aus Grundsätzen zu handeln, nicht fähig sind.

Entgehen Newmark auch etliche explizite Geschlechterkonnotationen bestimmter Emotionen, so erkennt sie doch, dass „[a]uf impliziter Ebene sehr wohl von Vergeschlechtlichung der Passionen gesprochen werden [kann]“. Allerdings könne ihr zufolge „[w]eder aus den wenigen Geschlechtermarkierungen noch aus den impliziten Konnotationen […] Eindeutigkeit über das Verhältnis von Geschlecht und Emotion in den philosophischen Affektenlehren gewonnen werden.“ Insgesamt müsse „älteren Affektenlehren auf der explizit konzeptuellen Ebene eine weitgehende Geschlechterneutralität der Passionen attestiert werden, während die implizit vorgenommenen Zuordnungen schwanken.“

Wenngleich Newmark, wie ihre Auseinandersetzung mit Kant zeigt, nicht immer allen Tiefen der von den Philosophen hergestellten Verbindungen zwischen Geschlecht und Emotionen auf den Grund geht, zählt ihr Beitrag doch zu den anregendsten des Bandes. Und die Frage, „ob die bis heute anhaltende Verknüpfung von Emotionen und Weiblichkeit nicht etwa immer mehr als eine Abrede von Rationalität zu verstehen ist, denn als eine Zusprechung von Emotionalität“, ist tatsächlich einer Überlegung, nein, einer Untersuchung wert.

Titelbild

Annabelle Hornung / Sabine Flick (Hg.): Emotionen in Geschlechterverhältnissen. Affektregulierung und Gefühlsinszenierung im historischen Wandel.
Transcript Verlag, Bielefeld 2009.
181 Seiten, 20,80 EUR.
ISBN-13: 9783837612103

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