Die Güte später Nachmittage

Für sein Lebenswerk hat der Dichter, Maler und Übersetzer Ludvík Kundera in seiner tschechischen Heimat den renommierten Jaroslav-Seifert-Preis erhalten

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während der „Normalisierung“ der 1970er- und 1980er- Jahre in der CSSR konnte der 1920 geborene tschechische Schriftsteller Ludvík Kundera fast nichts publizieren. Trotz staatlich verordneter Knebelung war es den Machthabern jedoch nicht gelungen, die ungeheuer produktive Persönlichkeit Ludvík Kunderas zu brechen. Immer wieder waren auch einzelne Gedichte dieser Sammlung in Privatdrucken oder im Ausland erschienen. So etwas gefiel dem Bücherfreund Kundera, der in seiner Jenaer Poetik-Vorlesung vom November 1993 über diese Zeit berichtete: „Der gute alte tschechische Brauch, immerfort etwas ,herauszugeben‘ beflügelte uns.“

Der politische Umsturz in seiner Heimat um die Jahreswende 1989/1990 regte auch Kunderas publizistische Tätigkeit an. Endlich konnten etliche Bücher, Essays und Gedichtsammlungen erscheinen und Kundera war es fortan problemlos möglich, seine Bilder und Graphiken in öffentlichen Ausstellungen zu präsentieren.

Noch während der Kriegszeit war der tschechische Schriftsteller Ludvík Kundera, Jahrgang 1920, der surrealistisch inspirierten Künstlergruppe „Ra“ beigetreten. Der Kontakt und die Inspiration anderer Künstler war ihm zeitlebens wichtig. Bereits in den 1950er-Jahren pflegte er Kontakte mit Schriftstellern aus der DDR wie Peter Huchel, Franz Fühmann oder Reiner Kunze und übersetzte deren Gedichte in das Tschechische.

Dem vorliegenden Büchlein „Einen Tee darüber hinaus“ ist die Lust des Büchermachers Ludvík Kundera abzuspüren. Zum einen ist Kundera überzeugter Tee-Trinker und zum anderen lässt ein schön aufbereitetes Bändchen – in einer Auflage von 400 Exemplaren und wie immer nummeriert und signiert – mit Gedichten und Abbildungen sein Herz höher schlagen. Ein Teil der Abbildungen sind nichts anderes, als in Teesud gelegte Folien, die auf Platten belichtet und anschließend gedruckt wurden.

Der Graphiker Kundera hat sich in diesem Bändchen mit dem Herausgeber und Übersetzer Kundera zusammengetan, einzig zum Zwecke dessen, was er am liebsten tut, nämlich Tee zu trinken und Bücher zu machen. Neben eigenen Texten präsentiert Kundera kurze Gedichte von dreizehn Autoren, die sich allesamt in irgendeiner Form dem Tee widmen.

Kundera, der lebenslängliche Surrealist, bleibt aber an der sogenannten Wirklichkeit nie haften. Er weiß von deren doppelten Böden und macht sich einen Spaß daraus, diesen einen zauberhaften Spiegel vorzuhalten. Die Bilder vervielfachen sich, und der Dichter nimmt somit an einer Neuerschaffung der Welt teil! Souverän beherrscht Kundera die Gesten des Lakonischen, der Ironie und auch des stillen Humors. Seine „Teeporträts“ gleichen mährischen Haikus, die in drei Zeilen meisterhaft die Exotik ganzer Kontinente bannen. Eines der Porträts ist mit „Darjeeling“ überschrieben: „Am Paß bleibt stecken ein Karren. / Vergeblich knallt der Knabe die Peitsche. / Naht Sturm oder will uns nur Dämmerung narren?“.

Erstmals werden in deutscher Übersetzung 12 dieser ausgereiften „Teeporträts“ vorgelegt. In verblüffender Weise werden Farben, Formen und Empfindungen verdichtet. Fruchtig fällt die Teemischung „Keemun“ aus: „Honig, Pfirsiche, gar Orchideen. / Die Güte später Nachmittage. / Schließlich auch Nüsse vage“.

Die vorliegenden Gedichte sind zum Teil von Ludvík Kundera selbst oder von Eduard Schreiber vorzüglich übersetzt. Ludvík Kundera und Eduard Schreiber kennen sich! Zusammen hatten sie die „Anthologie des Poetismus“ (2004) in der 33-bändigen Reihe der „Tschechischen Bibliothek“ herausgegeben und kommentiert. Ganz offensichtlich hat sich hier eine fruchtbare deutsch-mährische Zusammenarbeit entwickelt.

Der Dichter Reiner Kunze hat über seinen Kollegen aus Mähren eine Einschätzung gefällt, der man nur zustimmen kann: „Ludvík Kundera ist ein literarischer Fels inmitten so vieler außerliterarischer Mißverständnisse. Die Tschechen und die Deutschen sollten auf solche Felsen bauen“.

Der Altmeister der tschechischen Literatur Ludvík Kundera lebt hochbetagt im mährischen Kunštát, einer kleinen Ortschaft am böhmisch-mährischen Höhenzug nördlich von Brünn.

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Ludvik Kundera: Einen Tee darüber hinaus.
Aus dem Tschechischen von Ludvík Kundera und Eduard Schreiber.
Edition Turnhof, Horn 2003.
32 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3900678677
ISBN-13: 9783900678678

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