Darf man Äpfel mit Birnen vergleichen?

Lutz, Mißfelder und Renz erproben die Methoden des „Illegitimen Vergleichens in den Kulturwissenschaften“

Von Christine HermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Hermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Komparatistische Ansätze stehen in Literatur-, Sprach- und Kulturwissenschaften hoch im Kurs. Wer sich im Zuge des Vergleichens aber über gewisse Zeit-, Medien- oder Kulturgrenzen hinwegsetzt, sieht sich allzu oft mit dem Vorwurf konfrontiert, ,Äpfel mit Birnen‘ zu vergleichen.

Die Beiträge dieses Sammelbandes, herausgegeben von Helga Lutz, Jan-Friedrich Mißfelder und Tilo Renz, tun dies nun bewusst. Unter dem griffigen Titel „Äpfel und Birnen“ verfolgen die Herausgeber einen unkonventionellen Ansatz: Sie widmen sich dem „illegitimen Vergleichen“, so auch der provokante Untertitel.

Unzulässige Vergleiche bieten auch die Chance für überraschende Einsichten und übersehene Zusammenhänge – von dieser Erwartung geht der vorliegende Sammelband aus. Er will neue Fragen stellen, Möglichkeiten ausloten und exemplarisch zeigen, zu welchen neuen Einsichten ein unkonventionelles Vergleichen führen kann.

Diese Vorgangsweise ist nun keineswegs nur eine (intellektuelle) Spielerei, sondern stellt grundlegende Denkkategorien in Frage. Dabei wird nämlich zugleich die Kategorie des Vergleichs an sich hinterfragt – und damit auch die Prozesse der Analogiebildung, die menschliche Wahrnehmung und die Mechanismen des Einrichtens von Wissensordnungen. So steht etwa bei diachronen Vergleichen die historische Erzählung in Frage, die diesen zugrunde gelegt wird. Sieht man Epochen nicht als starre Einschnitte, sondern als „Verflechtung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten“, werden vermeintlich ,illegitime‘ Vergleiche zu durchaus ,legitimen‘. ,Unzulässige‘ Vergleiche provozieren also „das ,gesicherte‘ Vorverständnis darüber, was sinnvoll, angemessen und erfolgversprechend scheint“.

Während etwa in der Lyrik ungewöhnliche Vergleiche gang und gäbe, ja sogar erwünscht sind („Poetry teaches us to compare apples and oranges“, meint W. J. Mitchell), muss der als Erkenntnisinstrument eingesetzte Vergleich bestimmten Konventionen folgen. Was über die Vergleichbarkeit entscheidet, ist das tertium, das den Ertrag eines Vergleichs determiniert; Unterschiede werden um ein Gemeinsames herum gruppiert. Kann man aber nicht auch die Vergleichbarkeit selbst modifizieren? Worauf beruht ein Vergleich? Wie viel Ähnlichkeit muss vorhanden sein, und wer stellt dies fest? Welche Vergleiche sind produktiv, angemessen, legitim bzw. welche sind unstatthaft und illegitim? Solchen Fragen gehen die Autoren dieses Sammelbandes nach.

Der Band bündelt die Beiträge der 3. Interkollegialen Arbeitstagung „Äpfel und Birnen. Illegitimes Vergleichen in den Kulturwissenschaften. Diachrone Vergleiche – Medienkonfrontationen – Analysen kultureller Umschriften“, die im Juni 2004 am Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt-Universität Berlin stattfand.

Die Texte sind in zwei Gruppen eingeteilt. Im ersten Teil des Buches, überschrieben „Konfrontationen, Vergleiche, Verknüpfungen“, finden wir eine Reihe Fallstudien, in denen die AutorInnen Verknüpfungen herstellen, die sich auf den ersten Blick nicht gerade aufdrängen. Im zweiten Abschnitt, „Über vergleichende Verfahren“, steht die Reflexion vergleichender Vorgehensweisen in den Kulturwissenschaften im Vordergrund. Dabei geht es vor allem um diachrone (vorzugsweise über große zeitliche Differenz hinweg) oder Medien- und Diskursgrenzen überschreitende Vergleiche, in denen „scheinbar Entlegenes und zeitlich voneinander Unabhängiges“ in Beziehung gesetzt wird.

Ein Großteil der Beiträge basiert auf dem von Elisabeth Bronfen entwickelten Lektüreverfahren des cross-mapping, das in verschiedenen Case Studies erprobt wird. Der Band wird von Elisabeth Bronfen eröffnet, die ihr Konzept des cross-mapping erläutert. Bei diesem thematisch ausgerichteten Textvergleich werden Ähnlichkeiten aufgezeigt, für die „keine eindeutigen intertextuellen Beziehungen im Sinne eines explizit thematisierten Einflusses festgemacht“ werden können. Die im Zuge dessen untersuchten Werke weisen demnach „kein offenkundiges Abhängigkeitsverhältnis auf“. Mit diesem Leseverfahren untersucht Bronfen, inwiefern Shakespeares Dramen im Hollywood-Kino (genauer: in der sophisticated comedy der 1930er-Jahre und im film noir und neo-noir) weiterleben. Zum diachronen Vergleich gesellt sich hier die Bewegung von einem medialen Diskurs in einen anderen. Anhand der thematischen Koinzidenz des Durchwanderns der Nacht als Chronotopos, in dem die Held(inn)en besondere Erfahrungen und Erkenntnisse gewinnen können, die sie am Tag aber wieder vergessen müssen, weist sie abseits der gängigen Intertextualitäts- und Intermedialitätskonzepte nach, wie kulturelle Einflüsse wirken können. Ähnliche Denkfiguren dienen ihr hier „als Anker für eine vergleichende Lektüre scheinbar nicht verwandter Texte“.

Auch der Beitrag von Horst Wenzel basiert auf dem cross-mapping-Konzept, denn damit werde es möglich, „auf kulturelle Kräfte zu verweisen, die offensichtlich weit Entferntes und einander Fremdes miteinander verbinden“. So lässt sich dann auch der Computerdesktop mit dem Layout eines mittelalterlichen Manuskripts vergleichen: Wenzel analysiert in seinem Beitrag Initialen in der mittelalterlichen Buchkultur im Vergleich zu den Icons auf den Benutzeroberflächen von Computern. Beide bieten Zugang zu einem Text, fungieren als ,Eingangsportal‘ – sei es nun in eine Handschrift oder in ein Computerprogramm –, und beide haben eine ,Zeigefunktion‘ (der Autor vergleicht hier die oft in Initialen eingebettete zeigende Hand mit dem digitalen Pfeil, der erscheint, wenn der Cursor über das Icon fährt). Auch Wenzel vergleicht also Ausformungen in verschiedenen Medien und über einen großen zeitlichen und kulturellen Abstand hinweg.

Iulia-Karin Patrut wiederum setzt Texte aus verschiedenen Disziplinen in Beziehung: sie untersucht „Zigeuner und andere Fremde“ und vergleicht dabei diachron Fremdheitsentwürfe in literarischen und anthropologischen Texten. Erst der Diskurs der Wissenschaften erzeuge Familien- und Gattungszugehörigkeiten wie auch Fremdheit, legt sie dar. Fremdheitsentwürfe entstehen immer erst durch den Vergleich zum Selbst. Erst wiederholte Vergleiche der abgegrenzten Entitäten „Zigeuner“ und „Deutsche“ bringen diese hervor: die Vergleiche schaffen also erst die Ähnlichkeiten und Eigenschaften, die sie zu finden vorgeben.

Als eine weitere Case Study sei der Beitrag von Alexandra Tacke erwähnt, die unter dem Stichwort „tableau vivant“ Goethes „Wahlverwandtschaften“ mit zeitgenössischen Performancekünstlern in Zusammenhang bringt und die Techniken der lebenden Bilder untersucht.

Im theoretischen Teil des Bandes greift Tilo Renz das cross-mapping-Verfahren von Bronfen abermals auf und verbindet es mit Michel Foucaults Diskurstheorie. Auf diese Art versucht er, dieses Analyseverfahren weitergehend zu begründen und die Beziehungen zwischen den untersuchten Kulturprodukten als verdeckte, aber doch in ihnen selbst aufzeigbare Beziehungen deutlich zu machen.

Im letzten Beitrag stellt Daniel Tyradellis anhand der Gewichtsmaße Olive und Urkilo (der grundlegenden Gewichtsmaße der jüdischen beziwhungsweise der westlichen Kultur) Überlegungen zu den Bedingungen und Möglichkeiten kulturwissenschaftlicher Vergleiche an.

Die Titelmetapher wird in verschiedenen Beiträgen aufgegriffen. So bezieht sich etwa Horst Wenzel auf die zahlreichen Gemeinsamkeiten von Äpfeln und Birnen: beide gehören zur Familie der Rosengewächse und damit zur Gruppe der Kernobstgewächse. Äpfel und Birnen sind also einander ähnlich – aber auch unterschiedlich. (Sonst wären sie auch nicht vergleichbar, beruht doch jeder Vergleich darauf, Ähnlichkeiten und Differenzen festzustellen.) Patrut etwa streicht in ihrem Beitrag heraus, dass derselbe Kontext (nämlich der Diskurs der botanischen Taxonomie), der Äpfel und Birnen der Familie der Rosengewächse und Unterfamilie der Kernobstgewächse zuordnet und damit eine „vermeintliche gemeinsame Familienzugehörigkeit“ erzeugt, zugleich auch „die schier unüberwindbare Trennung in unterschiedliche Gattungen“ erzeugt. Vergleiche werden hier benötigt, um Differenz herzustellen, und verboten, sobald sie allzu sehr die Ähnlichkeiten betonen.

Nach all diesen erhellenden Beiträgen vermisst der Leser jedoch ein abschließendes Resümee, das die doch sehr divergenten Beiträge zusammenführt und abrundet. Hier scheint mir eine Chance ungenützt geblieben zu sein, die Fallstudien mit den allgemeineren Reflexionen zu verbinden, also auch abschließend die Beiträge zu ,vergleichen‘, statt sie lediglich aneinander zu reihen.

Den roten Faden der Beiträge bildet der Bezug auf Bronfens Konzept des cross-mapping. Dass dessen Definition in mehreren Beiträgen wörtlich wiederholt wird, ist aber vielleicht doch etwas zu viel des Guten, zumal die Definition auch schon in der Einleitung zu finden ist.

Bronfens Konzept stellt den Anspruch, über Intertextualitäts- und Intermedialitätskonzepte hinauszugehen. In diesem Zusammenhang wäre es wohl auch hilfreich gewesen, in einem kurzen historischen Forschungsüberblick aufzuzeigen, vor welchem Hintergrund dieses Konzept entwickelt wurde, und auch kurz auf die Modelle näher einzugehen, gegen die es sich abgrenzt.

Die Herausgeber schreiben in ihrer Einleitung: „,Äpfel und Birnen‘ zu vergleichen bildet daher nicht nur eine Provokation kulturwissenschaftlicher Praxis, sondern eröffnet auch die Chance, neue und veränderte Kartografien des Kulturellen zu entwerfen. Die Beiträge dieses Bandes sind vorerst nur Inseln auf solchen neuartigen Karten. Ob sich noch ganze Kontinente einzeichnen lassen, wird sich zeigen.“ Dieser Band will mögliche, noch weiter zu erforschende Wege aufzeigen. Ein spannendes Unterfangen: Ob aber daraus eine neue „Kartographie“ entsteht, und ob dies überhaupt wünschenswert ist (oder die neuen Zusammenhänge nicht abermals „festmachen“ würde), sei dahingestellt. Auf jeden Fall stellt dieser Band interessante neue Fragen und zeigt anhand von exemplarischen Beispielen überzeugend auf, wie neue Zusammenhänge sichtbar werden, wenn man „Äpfel mit Birnen“ vergleicht.

Titelbild

Helga Lutz / Jan-Friedrich Mißfelder / Tilo Renz (Hg.): Äpfel und Birnen. Illegitimes Vergleichen in den Kulturwissenschaften.
Transcript Verlag, Bielefeld 2006.
257 Seiten, 26,80 EUR.
ISBN-10: 3899424980
ISBN-13: 9783899424980

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