Die Vergangenheit ist nicht einmal vergangen

Norbert Frei erzählt die Geschichte der Familie Flick

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Kein Name verkörpert das Drama der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert besser als der Name Flick. […] Unter vier politischen Systemen, vom späten Kaiserreich über die Weimarer Republik und das Dritte Reich bis in die Bundesrepublik, war Friedrich Flick erfolgreich – und scheiterte doch auf ganzer Linie.“

Bei Blessing ist eine umfängliche Darstellung zu „Flick“ erschienen. Sie widmet sich nicht allein der Gründer- und Zentralfigur des berühmten, vor allem berüchtigten, Mischkonzerns: Friedrich Flick. Der Band greift weiter aus, sein Untertitel lautet treffend: „Der Konzern, die Familie, die Macht“. Neben Norbert Frei, Professor für Neue Geschichte in Jena, umfasst das Autoren-Quartett Ralf Ahrens (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam), Jörg Osterloh (Fritz Bauer Institut, Frankfurt) und Tim Schanetzky (Jena).

Nun ist die Flick-Geschichte andernorts, durch Kim Christian Priemel, vorbildlich dargestellt worden: „Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik“ (Göttingen 2007). Norbert Frei erkennt Priemels Meriten ausdrücklich an, gibt gleichwohl zu bedenken, eine „Konzerngeschichte“ könne dem Eigentümer, Friedrich Flick, der mehr und anderes sei als „risikofreudiger Spekulant“ oder „traditionsbewusster Eisenhüttenmann“, nicht gerecht werden. Eine eigentliche ‚Biographie‘ Friedrich Flicks liege bis dato nicht vor und dies sei umso mehr zu bedauern, als der Konzern sich ohne den Gründer nicht recht begreifen lasse: „Während andere Industriellenfamilien wie Quandt, Oetker oder Haniel einen Weg für die Erbfolge fanden, der den Bestand ihrer Konzerne sicherte, zeigte Flicks Lebenswerk nur wenige Jahre nach seinem Tod bereits erste Auflösungserscheinungen. Es überdauerte seinen Gründer nur um 13 Jahre.“

Das Autoren-Quartett unternimmt es, Friedrich Flicks Lebensgeschichte zu rekonstruieren und die Geschichte des Konzerns von daher durchschaubar zu machen. Zu diesem Zweck wurden mehrere hundert Quellen gesichtet, Archivmaterial wie wissenschaftliche Studien. Am Ende stehen 800 Seiten fortlaufenden Textes samt reichen Bildmaterials sowie ein umfänglicher Apparat mit Quellennachweisen und Anmerkungen. Über mehrere Jahre hinweg ist an Norbert Freis Wirkungsstätte in Jena ein „Forschungsarchiv Flick“ aufgebaut worden, das, wie dem Nachwort zu entnehmen ist, im Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv zur Einsicht bereit stehen wird. Frei sieht sich besonders Dagmar Ottmann verpflichtet, einer Friedrich-Flick-Enkelin, die der Durchleuchtung ihrer Familiengeschichte nicht allein freundliches Wohlwollen entgegenbrachte – dies wäre beachtlich genug –, sondern Freis Forschungen aktiv und mit „großzügigen“ finanziellen Zuwendungen erst ermöglichte – während sich andere Persönlichkeiten und Institutionen aus dem Umkreis Friedrich Flicks weit weniger aufklärungswillig zeigten: „Unseren Anstrengungen, das Fehlen eines Unternehmensarchivs Flick […] durch die systematische Suche nach Empfängerüberlieferungen in mehr als 60 Archiven zu kompensieren, waren freilich Grenzen gesetzt. […] sie resultierten auch aus der Weigerung einiger vormals zum Flick-Konzern gehöriger Unternehmen, in ihren Archiven oder Altregistraturen nach entsprechenden Überlieferungen Ausschau zu halten […]. So blieb uns der Einblick in die Bestände von Buderus und Krauss-Maffei bedauerlicherweise verwehrt; der Zugang zu einigen beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen lagernden Steuerakten scheiterte an der Erbengemeinschaft Friedrich Karl Flick.“

Allein der Erkenntnisgewinn für die zeitgeschichtliche Forschung reichte aus, Freis und seiner Ko-Autoren Vorhaben zu legitimieren. Das Autoren-Quartett hat solche Argumentationshilfen aber nicht nötig: Die schriftstellerische Leistung kann für sich selber bestehen. Der Vorsatz, „die Geschichte des ‚Hauses Flick‘ […] anschaulich und jargonfrei zu erzählen“, ist eingelöst worden. Frei und den Seinen ist es gelungen, ein hohes Maß an Kohärenz und Lesbarkeit (auch für den Laien) zu erzielen. Die je persönlichen Handschriften der vier Autoren sind erfolgreich verblendet worden. Im Ganzen lässt sich konstatieren: Eine dramatisch geraffte, psychologisch verdichtete Lebensbeschreibung zu Friedrich Flick und seinen Epigonen – gleichsam als deutschen Atriden – ist nicht entstanden. Aber dem selbst gesetzten Anspruch, Wirtschafts- und Lebensgeschichte ineinander zu fügen und fasslich zu machen, werden die Autoren durchaus gerecht. Darüber hinaus wird ein Kaltextrakt deutscher Geschichte zwischen Weimar und Bonn gereicht, nach einer wirtschaftsgeschichtlichen Rezeptur.

„Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen“, heißt es bei William Faulkner. So ist der Flick-Konzern seit dem Parteispendenskandal der 1980er-Jahre („BundesrepuFlick Deutschland“), der die von Helmut Kohl angedrohte „geistig-moralische Wende“ letztgültig diskreditierte (kein geringes Verdienst) und die Zerschlagung des Konzerns zur Folge hatte (dito), ferne Vergangenheit, doch kehrt die Causa Flick immer wieder: Es zählt zu den besonderen Leistungen des Autoren-Quartetts, den vorletzten Flick-Skandal – um die mit „Blutgeld“ finanzierte ‚Friedrich Christian Flick Collection‘ moderner Bildender Kunst – in seinen geschichtlichen Zusammenhang eingerückt zu haben. Auch die vorläufig letzte und komisch-makaberste Wiederkehr des Verdrängten: die Entführung der Leiche Friedrich Karl Flicks (2008) wird erwähnt, wenngleich nicht lüstern ausgebreitet.

„Fragt man nach den Gründen […], weshalb sich in der öffentlichen Wahrnehmung so sehr auf Flick konzentrierte […], was über moralische Schuld und politisches Versagen der deutschen Industrie im 20. Jahrhundert konstatiert […] werden kann, dann endet man zuletzt doch wieder bei der Persönlichkeit des Konzerngründers. Im ihm liegt das Besondere; er ist es, der immer noch Anstoß erregt. Sein kalter Durchsetzungswille und seine Intelligenz, seine egozentrische Energie und sein Fleiß, sein skrupelloses Geschick und seine Nervenstärke waren die Bestandteile einer lebenslangen Haltung der Härte – und in dieser Kombination die Basis von allem: des schnellen Aufstiegs im späten Kaiserreich, der verhinderten Katastrophe in der Weimarer Republik, der Entfaltung im Dritten Reich, der Bereicherung im Krieg, des Absturzes danach und des beispiellosen Wiederaufstiegs in der frühen Bundesrepublik.“

Titelbild

Norbert Frei / Jörg Osterloh / Ralf Ahrens / Tim Schanetzky: Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht.
Blessing Verlag, München 2009.
912 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783896674005

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