Zwölf Gipfeltreffen

Barbara Nolte und Jan Heidtmann lassen in „Die da oben“ Chefs reden

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Oft spricht man über sie, selten mit ihnen. Dabei erfährt man nur so ihre Sicht der Dinge. Die Rede ist von den Spitzen der Wirtschaft, den Top-Managern, denen Barbara Nolte und Jan Heidtmann, beide für das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ tätig, die Gelegenheiten gaben, aus dem Nähkastchen zu plaudern. Dass „Die da oben. Innenansichten aus deutschen Chefetagen“ eine Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten des Manager-Mikrokosmos in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit werden würde, konnten sie nicht ahnen.

Zum Gespräch bitten die Autoren zwölf gestandene Persönlichkeiten: Frank Appel (Post), Alexander Dibelius (Goldmann Sachs), Thomas Fischer (Deutsche Bank), Hubertus von Grünberg (Continental), Jürgen Hambrecht (BASF), Hartmut Mehdorn (Bahn), Matthias Mitscherlich (MAN Ferrostaal), Werner Müller (Evonik), René Obermann (Telekom), Heinrich von Pierer (Siemens), Kai-Uwe Ricke (Telekom) und Margret Suckale (Bahn). Elf Männer, eine Frau. Frage: Warum nur eine? – Antwort: Es gibt nur eine. Suckale ist die einzige Frau im Vorstand eines der hundert umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands. Und in den Chefetagen der nächsten hundert Firmen sind auch insgesamt nur zehn Frauen.

Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte zum einen nach dem Filter „Bekanntheitsgrad“, der sich bei Managern vor allem dann ergibt, wenn das Unternehmen groß und der Kundenkreis weit ist. Das ist insbesondere bei den ehemaligen Staatsunternehmen Telekom, Post und Bahn der Fall, aber auch bei Banken und Energieversorgern. Acht der zwölf Manager kommen aus diesen Bereichen. Die vier anderen sind in den klassischen Industriebranchen Chemie (BASF), Elektro (Siemens), Auto (Continental) und Maschinenbau (MAN Ferrostaal) tätig.

Zum anderen sei es „die Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstreflexion“ gewesen, die ihre Gesprächspartner für die Aufnahme in den Band qualifiziert haben. In Zeiten der Rezession will man keine selbstherrlichen Ackermänner, die „uneinsichtig auf Millionenabfindungen beharren“, sondern „Männer in der Krise“, die sich so fühlen, wie „wir hier unten“: unfrei und ausgelaugt (Ricke), enttäuscht (von Pierer) oder ratlos (von Grünberg). Und die das am Besten auch offen zugeben.

Einige Bemerkungen vermögen die Distanz zwischen „oben“ und „unten“ tatsächlich zu verringern (etwa „gewöhnliche menschliche Regungen“, die man bei Managern so lange vermisste und die sie offenbar erst in der Wirtschaftskrise zu zeigen wagen – oder wenn sie, wie Mehdorn und von Pierer, nach langer Karriere in Rente gehen: Familiensinn, Selbstzweifel, Mattigkeit). Doch vieles andere bleibt dem Normalo fremd, wie die enormen Belastungsspitzen einer 80-Stunden-Woche (Obermann), der Druck von allen Seiten, der den Manager zwischen Belegschaft, Politik und Medien aufreibt, die Hatz nach ständig neuen Möglichkeiten in der globalisierten Welt.

Sonst erfährt man allerhand, aber nichts wirklich Wichtiges. Man erfährt etwas über den unterschiedlichen Umgang der Manager mit Karrierekernkonzepten wie „Förderung“ (Suckale: „Jeder braucht Förderer. Und zwar mehr als nur einen.“; Obermann: „Förderer ist mir zu paternalistisch.“), über die zentralen Fähigkeiten eines Vorstandschefs (Mehdorn: „Themen aufnehmen, verstehen, sortieren, Prioritäten setzen, informieren“), über Rendite („40 Prozent – kann doch nicht sein.“, Fischer), schließlich auch noch das: „Ein Chef ist immer auch zugleich Diener.“ (von Grünberg), „Falscher Optimismus ist zurzeit nicht angebracht.“ (Hambrecht), „Gier ist etwas ziemlich Menschliches.“ (Dibelius), „Wasser ist nass.“ (Fischer) und „Im Internet findet man alles.“ (Mehdorn). Wer das noch nicht wusste, den wird es auch kaum interessieren.

Das wirklich Interessante liegt eher verborgen im Schwall der Plattitüden und musste von Nolte und Heidtmann offenbar mühsam herausgekitzelt werden: der Hang zur Spiritualität an der Spitze des Telefonriesen (Ricke meditierte als Telekomchef „morgens eine halbe Stunde“, Nachfolger Obermann geht zur Kirche, „wenn sich die Gelegenheit bietet“, weil er „die Erfahrung gemacht hat, dass man aus dem Gebet Kraft schöpft“), der Umgangston des Ex-Kanzlers (Mehdorn: „Schröder rief bei Heidelberger Druck an, wo ich damals noch Chef war und sagte: ,He, wir brauchen einen Bahnchef, du musst das jetzt machen.‘“) oder die „kalkulierten Ausbrüche“ von Bayern-Manager Hoeneß, einem Vertrauten des Ex-Siemens-Vorstandsvorsitzenden Heinrich von Pierer. Erhellend, wenn das ein oder andere Internum im Chef-Jargon durchrutscht, etwa zur Bahn, die „paramilitärisch“ organisiert sei (Mehdorn). Oder wenn sich der Gesprächspartner zum Management by Machiavelli bekennt wie Ex-Minister Müller, der als Philosoph und Linguist auch andere beachtliche Perspektiven einbringt, wenn er etwa über Lichtenberg, über Firmennamen oder über das numerische Paradigma der Messbarkeit plaudert. Ganz nett auch das eine oder andere Detail aus dem Privatleben der Konzernbosse, über den Einfluss von Elternhaus, Erziehung und Jugendzeit. Zum Vorschein kommen nicht immer ganz stringente Lebenswege, nicht immer ein unaufhaltsamer Zug zum Chefsessel. Doch ein roter Faden kennzeichnet alle Biografien: der Wille zur „Gestaltungsmacht“.

Ansonsten gleicht vieles dem aus Wirtschaftspresse und zahllosen Ratgebern bekannten Loblied auf Leistung, Einsatz und Flexibilität. Dass die hohen psychischen und emotionalen Kosten dieses Lebensstils auch von der eher unorthodoxen Personalerin Suckale nur am Rande thematisiert werden, ist bedauerlich. Umweltfragen spielen ebenso kaum eine Rolle, allenfalls soziale Themen wie der Verlust von Arbeitsplätzen und die Diskussion um Entgeltgerechtigkeit. Das ist wohl vor allem der Wahrnehmung einer zunehmend managerkritischen politischen und medialen Öffentlichkeit geschuldet, deren Chef-Schelte langsam in den Führungsetagen der Wirtschaft angekommen zu sein scheint. Die Interviews bieten insoweit ein kleines Korrektiv zu dem eintönigen Zerrbild, dass sich die Gesellschaft von den Wirtschaftsbossen gemacht hat. Unsere Manager sind keine „Nieten“ und keine „Helden“, keine „Weicheier“ und keine „Bulldozer“. In vielen Belangen – von der Suche nach Anerkennung bis hin zu Schlafstörungen – sind sie vor allem eines: ganz normale Menschen.

Diese bescheidene Erkenntnis bleibt als kleiner Ertrag der Lektüre eines Bandes, der mit dem Anspruch aufgelegt wurde, einen „Einblick in das unbekannte Leben auf der Vorstandsetage“ zu ermöglichen und dazu noch „Einsichten“ einer Zunft in der Krise zu präsentieren. Nolte und Heidtmann öffnen uns ein klein wenig das Tor zu einer hermetisch abgeriegelten Welt. Zu sehen ist meist Belangloses. Mehr zu erwarten wäre wohl auch etwas überzogen. Wegen des lockeren Interview-Stils kann man das Buch gut lesen. Muss man aber nicht.

Titelbild

Barbara Nolte / Jan Heidtmann: Die da oben. Innenansichten aus deutschen Chefetage.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
200 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783518125991

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