Der Reiz der (harmlosen) Naivität

Wladimir Kaminer erzählt in „Salve Papa“ über die Tücken des Elternseins

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man muss gestehen, sich dem Kaminer-Hype zu entziehen, ist nicht gerade einfach. Berliner Freunde versichern einem, seine Tanzveranstaltung „Russendisko“ im Kaffee Burger sei Kult, lange schon auch in der deutschen Provinz und jenseits der Landesgrenzen bekannt. In den Talkshows der dritten Programme ist er ein willkommener Gast, wird – mit der sichtbaren Hoffnung auf ein Feuerwerk flotter Sprüche – zu allen erdenklichen Aspekten unseres (alltäglichen) Lebens befragt. In solchen Momenten mutiert die Gesprächsrunde zu einer Ein-Mann-Show. Und dann auch noch dies: Man kann keine Buchhandlung betreten, ohne dass einem ein volles Regal mit seinen Kurzprosa-Texten – für den einen Kolumnen, für den anderen Kurzgeschichten oder gar Kurzerzählungen – ins Auge springt, während das Gesuchte erst bestellt werden muss. Kurzum: Wladimir Kaminer gehört zu den festen Größen der deutschen Kulturszene.

Literarisch trat Kaminer, der 1990 als 22jähriger in der DDR Asyl bekam und nach der Wiedervereinigung wegen seiner jüdischen Herkunft als Kontingentflüchtling in der BRD anerkannt wurde, nach ersten Texten in Zeitungen und Zeitschriften mit seinem Buch „Russendisko“ (2000), das in kürzester Zeit zum Bestseller avancierte, an die Öffentlichkeit. Er berichtet darin in 50 Miniaturen über die widersprüchlichen Erfahrungen, die man als Neuankömmling aus dem ehemaligen Ostblock in Berlin macht. Die geschilderte Lebenswirklichkeit ist eine inter-, eine transkulturelle. Denn, wie Kaminer anhand der „fremden Esskulturen“ in der Stadt, in der Griechen in der eigenen Pizzeria Italienisch sprechen und türkische Imbisse von Bulgaren betrieben werden, feststellt: „Nichts ist hier echt, jeder ist er selbst und gleichzeitig ein anderer.“ Dies gilt erst recht für „deutsche Identitäten“. Ein Umstand, der vor kurzem zur Entdeckung Kaminers für die Germanistik führte, die inzwischen – zwar immer noch zögernd – auch die Literatur im Kontext von Migration und Mehrsprachigkeit untersucht.

Befremdlich, oft sogar skurril erscheint unser Leben auch jenseits der nationalen und kulturellen Zuschreibungen und Klischees, wenn es von Kaminer betrachtet wird. So auch im Band „Salve Papa!“, in dem ihm die Geschichten vom Leben mit seinen Kindern zum Anlass werden, das Thema Erziehung und Bildung auf die gewohnt ironische Weise zu erörtern. Hätte er auf diese Einordnung in größere Kontexte verzichtet, wäre die Sammlung – anderen Familienbüchern, die vom Anekdotischen zehren, ähnlich – zum Stichwortgeber für Eltern verkommen, die primär die Geschichten der eigenen Nachkommen erzählen wollen. Doch während er im Hinblick auf seine Vaterrolle im üblichen leichten Plauderton mit der eigenen Naivität kokettiert und sich zu einem Vater stilisiert, der sich vom Intellekt und von der Kreativität der eigenen Kinder überfordert fühlt und sie dementsprechend intuitiv „erzieht“, wird er zum scharfen Beobachter, wenn es um Fragen wie Generationskonflikte, Bildungsinhalte, schulische Erziehungsmaßnahmen oder um das Zusammenleben, dessen Grundlagen erst recht in den Schulen gelegt werden müssen, geht. Gerade hier wird die Naivität des Autors (und der Erziehungsberechtigten) zur Provokation, die eine starke subversive Kraft entfaltet.

Moden kommen und gehen, auch auf dem literarischen Markt. Die Nische des charmanten Migranten vom Dienst hat sich bisher bewährt, wenn man bedenkt, dass Kaminers Spiel mit Klischees wie Russenmafia und Rotlichtmilieu, Machotum und den Errungenschaften der ehemaligen Sowjetunion seit fast einem Jahrzehnt einen Reiz auf eine breite Leserschaft ausübt. Sicher, er argumentiert stets im Sinne einer multikulturellen Gesellschaft beziehungsweise einer prinzipiellen Andersheit aller Menschen, wie es etwa in der Geschichte „Karl Friedrich“ sichtbar wird, doch immer wieder werden – bedingt durch das Schreibverfahren – gerade Stereotype bestätigt. Kaminers Texte sind, leider auch in diesem Sinne gar nicht so harmlos, wie sie auf den ersten Blick scheinen.

Titelbild

Wladimir Kaminer: Salve Papa!
Manhattan Verlag, München 2008.
224 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783442546176

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