Mord durch Verlassen

Nach nahezu zwanzig Jahren ist ein Text der französischen Feministin Hélène Cixous über Ingeborg Bachmann endlich auf Deutsch erschienen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den 1970er-Jahren gelang es dem Feminismus bekanntlich zum zweiten Mal, zur Massenbewegung heranzuwachsen. Dass dies keineswegs mit einem Verlust des theoretischen Niveaus einherging, lässt sich leicht anhand der damaligen Publikationen akademischer Feministinnen zeigen. Überall dort, wo die Frauenbewegung erstarkte, traten feministische Theoretikerinnen mit anspruchsvollen Abhandlungen und anderen Texten hervor, die sich nicht immer an den Gepflogenheiten des wissenschaftlichen Mainstreams orientierten. In Frankreich wurden vor allem die Psychoanalytikerinnen Julia Kristeva und die schnell und nicht unbedingt zu Recht des Essentialismus beschuldigte Luce Irigaray, die leider bereits verstorbene Monique Wittig sowie nicht zuletzt die im algerischen Oran geborene Hélène Cixous zu shooting stars des feministischen Diskurses. Sie alle stehen für die Theorie und Praxis der écriture féminine.

Ähnlich wie Wittig wurde auch Cixous in Frankreich während der 1970er-Jahre vor allem mit fiktionalen Werken wie „Souffles“ (1975) oder dem Freud-kritischen Theaterstück „Portrait de Dora“ (1976) bekannt.

Im deutschsprachigen Raum wurden ihre Texte hingegen eher zögerlich publiziert. Doch immerhin liegen inzwischen rund zwanzig Werke ihres überaus umfangreichen Œuvres auf Deutsch vor. Zuletzt erschien ein Kapitel aus dem 1991 publizierten Buch „L’Ange au secret. Des femmes“. Es ist ein schmales Bändchen geworden und trägt den Titel „Jemand hat Ingeborg Bachmann getötet“.

„Wenn man mich fragt, was magst du lieber, verlassen oder verlassen werden, und es geht um einen lieben Menschen“, erklärt Cixous da in der Übersetzung von Herbert Rauner auf der ersten Seite, „ich würde nicht zögern, verlassen werden ist besser.“ Das ist nicht nur nachzuvollziehen, sondern eine klare und deutliche Aussage. Und wenn die Autorin etwas später konstatiert, Bachmann habe sich nach ihrem Tod wieder erholt, und zwar im New York der 1960er-Jahre, dann weiß man auch, wer der Mörder, was seine Waffe und welches das Heilmittel war: Der Name des Täters lautet natürlich Hans, die Waffe zu benennen erübrigt sich – und das Wundermittel? „Die Kunst, ach die Kunst“, wie Bachmann selbst einmal in einem Interview einen Dritten zitierte.

Doch nicht immer macht Cixous es den Lesenden derart einfach. Zu nicht geringen Teilen ist der Text so hermetisch, wie man es von dieser Autorin erwartet, deren ureigenes Genre die „Autobiografiktion“ ist, die der Herausgeber und Übersetzer Herbert Rauner als „Romanform“ erläutert, „in der (auto)biographische, literaturhistorische und -theoretische und (sprach)philosophische Textkomponenten in fiktionaler Prosa verschränkt sind.“

Dass der weithin verschlossene Text wert ist, geöffnet zu werden, versteht sich bei einer Autorin vom Range Cixous ebenfalls. Einen möglichen Schlüssel dazu bietet die nähere Bekanntschaft mit dem guten Gott Manhattans. Die beste Voraussetzung für das Gelingen des hermeneutischen Unternehmens dürfte aber sein, sich selbst dem Werk zu öffnen.

Herbert Rauner hat den Text nicht nur übersetzt und im Selbstverlag veröffentlicht, sondern auch ein Nachwort verfasst, in dem er nicht zu Unrecht voll des Lobes für die Autorin ist. So trifft es zweifellos zu, dass Cixous „eine der bedeutendsten feministischen Autorinnen“ ist. Ob es sich bei dem vorliegenden Text aber wirklich um „eine[n] der wichtigsten Beiträge zu Ingeborg Bachmanns Werk“ handelt, darf bezweifelt werden. Doch dies schmälert Rauners Verdienst keineswegs. Mehr als um Ingeborg Bachmann hat er sich allerdings um Cixous verdient gemacht.

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Hélène Cixous: Jemand hat Ingeborg Bachmann getötet.
Nachwort von Herbert Rauner.
Übersetzt aus dem Französischen von Herbert Rauner.
Dr. Erwin Rauner Verlag, Augsburg 2009.
55 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-13: 9783936905397

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