Der patriarchalische Blick

Maik Bozza und Michael Herrmann geben einen Sammelband zu den Stummfilmen von Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zweien der angesehensten deutschen Stummfilm-Regisseure widmet sich ein von Maik Bozza und Michael Herrmann unter dem Titel „Schattenbilder – Lichtgestalten“ herausgegebener Sammelband: Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau. Wie die Herausgeber im Vorwort erklären, ist den Beiträgen des Bandes ein „textwissenschaftlich grundierter Umgang mit den Filmen“ gemein. Denn ihren „hermeneutisch interessierte Lektüren“ des cineastischen Materials gehe es vor allem um das, „was in den Filmen (eben auch abseits der Handlung) erzählt wird, wie dies im einzelnen geschieht und im Rahmen welcher ästhetische[r] und kulturelle[r] Kontexte“.

„Vorgestellt“ werden ausschließlich Filme, die zu einer Zeit entstanden, zu der beide Regisseure „parallel“ arbeiteten, also von Beginn der 1920er-Jahre bis zu Murnaus Tod im Jahre 1931. Darüber hinaus gab es für die Auswahl der interpretierten Filme und behandelten Themen keine sachlichen Gründe, wie Bozza und Herrmann ohne weiteres bekennen. Vielmehr erfolgte sie schlicht „nach persönlichen Interessen der Beiträger“. Diese sind tatsächlich – ebenso wie die behandelten Regisseure und die Herausgeber – ausschließlich männlichen Geschlechts. Nun gesellt sich hiermit auch noch ein Rezensent hinzu, womit die Herrenriege komplett wäre.

Dass die Herausgeber nur Männer zur Feder greifen ließen, bedeutet jedoch nicht, dass sich die Autoren des Bandes nicht für geschlechtsspezifische Herrschaftsverhältnisse interessieren. Stefan Kleie führt sogar den Begriff des Patriarchats im Titel, der ankündigt, sein Autor befasse sich anhand von „Evidenz und Verführung in Friedrich Wilhelm Murnaus ‚Tartüff‘“ mit dessen „filmische[r] Restauration“. In offenbarer Anlehnung an den von feministischen Filmwissenschaftlerinnen der 1970er-Jahren der Kamera zugesprochenen männlichen Blick macht Kleie in der Einführungsszene (der Rahmenhandlung) von Murnaus Film einen „patriarchalische[n] Blick“ aus, der die Hierarchie zwischen dem Hausherr und seiner Haushälterin visuell umsetzt, indem die Aufnahme die Frau „in die Fluchtlinie“ der „fetischisierten abgetretenen Altherrenstiefel“ ihres Arbeitgebers „zwingt“. Für das Erschienungsjahr des Filmes 1925, wirke das „reichlich reaktionär“, merkt Kleie an. Dennoch hält er es für „verfehlt, die Grundtendenz des Films in expressionistischer Vatermördermanier einseitig als ‚gegen diese zäh verharrenden alte Zeit, gegen das Fest im Wilhelminismus verankerte Bürgertum, das vom Großvater repräsentiert wird‘“ gerichtet zu interpretieren, wie dies J. Hetebrügge und N. Meyer in ihrer Arbeit „Murnau und sein Verhältnis zum Theater“ tun. Kleie zufolge geht es in dem Film vielmehr um „das Erbe eben dieses wilhelminischen Bürgertums“. Denn in der Figur der Haushälterin „denunziert“ die Rahmenhandlung von Murnaus Film dem Autor zufolge eine „nichtlegitime Verschiebung“ der Machtverhältnisse „zu Gunsten der Unterschichten aus Proletariern und Kleinbürgern“ als „Heuchelei, Verrat und Verbrechen.“ In der Binnenhandlung des Films werde die Verteidigung der „patriarchalischen Ordnung“ durch die Figur Orgon an Tartüff sogar geradezu „exekutiert“, während der Kamerablick „durch das Schlüsselloch“ im Zusammenspiel mit der „manipulativ eingesetzten Schriftlichkeit“ der eingeblendeten Zwischentitel die „Restauration des eigentlich schon obsolet gewordenen Patriarchats“ bewerkstellige.

Kleies Begriff des Patriarchats bleibt dennoch recht vage. Er zielt wohl vornehmlich auf ein Familien- beziehungsweise Haushaltsgefüge, dem ein Mann der älteren Generation vorsteht. Die Unterbestimmtheit seines Patriarchatsbegriffes mag ihre Ursache darin haben, dass eigentlich etwas anderes im Zentrum von Kleies Interesse steht: die „Medienkonkurrenz zwischen Schrift, Theater und Film“ sowie die „Doppelstruktur“ von Rahmen- und Binnenhandlung als „historische Medienreflexion im Grenzbereich von Theater und Kino“.

Einem anderen Werk Murnaus wendet sich Alfred Stumm zu, der in seinem Beitrag, dem „Identitätsverlust“ und der „soziale Desintegration“ der titelstiftenden Figur in dem seinerzeit aufnahmetechnisch bahnbrechenden Film „Der letzte Mann“ anhand der eingesetzten „bildlichen Mittel“ des Films nachgeht. Stumms Interpretation des Werks und mehr noch einzelner Szenen ist nachvollziehbar und wird gerade in der kritischen Auseinandersetzung mit bisherigen ‚Lesarten‘ besonders überzeugend.

Der wohl bekannteste im vorliegenden Band behandelte Film stammt jedoch nicht von Murnau, sondern von Fritz Lang. Sascha Keilholz betrachtet ihn als „Stadtfilm“, was insofern nahe liegt, als schon sein Titel „Metropolis“, eine lateinisch-griechische Zusammensetzung, soviel wie Hauptstadt oder genauer gesagt Mutterstadt bedeutet. Darauf aber kommt Keilholz nicht zu sprechen. Er interessiert sich vielmehr für das „[L]abyrintisch[e]“ sowohl der Stadtarchitektur im Film wie auch des filmischen Konzeptes, das er mittels eines close reading vor allem des „Finale (furioso)“ herausarbeitet.

Kaum weniger bekannt als „Metropolis“ ist Langs einige Jahre später gedrehter Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Lang selbst war der Ansicht, dies sei dasjenige seiner Werke, das blieben wird, wie er 1967 gegenüber seinen Kollegen Jean-Luc Godard erklärte, der ihm ohne zu zögern beipflichtete. Und noch ein anderer schätzte den Film über alles: Joseph Goebbels. Nachdem er ihn im Kino angeschaut hatte, notierte er: „Abends mit Magda Film ‚M‘ von Fritz Lang gesehen. Fabelhaft! Gegen die Humanitätsduselei. Für Todesstrafe! Gut gemacht. Lang wird unser Regisseur.“ Philipp A. Ostrowicz, der sich in dem vorliegenden Band mit der Ordnung dieses Films befasst, zitiert die Tagebuchstelle. Auf Siegfried Krakauers berühmtes Diktum rekurrierend, die Entwicklung der in der Weimarer Republik produzierten Filme spiegele diejenige Deutschlands zum Nationalsozialismus, vertritt er die These, Langs „M“ stelle ein „System“ dar, „das durch Überwachung und Gewalt lebt und auch so erfolgreich ist.“

Das nicht übermäßig anspruchsvolle Vorhaben des Bandes, einen „Beitrag zur filmwissenschaftlichen Diskussion um den sogenannten expressionistischen Stil und seine bild- und filmästhetischen Auswirkungen“ zu leisten, lösen die Autoren ohne weiteres ein, zu denen neben den bereits genannten Manfred Koch („D – Ein Land sucht einen Toten“), Rainer Schelkle („Die Bilder der Massen“), Wolfgang Kasprzik („Eine Außenansicht der Innerlichkeit“) sowie die beiden Herausgeber Maik Bozza („Metaphysik und Romanze“) und Michael Herrmann („Restlichtverstärker, romantisch“) zählen.

Titelbild

Maik Bozza / Michael Herrmann: Schattenbilder - Lichtgestalten. Das Kino von Fritz Lang und F. W. Murnau.
Transcript Verlag, Bielefeld 2009.
208 Seiten, 25,80 EUR.
ISBN-13: 9783837611038

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