Was geschehen ist, soll niemals vergessen werden

Margot Kleinbergers Erinnerungen an ihre Deportation nach Theresienstadt: „Transportnummer VIII-1 387 hat überlebt“

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann noch so viele Bücher über den Holocaust lesen, doch man begreift es nicht und wird es wohl nie und nimmer begreifen, dass ein Regime so grausam und so unmenschlich sein konnte, ein ganzes Volk zu diffamieren, zu drangsalieren, auszugrenzen und schließlich systematisch auszurotten versuchte.

Wie schlimm diese Zeit für Ausgegrenzte und Verfolgte war, führt anschaulich und eindringlich die 1931 in Hannover geborene Margot Kleinberger in ihren Erinnerungen vor Augen. Zusammen mit ihrer Schwester wuchs sie wohlbehütet in einer Familie auf, die in ihrem Deutschsein und in ihrer Zugehörigkeit zum religiösen Judentum nie einen Widerspruch gesehen hat. Lebhaft erinnert sich die Autorin an ihre Kindheit in Hannover. Bilder zeigen sie als Baby und als kleines Mädchen mit langen Zöpfen und einer Schultüte im Arm.

Doch Lesen und Schreiben erlernte sie auf Umwegen. Denn deutsche Schulen durfte sie nicht mehr besuchen. Die Isolation und Ausgrenzung der Juden machte sich dann immer mehr bemerkbar. Deutlich steht Margot Kleinberger auch noch der 9. November 1938 vor Augen, als die jüdischen Männer abgeholt wurden und die Synagogen brannten. Ab 1941 durfte sich kein Jude mehr ohne den Judenstern auf der Straße blicken lassen. Jüdische Frauen mussten ihre Pelzmäntel abzugeben, und von Margot wiederum verlangten die Nazis, sich von ihrem Fahrrad zu trennen. Jüdische Geschäfte wurden arisiert und wohlhabende Juden unter Preisgabe ihres Vermögens zur Ausreise gezwungen. Den Kleinbergers wurde 1940 befohlen, in ein Judenhaus zu ziehen. Zwei Jahre später wurden sie nach Theresienstadt deportiert. Hier suchten die Nazis für die Infektionsabteilung Kinder als Versuchspersonen. Zu diesen gehörte auch die elfjährige Margot. Man stellte allerlei Versuche mit ihr an, so dass sie nacheinander an Scharlach, Masern, Röteln und Lungenentzündung erkrankte. Man brachte sie in das Sterbezimmer und legte ihr ein kleines, von Ärzten mit Diphtherie infiziertes Mädchen ins Bett, das dort starb. Sie selbst verlor ständig das Bewusstsein, bekam Spritzen, wurde gelähmt und lag oft im Koma. Schließlich fand man sie für weitere Experimente untauglich. Aber das Gift saß noch lange in ihren Knochen. Gleichwohl musste sie fortan, gerade zwölf Jahre alt, harte Arbeit verrichten und war wie alle anderen Gefangenen weiterhin der Willkür und den Launen von SS-Männern ausgeliefert. Im Lager lernte Margot Kleinberger Oberrabbiner Leo Baeck kennen, allerdings nicht gerade von seiner besten Seite. Er soll recht barsch gewesen sein und habe hilfesuchenden Juden seine Unterstützung versagt, schreibt sie.

Wider alle Ängste und Erwartungen haben Margot und ihre Familie überlebt im Gegensatz zu vielen ihrer Verwandten und Freunde. „Ich schämte mich sehr, weil ich noch lebte und sie in den Tod gingen“, bekennt die Autorin. An die neue Wirklichkeit nach der Befreiung mussten sich alle, die lange tagtäglich den Tod vor Augen hatten, erst langsam gewöhnen. Ihren Kindern hat die Autorin ihre schlimmen Erlebnisse zunächst verschwiegen – bis 1981. Damals bat sie ein Lehrer ihres jüngsten Sohnes, der Klasse von der Zeit des Nationalsozialismus zu erzählen. Die Ahnungslosigkeit der Schüler und des Lehrers erschreckte sie sehr. Von Stund’ an wusste sie, dass sie als eine der wenigen Überlebenden nicht länger schweigen durfte, denn „was geschehen ist, soll niemals vergessen werden“.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst in „Tribüne. Zeitschrift zum
Verständnis des Judentums“, 49.Jahrgang Heft 193 1.Quartal 2010. Wir danken der Autorin für die Publikationsgenehmigung.

Titelbild

Margot Kleinberger: Transportnummer VIII-1 387 hat überlebt. Als Kind in Theresienstadt.
Droste Verlag, Düsseldorf 2009.
192 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783770013340

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