Gedichte zum Klingen gebracht

Annette Lose legt ein Verzeichnis von Hacks-Vertonungen vor

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie erreichen Gedichte ihr Publikum? Ganz einfach, möchte man sagen: sie werden gelesen. Anschließen könnte man die Klage, dass sie immer seltener gelesen werden. Wahrscheinlich aber werden sie immer noch häufig gehört. Mögen die Kulturprogramme der Radios im Laufe der Jahre Frequenzen verloren haben und noch mehr an Einschaltquoten – an einem beliebigen Tag dürften dennoch mehr Menschen ein Gedicht hören als eines lesen.

Tatsächlich ist unter den literarischen Gattungen keine so fürs Ohr geeignet wie die Lyrik. Klang, Metrum und Rhythmus erschließen sich nur akustisch; und so glücklich wie selten ist der sensible Leser, der ein inneres Ohr hat und nicht den Vorleser braucht. Für alle anderen gibt es als ideale Ergänzung die Musik. Manchmal sogar sind es nur Vertonungen, die Gedichte im Gedächtnis der Nachwelt überleben lassen: Wer würde heute noch Wilhelm Müller zur Kenntnis nehmen, hätte nicht Franz Schubert seine Werke als Vorlage für die „Winterreise“ gewählt!

Eine ganz andere Position besetzt Peter Hacks. Wenn er auch in erster Linie fürs Theater schrieb, so finden sich unter seinen Werken doch manche der faszinierendsten Gedichte, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in deutscher Sprache entstanden. Die Literaturwissenschaft hat nicht nur aufgrund von Datierungsproblemen die Beschäftigung mit diesem Korpus meist gescheut: Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Hacks tradierter Formen bediente und mit der er sie weiterentwickelte, widerspricht dem geläufigen literaturgeschichtlichen Muster, nach dem die Moderne im Verzicht auf Reim und Metrum und in der Absage an Genres wie Ode, Elegie oder Sonett gipfelt. Erst seit kurzem gewinnt die Erkenntnis an Boden, dass die Absage ans Alte nur so lange provozierte, wie das Alte noch vorherrschte, und dass seitdem formlose Öde droht. Das ist eine Lage, in der man wieder beginnen kann, die Produktivität überkommener Muster zu erproben.

Viele Komponisten haben freilich nie aufgehört, die alten Formen in der Lyrik zu schätzen – leisten sie doch bei der Vertonung unschätzbare Hilfe. Man kann ihnen folgen, man kann Gegenakzente setzen, jedenfalls: man hat einen Anhaltspunkt und einen Widerstand. Hacks ist denn auch schon bevor er 1955 in die DDR übersiedelte, mit seiner Verbindung zum Münchner Kabarett, ein gern komponierter Autor gewesen und dies stets geblieben. In welch beeindruckendem Maße, das zeigt das von Annette Lose vorgelegte Verzeichnis der Vertonungen seiner lyrischen Werke.

Das Buch ist außerordentlich benutzerfreundlich doppelt erschließbar: über ein Verzeichnis der 151 erfassten Komponisten – das so bekannte Namen wie Hanns Eisler, Paul Dessau oder Siegfried Matthus, aber auch Franz Josef Degenhardt oder Wiglaf Droste bringt – und über ein Titelverzeichnis. Letzteres erlaubt es, besonders beliebte Kompositionsvorlagen zu identifizieren. Es handelt sich in erster Linie um Hacks’ Kindergedichte, um liedhaft angelegte Gedichte in Theaterstücken und um Agitpropkunst, die Hacks später zum großen Teil nicht in den Gedichtband der noch von ihm zusammengestellten Werkausgabe aufnahm. Welche Verbreitung die einzelnen Textgruppen hatten, lässt sich auch über das Verzeichnis von Schallplatten und CDs mit Hacks-Vertonungen erkennen, das – soweit rekonstruierbar – Hörspiele und Rundfunk-Features wie auch Hörbücher einschließt.

Die Aufstellung lässt einen Wunsch offen: den, zumindest die eigens für Hacks-Aufführungen komponierten Bühnenmusiken erfasst zu wissen. Dieser Wunsch ist freilich unverschämt, denn wie Ronald Webers 2008 erschienene Hacks-Bibliografie ist das Verzeichnis der Vertonungen ganz ohne öffentliche Unterstützung entstanden. Die auf fünf Bände angelegte „Hacks-Enzyklopädie“, deren nach Webers Literaturverzeichnis zweiter Teil hiermit vorliegt und die noch ein Begriffsregister, ein Personenverzeichnis und einen Werkkommentar bringen wird, ist damit auch ein beeindruckendes Dokument gegen den wissenschaftlichen Zeitgeist. Ist andernorts der Geldsegen greifbar, wenn nur die Zauberworte „Medien“, „Kultur“ oder „Wissen“ fallen, so wird hier im institutionellen Abseits das philologische Kerngeschäft betrieben, das jedem künftigen Interpreten der Werke Hacks’ eine wichtige Grundlage liefert.

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Annette Lose: Peter-Hacks-Vertonungen. Verzeichnis der Vertonungen lyrischer Werke von Peter Hacks 1949 bis 2008.
Verlag André Thiele, Mainz 2009.
222 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783940884121

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