Priester der Vernichtung

Über Christian Hartmanns Biografie von Hitlers Generalstabschef Franz Halder

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Generalstabsoffizier wollte er in die Fußstapfen des älteren Moltke treten, aber er versank schließlich in einem Morast aus halbherzig betriebener Verschwörung, bürokratischen Machtkämpfen, absurden Fehlurteilen und sogar kapitalen Kriegsverbrechen. Die Rede ist von dem bayerischen Artillerieoffizier Franz Halder, der von 1938 bis 1942 das prestigeträchtige Amt des Generalstabschefs des deutschen Heeres inne hatte und wie alle anderen Spitzenmilitärs des Dritten Reiches an ihrer eigenen Prinzipienlosigkeit und Karrieresucht scheiterte. Statt wie sein großes Vorbild an der Spitze des Heeres elegante Operationen auf den europäischen Schlachtfeldern zu lenken, musste Halder machtlos mit ansehen, wie Hitler die preußisch-deutsche Generalität skrupellos für seine Zwecke instrumentalisierte und ihn selbst erbarmungslos zum rot bestreiften Kofferträger demontierte.

Gerade die Kaste der Generalstabsoffiziere mit ihrem elitär-intellektuellen Habitus wirkte auf den Diktator wie ein rotes Tuch. Da er sich selbst als Frontkämpfer verstand, der im Ersten Weltkrieg fast vier Jahre lang in den Schützengräben Frankreichs zugebracht hatte, konnte er für einen Mann wie Halder, der damals in seinen verhältnismäßig sicheren Etappenquartieren kaum Pulverdampf gerochen hatte, nur abgrundtiefe Verachtung empfinden. Gleichwohl hielt die Mesalliance zwischen den beiden scheinbar so verschiedenen Persönlichkeiten fast vier Jahre, ehe der zermürbte Halder im Vorfeld der Stalingradkatastrophe seine Entlassung erhielt, angeblich von ihm selbst provoziert.

In der jetzt beim Schöningh-Verlag erschienenen zweiten Auflage seiner Dissertation von 1991 über „Hitlers Generalstabschef“ zeichnet Christian Hartmann das Bild eines zwar talentierten und überaus arbeitsamen Generalstabsoffiziers, der in seinem Ehrgeiz jedoch zur Selbstüberschätzung neigte und in einem Brief an seine Frau sogar behauptete, der spektakuläre Plan zur Niederwerfung Frankreichs sei von ihm entworfen worden.

Die einen diffamierten ihn als „unscheinbaren bezwickerten Oberlehrer“, der sich zur Schonung seiner roten Streifen gern ein Taschentuch zwischen die übereinander geschlagenen Beine legte, andere hingegen sahen in ihm den „vollendeten Kavalier“ und „Priester des Generalstabes“. Adolf Heusinger, im Russlandkrieg Chef der Operationsabteilung im Generalstab des Heeres, beschrieb ihn später als „sehr klug, sehr fleißig, gründlich und tüchtig, aber ohne genialen Zug und etwas schulmeisterlich“.

Gleichwohl war Halder nie der unpolitische Soldat, als den sich die meisten seiner Zunft später gern darstellen wollten. Über die Konsequenzen von Hitlers abenteuerlicher Politik im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges machte er sich ebenso wenige Illusionen wie sein Amtsvorgänger, Generaloberst Ludwig Beck. Zwar galt Halder den Verschwörern um Goerdeler, Oster und Gisevius anders als der nur Denkschriften produzierende Beck als Mann der Tat, doch zur offenen Rebellion mochte sich der monarchisch geprägte Halder weder in der Sudetenkrise noch während des so genannten Sitzkrieges im Winter 1939 entschließen.

Hartmann bemerkt dazu ganz klar: „Vor eine grundsätzliche Entscheidung gestellt, die ihn von seiner Erziehung wie von seinem Selbstverständnis als Offizier weit überfordern musste, suchte er die Entscheidung für Deutschland und entschied sich schließlich für seinen obersten Kriegsherren und damit auch, wie er inzwischen wissen musste, für die Hinnahme der deutschen Verbrechen in Polen. […] Die Konzeptionslosigkeit und Unsicherheit, mit der Halder zunächst auf die damalige Situation reagierte, prägte auch seine eigentliche Aufgabe als Generalstabschef.“ Mit einer „frappanten Kritiklosigkeit und Leichtfertigkeit“ folgte Halder dem Diktator dann auch in den verhängnisvollen Russlandkrieg. Dabei fällt nicht nur die Fahrlässigkeit auf, mit welcher der Leiter einer bis dahin stets für ihre Sorgfalt und Präzision geschätzten Institution die militärischen Kräfte des zukünftigen Gegners unterschätzte und es sogar als tragbares Risiko akzeptierte, bereits im Oktober ohne ausgebildete Reserven dazustehen. Halder leistete Hitler und der SS sogar noch wesentliche Handlangerdienste in der Vorbereitung und Durchführung eines bis dahin beispiellosen Vernichtungskrieges. Der Entwurf des Generalstabschefs für den berüchtigten Kommissarbefehl ging sogar noch über die Vorstellungen des konkurrierenden OKW hinaus, da er nicht nur die sofortige Liquidierung aller gefangenen Politoffiziere der Roten Armee forderte, sondern zugleich auch noch die Erschießung der zivilen Kommissare.

Wie viele seiner Offizierszunft teilte Halder den Abscheu Hitlers vor den berüchtigten Handlangern und Stützen des Bolschewismus, die angeblich auch die maßgeblich Protagonisten einer asiatisch-unmenschlichen Kriegsführung waren. Dass jedoch gefangen genommene Politoffiziere keinerlei Schaden mehr anrichten konnten, wohl aber die übrigen angesichts des ihnen drohenden Schicksals ihre Verbände erst recht zum äußersten Widerstand treiben würden, kam dem selbsternannten Nachfolger Moltkes offenbar nicht in den Sinn. Jedenfalls endete der keineswegs unschuldige Wilhelm Keitel für seine Unterschrift unter dem schließlich noch abgemilderten Kommissarbefehl am Nürnberger Galgen, während der erheblich rabiatere Halder bereits nach kurzer Gefangenschaft für die Alliierten als einflussreicher Vorsitzender der Historical Commission Geschichtspolitik betreiben durfte und erst hoch betagt im Alter von 88 Jahren im schönen Chiemgau verstarb.

Das Wirken dieser umstrittenen und in den entscheidenden Situationen überforderten Persönlichkeit charakterisiert noch am besten das nüchterne Verdikt, das der Widerstandskämpfer Ullrich von Hassel bereits vor dem Russlandkrieg in seinem Tagebuch notiert hatte: „Brauchitsch und Halder haben sich nun bereits auf das Hitlerische Manöver eingelassen, das Odium der Mordbrennerei von der bisher allein belasteten SS auf das Heer zu übertragen; sie haben die Verantwortung übernommen und durch einige an sich gar nichts ändernde, aber den Schein wahrende Zusätze sich selbst und andere getäuscht. Hoffnungslose Feldwebel.“

Hartmanns sorgfältige und gut lesbare Studie kommt fraglos das Verdienst zu, schon vor zwei Dekaden und noch vor der viel beschworenen Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ am Beispiel Halders klar gestellt zu haben, dass gerade die Führung der deutschen Wehrmacht Hitler fast ohne Vorbehalte in den ideologischen Vernichtungskrieg gefolgt ist. Die inzwischen reichhaltig publizierte Literatur zu den Führungsspitzen der Wehrmacht, wie etwa die voluminösen Arbeiten über Beck, Fromm und Paulus betrachtet Hartmann in seinem der Neuauflage angefügten Literaturbericht als Bestätigung seiner Thesen. Gleichwohl aber hätte man sich als Leser eine wirkliche Neubearbeitung des Textes gewünscht, der doch allzu abrupt mit Halders Entlassung im September 1942 endet. Die erneute Publikation der Studie hätte nach zwei Dekaden durchaus Anlass sein können, nicht nur Halders zugeben karges Privatleben näher zu beleuchten, sondern auch seine Gestapohaft nach dem 20. Juli sowie seine geschichtspolitischen Aktivitäten nach dem Krieg. Erst dieser Abschluss hätte ein Gesamtporträt des Mannes mit dem markanten Bürstenschnitt ergeben, um das sich der Leser doch irgendwie geprellt fühlt.

Titelbild

Christian Hartmann: Halder. Generalstabschef Hitlers 1938-1942.
Schöningh Verlag, Paderborn 2009.
438 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783506767622

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