Sprachen des Gefühls

Die Forschungseinrichtung „Languages of Emotion“ fördert an der FU Berlin Dialoge zwischen Natur- und Kulturwissenschaften

Von Nina DiezemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nina Diezemann

Auf dem Programm des „Dachforums“ steht Johann Gottlieb Herders „Über den Ursprung der Sprache“. Zu Gast sind der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant (Jacobs University Bremen) und der Anthropologe Michael Tomasello (MPI für Evolutionäre Anthropologie Leipzig). Das „Dachforum“ ist ein zentrales Kolloquium des Clusters „Languages of Emotionen“, einem aus Mitteln der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder geförderten Forschungsverbund an der Freien Universität Berlin. Seit knapp zwei Jahren sollen hier Sprach- und Emotionsforschung verbunden werden; Wissenschaftler aus mehr als 20 verschiedenen Disziplinen arbeiten gemeinsam zum Thema Sprache und Emotion. Für diesen Zusammenhang ist Herders Preisschrift aus dem Jahr 1772 ein zentraler Text, der im Kolloquium aus zwei Perspektiven betrachtet wird. Schnell werden die Differenzen zwischen natur- und geisteswissenschaftlichen Sichtweisen deutlich. So wundert sich Tomasello, der den „Ursprung der menschlichen Kommunikation“ experimentell in Studien mit Kleinkindern und Affen untersucht, über die mangelnde Empirie in Herders Denken. Herder habe, so Tomasello, doch sicher mit Kindern und Tieren zusammengelebt. Offenbar habe er keinen Blick darauf verschwendet zu beobachten, wie sie sich wirklich verhalten.

Experimentelles Denken auf der einen Seite und philologische, philosophische oder ethnologische Zugänge auf der anderen Seite zusammenzubringen ist ein großes Wagnis und dennoch wird genau das im Cluster „Languages of Emotion“ versucht. Der Austausch, die doppelte Perspektive, ist nicht nur auf Kolloquien, Vorträge und Tagungen beschränkt, in einigen Projekten arbeiten Geistes- und Naturwissenschaftler eng zusammen.

Ästhetische Modulation affektiver Valenz“ heißt etwa ein Projekt zur Theorie ästhetischer Emotionen, das der Literaturwissenschaftler und Clustersprecher Winfried Menninghaus zusammen mit dem Psychologen Thomas Jacobsen von der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg verfolgt. Gemeinsam mit dem Komponisten und Regisseur Julian Klein, dem Filmwissenschaftler Julian Hanich, dem Psychologen Valentin Wagner und dem Komparatisten Philipp Eckart gehen sie der Frage nach, warum Kunstwerke den Rezipienten verführen können, auf eigentlich negativ besetzte Phänomene mit positiver Rezeptionslust zu reagieren. Wann wird etwa ein ekelhafter Gegenstand als real und damit ekelhaft empfunden, wann gewinnt er die Qualität eines Kunstobjekts und wird mit Lust wahrgenommen?

Diese Fragen sollen nicht nur werk- oder rezeptionsanalytisch, sondern auch experimentell beantwortet werden. Hierfür geeignete Studiendesigns zu entwickeln, stellt die Projektmitarbeiter immer wieder vor die Frage, ob man ästhetische Erfahrung überhaupt messen kann. Noch allgemeiner formuliert: Wie hängen jene Parameter, die von der empirischen Forschung erhoben werden können, mit dem, was Menschen empfinden, zusammen?

Es sind komplexe, manchmal sogar scheinbar widersprüchliche Gefühle (wie die ästhetischen Emotionen), die im Zentrum des Emotionsforschung des Clusters stehen, affektive Verhaltensweisen, die über basale Emotionen wie Angst, Wut oder Überraschung hinaus gehen und eine gesellschaftlich geprägte, kulturelle Dimension haben. In einem Forschungsprojekt, in dem Psychologen und Ethnologen zusammenarbeiten, geht es etwa um den Begriff der „Ehre“ in Migrantenkulturen.

Andere Forschungsvorhaben unterschiedlicher Disziplinen beschäftigen sich mit dem Erzählen von Emotionen und der Wahrnehmung von Emotionen anderer – im Alltagsleben oder in der Kunst. Empathie ist etwa ein Schlüsselbegriff, zu dem Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen arbeiten. Wenn der Austausch gelingt, kann der Blick für die disziplinären Unterschiede, für die Differenzen der jeweiligen Begriffsbestimmungen sogar geschärft werden.

Der Cluster will zudem Emotionsforschung aus akademischen Kreisen hinaustragen in jene Bereiche, in denen vor allem mit Emotionen gearbeitet wird – wie etwa auf der Theaterbühne. So waren Cluster-Wissenschaftler Ende letzten Jahres für drei Tage zu Gast im Theater Hebbel-am-Ufer und sprachen mit anderen Experten über Emotionen. „Man muss den Körper beim Tanzen hören, sonst entstehen keine Emotionen“, erzählte etwa die Choreographin Sasha Waltz, die mit der Philosophin Catherine Newmark über Gefühle beim Tanz sprach. Der Schauspieler Samuel Finzi bezweifelte im Gespräch mit der Autismusforscherin Isabel Dziobek, dass es typische mimische und gestische Emotionsausdrücke gebe. Zumindest sehe er es als Qualität eines Schauspielers auf der Bühne oder vor der Kamera, Empfindungen immer ganz anders Ausdruck zu verleihen als auf erwartbare Weise.

Die Qualität der am Cluster betriebenen Emotionsforschung könnte darin liegen, solche Perspektivwechsel zu ermöglichen und – an der Universität – Formen des interdisziplinären Dialogs zu erproben. Es ist eher ein Verständigungs- und Austauschprozess, kein gemeinsamer Ansatz. Um den Ursprung der Sprache zu verstehen, brauche es zwei Geschichten, schloss Tomasello seinen Kommentar zu Herders Text: eine „evolutionary story“ für den universellen Part und eine „cultural story“ für die anschließende Differenzierung in mehr als 6.000 Sprachen.