Kommune I – Philologie (erster Versuch)

Sara Hakemi untersucht die Flugblätter der Kommune I im Kontext der Skandalavantgarden

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Flugblätter waren in der Frühphase der Kommune I wohl das wichtigste Kommunikationsmedium, mit dem sich die Politclowns der APO in der Szene und im Medienbetrieb der Republik Gehör zu verschaffen wussten. Vor allem die Flugblätter 6-9, in denen die KI vorgeblich zur Warenhausbrandstiftung aufgerufen hatte, geben bis heute zur wohlfeilen Empörung Anlass. Nicht zuletzt deshalb, weil im Jahr darauf das Bonny & Clyde-Pärchen der linke Szene, Gudrun Ensslin und Andreas Bader, unter Mithilfe von Thorwald Proll Brandsätze in zwei Frankfurter Kaufhäusern legte. Von hier aus die Linie weiter bis zur 1970 mit der Befreiung Ensslins und Baaders gegründeten Roten Armee Fraktion zu ziehen, liegt nahe, zumal die Kontakte zwischen Ensslin, Baader und der KI bekannt genug sind. Die Chronologie spricht dafür: KI, Frankfurt, RAF.

Allerdings ist die Ableitung methodisch, politisch und strukturell problematisch, da zwischen dem Politikverständnis der frühen Kommune I von 1967 und dem der RAF von 1970 drei lange Jahre liegen, eine Zeitspanne, die für die Entwicklung der Außerparlamentarischen Opposition bis hin zur undogmatischen Linken entscheidend sind.

Umso verbissener verlaufen die Kämpfe um die Interpretationshoheit dieser Jahre und insbesondere um die Ableitungen des RAF-Terrors aus der politisierten Studentenbewegung der späten 1960er-Jahre. Dass es dabei eben auch um Verantwortung, ja um Schuld geht, ist dabei unbenommen. Aber auch wenn der RAF-Terror zahlenmäßig vergleichsweise wenige Opfer gefordert hat, hat die RAF doch die innenpolitische Diskussion und das gesellschaftliche Klima bis in die achtziger Jahre hinein mitbestimmt. Freilich weniger durch ihre eigenen Aktionen als durch die Reaktion der staatlichen Institutionen und Medien auf die nur wenige dutzend Mitglieder umfassende RAF. Dass die Bestimmung des gesellschaftlichen Binnenklimas die Strategie der RAF wie von terroristischen Gruppen generell ist, hat Andreas Elter in seiner 2008 publizierten Studie deutlich herausgestellt (siehe literaturkritik.de 10/2008).

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Sara Hakemi, allerdings ist die Basis, auf der sie dieses Ergebnis erzielt, kaum hinreichend. Mehr noch, aus dem Material, das sie einer näheren Untersuchung unterzieht, ist dieses Ergebnis nicht ableitbar.

Grundsätzlich lässt sich ihre Arbeit in zwei Bereiche trennen. Erstens in einen Untersuchungs- und Analysebereich, in dem sie insbesondere die Flugblätter der Kommune I, die Prozessunterlagen zum Kaufhausbrandtstifterprozess gegen Ensslin und Baader, die Flugblätter der Umherschweifenden Haschrebellen und die Programmschriften der frühen RAF untersucht.

Ein angeblicher Exkurs zum politischen Konzept der Kommune I und deren Ableitung aus den historischen Avantgarden liefert lediglich eine knappe Skizze der Situationistischen Internationale, zur Rezeption der Avantgarden nach 1945 und zum Avantgardebegriff der Wissenschaften. Die notwendige Ableitung der Kommune I-Konzepte aus den avantgardistischen Traditionen entfällt allerdings.

Im zweiten Themenbereich, den Hakemi an den Schluss der Studie gestellt hat, diskutiert sie die Aktivitäten von Kommune I bis RAF unter macht- und medienpolitischen Aspekten, ohne diese aber kontextuell einzubinden. Die Arbeit ist, kurz gesagt, hier teils kurzschlüssig, teils abwegig.

Die hier zu findende lapidare Abweisung der Argumentation, wie sie Heinrich Böll in seiner 1972 im „Spiegel“ veröffentlichen Anti-BILD-Polemik „Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?“ vorgebracht hat, ist mit den medienpolitischen Strategien und Wirkungen der RAF nicht begründbar. Auch die These, dass es eben auf die Mobilisierung des neutralen Massenpublikums ankomme, wie dies Hakemi anschneidet, greift nicht.

Ganz im Gegenteil, Böll visierte ja gerade im Spiegel-Essay wie in seinen damaligen Romanen und Erzählungen die Veränderungen von Gesellschaft durch die Überreaktionen der staatlichen Institutionen an, reflektiert also das Beziehungsgefüge im gesellschaftlichen Kontext der Zeit. Dass Hakemi diese medialen und institutionellen Reaktionen zudem in Nebenbemerkungen als adäquat legitimiert, ist bestenfalls als nachlässig anzusehen, liegt möglicherweise aber auch darin begründet, dass sie die gesellschaftlichen Kontexte ihrer untersuchten Schriften nicht genügend berücksichtigt hat. Dies ist im Übrigen neuerdings auf der website http://www.medienarchiv1968.de/ möglich, auf der der Springer-Verlag seine Berichterstattung zwischen 1966 und 1968 dokumentiert.

Problematisch ist auch die Auswahl ihrer Materialien. Im Zentrum ihres Interesses steht die Rezeption des Skandalisierungsprofils der historischen Avantgarden durch die Kommune I und ihre Nachfolger. Sie will dabei die Frage beantworten, inwieweit die Kaufhausbrandstifterflugblätter der Kommune I tatsächlich appellativen Charakter haben oder inwiefern sie als satirische Skandalisierungsprojekte anzusehen sind.

Hakemis textnahe Lektüre führt dabei zu einem offenen Ergebnis. Die Texte seien ebenso im Sinne der später im Flugblattprozess vorgebrachten surrealistischen Tradition wie im Sinne der Anklagebehörden lesbar. Das Konzept der Kommune I sei auf die Skandalisierung der Wahrnehmung und auf die Irritierung der öffentlichen Meinung aus gewesen. Die Medien seien als Multiplikatoren genutzt worden.

Gerade aus diesem Grund habe die Kommune I die in politischen Flugblättern gewohnte argumentative und sich positionierende Schreibweise fallen gelassen. Diese Praxis lasse sich im Übrigen bei den Schriften der Umherschweifenden Haschrebellen und anderer späterer Sponti-Gruppen wiederfinden. Ensslin und Baader hätten zudem das spontaneistische Konzept der Kommune I, das diese bei ihren Happenings wie im Flugblattprozess praktiziert haben, im Frankfurter Prozess gegen die Kaufhausbrandstifter imitiert.

Die Schriften der RAF in den frühen 1970er-Jahren ließen aber ein völlig anderes Konzept erkennen, da sich die RAF in ihren Schriften einem konventionellen politisierten Flugblattkonzept genähert hätten.

Nun ist die Chronologie dieser Texte vielleicht einigermaßen plausibel. Im Konzert der gesellschaftlichen Diskurse und Aktivitäten, aber selbst fokussiert auf die undogmatische, linksradikale Szene der Jahre 1967 bis 1972 ist die Linie, die Hakemi durch ihr Material zieht, nicht schlüssig.

Dass Baader und Ensslin die Kommune I kannten, ist hinreichend bekannt – was aber ist daraus für die Radikalisierung der RAF-Begründer zu folgern, wenn die gesamte Entwicklung der APO und der gesellschaftlichen Diskussionen, Aktionen und Reaktionen, mithin der gesamte sonstige gesellschaftliche Kontext beinahe völlig ausgeblendet bleibt? Auch die sonstigen personellen Linien, die Hakemi andeutet, insbesondere durch Kunzelmann, Teufel und Ulrich Enzensberger, sind ohne weiteres kein Beleg für die – abkürzend gesagt – Ableitung der RAF-Militarisierung aus den Aktionen und Flugblättern der Kommune I.

Hinzu kommt, dass Hakemi sich merkwürdiger Weise lediglich auf vier von 26 nachweisbaren Kommune I-Flugblättern konzentriert, die Auswahl aber nur damit begründet, dass diese Flugblätter angeblich den „Höhepunkt der literarischen Produktion“ der KI darstellen (worin diese bestehen soll, lässt sich freilich nicht überprüfen). Auch wird weder das Medium Flugblatt einer genauen, historisch angemessenen Analyse unterzogen, noch werden die Differenzen zu anderen Publikationsformen, Genres und Medien berücksichtigt, etwa zwischen den Kommune I-Flugblättern 1967 und der in der Zeitschrift 883 im Jahre 1970 veröffentlichten Gründungserklärung der RAF. Die Differenz zwischen den Kommune I-Aktionen und ihren Flugblättern, auch die interne Entwicklung der Kommune I bleiben unberücksichtigt, ebenso wenig wird reflektiert, dass die Kommune I lediglich im ersten Jahr ihrer Existenz das Flugblatt als Medium gepflegt hat (siehe literaturkritik.de 1/2008). Selbst die gestalterischen Elemente der Kommune I-Flugblätter, etwa ihre Zählung oder die einfache typografische Gestaltung sind ihr keine eingehende Untersuchung wert. Solch irritierende Lücken, diese methodischen Schwächen und die offensichtliche Fragmentarität der Studie Hakemis sind es denn auch, die ihre Nützlichkeit und Belastbarkeit deutlich einschränken.

Titelbild

Sara Hakemi: Anschlag und Spektakel. Flugblätter der Kommune I, Erklärungen von Ensslin/Baader und der frühen RAF.
Posth Verlag, Bochum 2008.
207 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783981081435

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