Flucht vor der Vergangenheit

Die Liaison, von der William Trevor in seinem neuen Buch „Liebe und Sommer“ erzählt, hat nichts Romantisches

Von Anabell SchuchhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anabell Schuchhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rathmoye ist ein kleiner Ort auf dem irischen Land Ende der 1950er-Jahre, in dem jeder von dem anderen weiß, was er tut. Und so bekommt auch Miss Connulty sehr schnell mit, dass sich zwischen der jungen Bauersfrau Ellie und dem Unbekannten im Dorf mehr als nur eine Freundschaft anbahnt. Verzweifelt überlegt die ältere Dame, wie sie die Affäre verhindern kann und denkt dabei doch mehr an ihre eigene leidvolle Vergangenheit. Ellies Mann hingegen merkt von alldem nichts. Viel zu sehr ist er damit beschäftigt, die Schuld an dem Tod seiner früheren Frau und dem Kind auf sich zu nehmen.

William Trevor beschreibt mit einfachen Worten das Leben der einzelnen Personen, die alle auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind und gleichzeitig einsam erscheinen. Jeder lebt in seiner eigenen Welt, in der ihm nicht viel Gutes widerfahren ist. Der Autor versteht es, durch die detailreiche Darstellung einzelner Tagesabschnitte die Hilflosigkeit und das Ohnmachtsgefühl der Bewohner von Rathmoye wiederzugeben. Die jeweiligen Charaktere und deren Geschichte gestaltet er dabei sehr unterschiedlich und bizarr, ohne jedoch an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Im Grunde sind es fast normale Probleme, die Trevor den Menschen zuschreibt, doch diese befallen ihre Opfer mit solcher Intensität, dass sie aus jedem eine eigene Tragödie machen.

Klingt der Titel mit „Sommer und Liebe“ noch nach einer romantischen Liebesgeschichte, so wird beim Lesen sehr schnell klar, dass es kein Happy End geben kann. Egal welchen Verlauf das Buch nehmen würde, der Schmerz und das Leid könnten nicht verschwinden, ohne dass Trevor einen Kitschroman daraus machen müsste. Was am Anfang noch als Liebesgeschichte interpretierbar ist, entpuppt sich als Verzweiflungstat zwischen zwei jungen Menschen, die eher versuchen, vor der Vergangenheit zu fliehen. Beide haben sich selbst noch nicht gefunden und halten sich aneinander fest, um in ihren Sorgen und Ängsten nicht unterzugehen.

Vieles bleibt in dem Buch unausgesprochen und lässt sich nur erahnen. Der Autor spielt mit den Bildern, die sich in dem Kopf des Lesers bilden, und beweist somit, dass es keiner großen Beschreibungen bedarf, um bestimmte Momente oder Emotionen zu evozieren. Es genügen Skizzen, mit denen man die Umrisse erkennt, um zu wissen, was zu sehen sein soll. Trevor beherrscht somit eine Kunstästhetik, die seinem Werk 2009 eine Nomination für den Booker Prize einbrachte. Manchmal sind wenige Worte eben doch mehr.

Titelbild

William Trevor: Liebe und Sommer. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009.
222 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783455402018

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