Rechte Unterwelt

Angelo Petrellas unkonventioneller Krimi über einen neapolitanischen Skin

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die krimiinterne Moral wird nur selten verletzt. Die Guten mögen zwar nicht immer vorbildliche Figuren sein, je gebrochener diese Helden aber sind, desto strahlender ist eigentlich der Aufstieg, den sie im späteren Verlauf der Krimis erleben. Selbst Negativgestalten und Ausgeburten des Bösen wie Auftragskiller erleben – werden sie zu Hauptfiguren -– so etwas wie eine Katharsis und wandeln sich zu positiv konnotierten Gestalten, wie das in „Leon der Profi“ paradigmatisch vorgeführt worden ist (wahrscheinlich für immer die Paraderolle Jean Renos).

Aber es gibt Grenzen: Serienkiller dürfen zwar Einblicke in ihr Innenleben geben (meist kursiv abgesetzt und kenntlich gemacht), aber aufgewertet werden sie eigentlich nie (eine der wenigen Ausnahmen ist Hannibal Lecter aus „Das Schweigen der Lämmer“).

Nazis, Skins und andere Repräsentanten des sozialen Bodensatzes haben daher eine ebenso schlechte Reputation im Krimi wie in der Literatur insgesamt. Nicht einmal in den humoresken Nebenrollen sind sie geduldet. Auch hier gibt es Ausnahmen, wie Nanni Balestrinis „I furiosi“, der 1995 auf Deutsch erschien und tiefe Einblicke in die Welt der italienischen Fußballhooligans ermöglichte.

Angelo Petrella ist nun dem Vorbild Balestrinis gefolgt und hat mit „Nazi Paradise“ einen rasanten, unkonventionellen, straffen und zugleich sprachlich höchst aufregenden kleinen Krimi vorgelegt. Das ist etwas Besonderes, nicht nur weil der Held außergewöhnlich ist. Sondern auch, weil Petrella sich vor jeder Verurteilung seiner Figur hütet.

Das ist politisch fraglichund moralisch bedenklich, da der Protagonist sich an keine Konvention, an keine gute Sitte, an keine Begriffsverbote hält, sondern provoziert, drauf los schlägt und all das beschimpft, was für ihn mit der allzu satten und dabei korrupten bürgerlichen Gesellschaft verbunden ist: die Linken wie die Etablierten (obwohl man sich gelegentlich ganz gut mit den Anarchos gegen das Establishment zusammentun kann), die Gutmenschen wie die Einwanderer. Jeder bekommt sein Fett weg und keiner ist am Ende besser gestellt als andere.

Nicht einmal die eigene Klientel, die sich als gesellschaftliche Substruktur mit eigenen Regeln, eigener Sprache, eigener Sozialstruktur und eigenen Orten zeigt, wird geschont. Dem „Kamerad“ Teschio wird mit Sanktionen gedroht, wenn er nicht aufhört, seinen „Scheißpitbull“ mit Drogen zu füttern. Spätestens seitdem die Bomberjacke des Helden von „Thor 3“ (die Tiere leben nicht lange) zerfetzt wurden, ist Schluss.

Auf kaum mehr als 100 Druckseiten folgt Petrella einem jungen Skin, der zwar eine allzu aggressive und wenig angenehme Sprache spricht, aber – wenigstens das – ein ganz guter Hacker zu sein scheint, tummelt er sich doch den lieben langen Tag im Netz herum und räumt die Konten anderer Leute zu seinen Gunsten.

Seine Kompetenzen sind es auch, die ihn nach einem Überfall auf einen Schwarzen, den er mit seinen „Kameraden“ durchzieht und bei dem er selbst übelst verdroschen wird, davor retten, in irgendeinem Knast zu verrotten.

Denn die Polizisten, die ihn aufgreifen, stellen ihn vor die Entscheidung, entweder er wandert in den Knast oder aber er tut ihnen einen Gefallen. Das gefällt dem jungen Mann zwar nicht, aber was will er machen. Er lässt sich auf den Deal ein: Er soll im Auftrag seiner „Fürsprecher“ den Rechner eines ihm Unbekannten ausspionieren. Da das Gerät leider offline arbeitet, muss er dafür auf eine ziemlich öde „linke Zecken“-Party. Eine unbekannte Frau vermittelt ihm den Zugang (wofür er sogar eine Bundfaltenhose aus dem Schrank kramen muss), und die Geschichte steuert rasant auf ihr Finale zu.

Natürlich entwickelt sich das Ganze schließlich nicht so wie geplant. Das wäre ja auch irgendwie irritierend. Natürlich wird der Skin-Hacker ertappt, natürlich muss er sich irgendwie raustricksen und natürlich gelingt ihm das irgendwie. Und naheliegend kommt er dabei einer großen Sache auf die Spur.

Petrellas Handlungsführung ist dabei auf das Wesentliche fokussiert. Dabei scheut er sich nicht davor zurück, das, woran die Leser nicht direkt teilnehmen können, zu referieren oder ins Gespräch der Figuren zu verlagern. Eigentlich ein Indiz für aufgeblasene Langweilerkrimis, in diesem Fall jedoch verhält sich das anders, vielleicht auch, weil Petrella ansonsten immer nah am Verlauf der Handlung bleibt, seinen Helden vor sich hin schimpfen lässt und auf die Welt insgesamt nichts Gutes kommen lässt.

Und dennoch ist der knapp gehaltene Text ein bisschen verschenkt. Dass der Ton und der rasche Verlauf vielleicht die Kürze provoziert, mag hinzukommen, dennoch wirkt Petrellas Krimi sehr mit der schnellen Nadel gestrickt und hastig zuende geführt.

Hinzu kommt, dass Thor Kunkel im Vorwort (das man sich hätte schenken können) so stark mit der vorgeblichen Provokation hausieren geht, die in Petrellas Text zu finden sei, dass die Erwartungen das Gelesene deutlich übersteigen. In Zeiten, in denen wie die „FAZ“ einen wohlwollenden Nachruf auf die „Böhsen Onkelz“ publiziert und davon berichtet, wie sie sich angeblich von ihrer Ursprungsklientel gelöst hätten, ohne den unverhohlenen Zorn auf die Gesellschaft aufzugeben, birgt ein Text wie der Petrellas nur wenig Sprengstoff mehr.

Titelbild

Angelo Petrella: Nazi Paradise.
Vorwort von Thor Kunkel.
Übersetzt aus dem Italienischen von Bettina Müller-Renzoni.
Pulp Master Verlag, Berlin 2009.
118 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-13: 9783927734432

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