Gegen den donnernden Schwachsinn auf allen Kanälen

Gerhard Polts „Kehraus“ ist nun auch als Hörspiel erhältlich

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Faschingszeit ist per se schon unerträglich, aber noch viel unerträglicher ist sie, wenn man sie in einer Firma ertragen muss. Einer solchen Karnevalshölle steht der unbescholtene, aber etwas einfältige Ferdinand Weitel gegenüber, als er versucht, auf dem Faschingsball der Versicherung seine völlig überflüssigen Policen wieder loszuwerden. Diese wurden ihm von dem windigen Vertreter von Mehling aufgeschwatzt, der sich nach Weitels Unterschriften schleunigst aus dem Staub machte. Ein persönlicher Besuch bei der Versicherung bringt natürlich nichts. Und so beschließt Weitel, sein Glück auf eben jenem Ball zu versuchen.

Dort platzt er mitten hinein in eine völlig absurde Welt des verordneten Frohsinns, in denen die großkopferten Herren aus dem „6. Stock“ zwischen zwei Cocktails und derben Zoten mal eben den Großteil der Belegschaft entlassen. Die scheinbar geordnete Welt der Angestellten stellt Gerhard Polt in seinem Stück als bitterböse Illusion dar. Er hat aber ein Gespür dafür, bei aller Komik die dahinterstehenden Tragödien nicht aus den Augen zu verlieren. Die Protagonisten werden zwar grotesk überzeichnet, aber in ihrer Darstellung überrascht immer wieder eine ausgesprochene Liebe zum Detail, etwa bei der Figur Deutelmoser, der minutenlang vor dem Spiegel seinen ebenso legendären wie erfolglosen Anmachspruch „I am a Wolpertinger, and what are you? You like dancing?“ übt.

Mit dem 1983 erschienenen Film „Kehraus“, der mit dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet wurde, schuf Polt ein Meisterwerk, das noch vor seinem wohl erfolgreichsten Film „Man spricht Deutsh“ rangiert. Er hat ein Gespür für Timing und Komik. In der gleichen, wenn auch reduzierten Besetzung wie im Film wurde die gekürzte Hörspielbearbeitung realisiert – und erreicht eine ganz eigene Qualität, vieles ist pointierter, manches – wie etwa die längliche Exposition des Films, die stark gekürzt wurde – geschickter gelöst. Nur gelegentlich vermisst man das eine oder andere Mal das Visuelle. Doch auch ohne Dieter Hildebrandt alias Berzelmeier und Co., die in der knapp 90-minütigen Hörfassung nicht mehr auftreten, wirkt „Kehraus“ auch nach beinahe dreißig Jahren noch erschreckend aktuell.

Gerade zur Faschingszeit sollte man sich Polts Abrechnung immer wieder ansehen oder jetzt eben auch anhören – als gutes Kontrastprogramm zum dreifach donnernden Schwachsinn auf allen Kanälen.

Titelbild

Gerhard Polt: Kehraus. 2 CD.
Der Hörverlag, München 2010.
90 min, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783867175586

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