Wie lange geht das noch „gut“?

Schulden erdrosseln unsere Zukunft

Von Dirk KaeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Kaesler

Sie lesen diesen Text vermutlich auf dem Bildschirm Ihres Computers. Wenn dem so ist, bitte ich Sie – bevor Sie weiterlesen – diesen Link aufzurufen: http://www.steuerzahler.de

Sie sehen dort die „Schuldenuhr“, die der „Bund der Steuerzahler“ (BdSt) in Berlin und Wiesbaden an seinen jeweiligen Geschäftsstellen außen und gut sichtbar installiert hat und die Sie schon oft im Fernsehen betrachten konnten.

Als ich diesen Text zu schreiben begann, stand die Uhr auf folgender Zahl: 1.673.263.422.441. Das sind 1 Billion, 673 Milliarden, 263 Millionen, 422 Tausend, 441 Euro. Am 17. Februar 2010 gegen Mittag war das der aktuelle Schuldenstand der öffentlichen Haushalte in Deutschland.

Ich musste das Bild auf meinem Rechner fotografieren, da die Zahlen derart rasen, dass ich mit dem Aufschreiben nicht nachkam. Der Schuldenberg, den Bund, Länder und Kommunen auftürmen, wächst in jeder Sekunde um 4.481 Euro, das führt zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 2.003 Euro, ebenfalls pro Sekunde. Die derzeitigen Schulden pro Kopf der deutschen Bevölkerung werden mit 20.468 Euro angegeben.

Nach Angaben des Präsidenten des BdSt, Karl Heinz Däke, ist der Bund der „Schuldentreiber Nummer Eins“. Er plant in diesem Jahr neue Kredite im Umfang von 100,3 Milliarden Euro aufzunehmen, allein für den „Kernhaushalt“ soll die Nettokreditaufnahme 85,8 Milliarden betragen. Zudem will sich der Bund für den „Finanzmarktstabilisierungsfonds“ und den „Investitionsfonds“ (Konjunkturpaket II) um weitere 14,5 Milliarden Euro verschulden.

Die Nettokreditaufnahme der Länder und Kommunen wird im laufenden Jahr voraussichtlich 41 Milliarden Euro betragen. Dabei ist die Haushaltssituation in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. So wollen Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen ganz ohne neue Schulden auskommen. Die Schulden des Bundeslandes Bremen sind im Jahr 2009 auf 16,1 Milliarden Euro gestiegen. Die bremische Finanzsenatorin Karoline Linnert erklärt das mit einem „dramatischen Absturz“ der Steuereinnahmen um 867 Millionen Euro im Jahr 2009, das sind zwölf Prozent weniger als 2008. Bei einer Verschuldung von 24.400 Euro je Einwohner ist Bremen das mit Abstand höchstverschuldete Bundesland. Der „Kommunale Finanz- und Schuldenreport“ weist aus, dass die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 4.619,00 Euro auf Platz 1 liegen, dicht gefolgt von Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und dem Saarland. Der Deutsche Städtetag forderte jüngst Bund und Länder auf, „mehr Anstrengungen zur Entschuldung finanzschwacher Kommunen“ zu unternehmen, die Vorsitzende Petra Roth informierte darüber, dass die Kassenkredite der Kommunen für laufende Ausgaben auf inzwischen 34 Milliarden Euro angewachsen seien.

Insgesamt werden die deutschen Staatsschulden im Laufe des Jahres 2010 um voraussichtlich 141,3 Milliarden Euro steigen. Zum Jahresende wird der Schuldenberg an der 1,8 Billionenmarke kratzen. Das alles hat seinen Preis. Nach BdSt-Schätzungen betragen die Zinslasten, die Bund, Länder und Kommunen – also letztlich wir Steuerzahler – zu tragen haben, in diesem Jahr rund 63,2 Milliarden Euro. Das entspricht den genannten 2.003 Euro Zinsen pro Sekunde. „Die Schuldenuhr und die Zinsuhr senden ein klares Signal an die Politik. Sie muss endlich die Staatsausgaben begrenzen, statt sie über Schulden von kommenden Steuerzahlergenerationen finanzieren zu lassen“, fordert Däke.

Was mich angesichts dieser Situation zunehmend mehr beschäftigte, war die Frage, wer das eigentlich alles finanziert. Ich weiß, die direkten Analogien aus dem Privatleben sind nicht nur naiv, sondern auch manchmal irreführend. Meine Bank würde bei einem solchen Spiel, bei dem ich mich mit 4.481 Euro in der Sekunde verschulde, nicht mitmachen. Warum also, so fragte ich mich, macht sie bei der Verschuldung der „öffentlichen Hand“ mit? Und wer verdient an diesem Spiel?

Der Leiter der Abteilung für Haushalts- und Finanzpolitik beim BdSt, der Diplomvolkswirt Matthias Warneke, war bereit, meine Fragen zu beantworten. Vielleicht hilft das auch so manche Nachdenklichkeit bei meiner Leserschaft zu verstärken. Wer also sind die Gläubiger der Bundesrepublik Deutschland, wer macht das Spiel damit überhaupt erst möglich? Ohne wen hätte Deutschland, seine Bundesländer und Kommunen schon längst Insolvenz anmelden müssen, – ebenso wie überschuldete Privatmenschen, die ein Privatinsolvenzverfahren nach der „Insolvenzordnung“ anstreben müssen, wenn sie in eine ausweglose Verschuldung geraten sind?

Beginnen wir erneut mit den Zahlen: Die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden liegen derzeit bei etwa 1 Billion 700 Milliarden Euro. Den größten Anteil davon, rund 885 Milliarden, schulden wir ausländischen Gläubigern. Hinzu kommen 430 Milliarden Euro, die von deutschen Banken und Sparkassen dem Staat geborgt werden. Weitere 325 Milliarden Euro wurden von Privatpersonen im Inland dem Staat geliehen, vor allem über Versicherungen und Fonds. Das sagt die Deutsche Bundesbank, die sich jedoch darüber ausschweigt, bei wem konkret wir nun diese unvorstellbar großen Schulden haben. Datenschutz und Bankgeheimnis führen gemeinsam dazu, dass ich nicht genau erfahre, bei wem ich meine Staatsschulden in Höhe von aktuell knapp über 20 Tausend Euro habe.

Wer kann es wissen? Diese Frage führt zuerst zum zentralen Schuldenmanager Deutschlands, einer unscheinbaren, staatseigenen Gesellschaft, die auch Sie im Internet finden können, die „Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH“. In der Lurgi-Allee im Mertonviertel in Frankfurt am Main sitzen Carl Heinz Daube und Carsten Lehr und managen zusammen mit ihren Mitarbeitern täglich die Schulden Deutschlands. Sie sind es auch, die Institutionen und Menschen außerhalb Deutschlands davon überzeugen müssen, dass deutsche Staatsanleihen eine gute Möglichkeit für profitable langfristige Geldgeschäfte sind. Deswegen reist Herr Daube derzeit viel nach Peking, Macao und Hongkong. Ich würde ihm gerne dabei zuhören, wenn dort erklärt wird, dass Deutschland die Zinsen pünktlich zahlen wird und die politischen Rahmenbedingungen dafür stimmen. Allein in diesem Jahr muss Daube für Deutschland 343 Milliarden Euro an den Finanzmärkten aufnehmen, wobei der größte Teil davon verwendet wird, um unsere bestehenden Schulden zu tilgen. Nur der kleinere Teil steht im Bundeshaushalt als Nettokreditaufnahme.

Aber wer leiht uns das viele Geld? Auch die Finanzagentur hilft nicht weiter, wenn sie pauschal auf „Anleger“ verweist, die auf die Kreditwürdigkeit Deutschlands setzen. Also zurück zu Matthias Warneke, der eine Umfrage unter Banken, Versicherungen und Fonds durchgeführt hat. Nicht alle waren sonderlich auskunftsfreudig, die amerikanische Bank JP Morgan beispielsweise antwortete überhaupt nicht. So ist das Bild ein wenig unscharf, aber die groben Konturen sind dennoch zu erkennen: Von denen, die geantwortet haben, hält die Commerzbank den größten Batzen an Krediten für die Bundesrepublik Deutschland, 42 Milliarden Euro insgesamt.

War es nicht gerade diese Bank, die bereits zweimal den staatlichen „Rettungsschirm“ in Anspruch genommen hat, bei der der Staat nun eine Sperrminorität besitzt und somit Einfluss auf alle wichtigen Entscheidungen dieses zweitgrößten Kreditinstituts Deutschlands nehmen kann? Ist diese Bank nicht die erste, die im Zuge der Finanzkrise verstaatlicht worden ist? Ist somit der Staat bei sich selbst verschuldet? Wieso rettet der deutsche Staat – mit nicht vorhandenem Geld – eine Bank, bei der er die größten Schulden hat: Ist das nicht eben jene Bank, die soeben einen Jahresverlust für 2009 von 4,5 Milliarden Euro melden musste? Wo ist eigentlich der prinzipielle Unterschied zwischen solchen Transaktionen und dem Schneeballsystem des Bernard L. Madoff?

Werfen wir also einen Blick auf die größte Bank Deutschlands, die Deutsche Bank, die uns soeben erst mit einem Gewinn von fünf Milliarden für das Jahr 2009 überraschte. Sie hält – nach den Angaben des BdSt – Kredite von „nur“ 2,7 Milliarden Euro. Ist sie ebenso wenig überzeugt von der Kreditwürdigkeit Deutschlands, wie es die UBS Deutschland ist, die uns ebenfalls nur 2,2 Milliarden geliehen hat? Da nehme man sich doch ein Beispiel am Aserbaidschanischen Staatsfonds (SOFAZ), der immerhin Kredite in Höhe von 1,25 Milliarden gewährt.

Ich weiß, Zahlen sind langweilig zu lesen, dennoch seien sie hier – in der Höhe gestaffelt in Milliarden Euro – wiedergegeben, von Kreditgebern, die noch nicht genannt sind: Allianz Gruppe 24,3, Münchner Rück 20, Norwegischer Staatsfonds (NBIM) 12, WestLB 9,6, Barclays Bank 6,05, Landesbank Baden-Württemberg 5, Chilenische Staatsfonds (PRF, ESSF) 5, UBS Deutschland 2,2, Goldman Sachs 1,8, Irischer Nationalfonds (NPRF) 0,6, Union Investment Rentenfonds 0,1.

Das Bild ist, wie gesagt, nicht vollständig und ändert sich gewiss täglich, es gibt dennoch eine ungefähre Vorstellung davon, wohin die 70 Milliarden Euro Zinsen jährlich fließen. Bei allen diesen Zahlen muss man sich zudem immer klar machen, dass es letzten Endes Privatpersonen sind, die als Gläubiger dem schwer verschuldeten Deutschland ihr Geld borgen. Das führt jedoch dazu, dass jeder zweite Einkommensteuer-Euro schon längst nicht mehr in Bildung oder Straßen fließt, sondern in die Taschen weltweiter Kreditgeber, die auch schon die maßlosen Staatsausgaben Deutschlands in der Vergangenheit vorfinanziert haben. Es scheint ohnehin schon lange nicht mehr darum zu gehen, die Schulden zu tilgen, es geht anscheinend „nur“ noch darum, die Zinslasten zu bedienen.

Dass unter unseren zahlreichen Kreditgebern der Aserbaidschanische Staatsfonds (SOFAZ) ist, macht mich zusätzlich nachdenklich. Sie helfen uns, unsere Schulden zu finanzieren, wir unterstützen sie jedoch gleichzeitig mit unserer Entwicklungshilfe – ebenso wie Armenien und Georgien – bei der Entwicklung der lokalen Demokratie, bei der Dezentralisierung der Verwaltung, bei der Stärkung der zivilgesellschaftlichen Beteiligung und durch die Unterstützung kommunaler Infrastrukturprogramme bei der dringend notwendigen Verbesserung der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung. Es ist ja nicht nur Berti Vogts, den Deutschland der Kaukasus-Republik als Nationaltrainer geliefert hat, wir helfen ihnen auch finanziell. Ergibt das Sinn? Oder ist das doch das Prinzip „Rechte Tasche – Linke Tasche“? Stecken sie möglicherweise unser (nicht vorhandenes) Geld in ihre Kredite an uns, mit vermutlich guter Rendite?

Was mich außerdem beschäftigt, ist die Frage, wo eigentlich geschrieben steht, dass es Deutschland nicht genau so ergehen könnte wie Island, Ungarn, Lettland, Rumänien, Irland und nun zuletzt Griechenland? Und vielleicht bald Spanien, Italien und Portugal und Großbritannien?

Angesichts der Tatsache, dass das Staatsdefizit Griechenlands im Jahr 2009 auf stolze 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angewachsen ist, wundert es nicht, dass das Vertrauen in die griechischen Staatsanleihen gesunken ist. Die Staatsschuld Griechenlands beläuft sich auf geschätzte 300 Milliarden Euro. Die Risikoprämien auf griechische Schuldpapiere sind auf Rekordhöhe gestiegen, die Rendite der Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit erreichte mehr als 6 Prozent, und auch die Versicherungen gegen einen totalen Zahlungsausfall Griechenlands (Credit Default Swaps) wurden teurer. Auch wenn die Hoffnung auf eine Rettung Griechenlands durch die anderen Euro-Staaten die aktuelle Lage wieder etwas beruhigt hat, hat der Euro gegenüber dem Dollar erheblich verloren.

Warum sollte das Deutschland nicht auch eines Tages geschehen? Beim Internationalen Währungsfond (IWF) dürften wir nicht um Hilfe ersuchen, da wir Mitglied des Euro-Verbundes sind. Und die darum allein zuständige Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main würde gewiss ebenso nüchtern wie im Falle der anderen Länder sagen, die Hilfe in Sachen Verschuldung sei schon geleistet worden – allein durch die Mitgliedschaft im Euro-Raum. Zum Dank dafür müssten sich die Mitglieder an den Stabilitätspakt halten, der eine übermäßige Verschuldung untersage. Auch Deutschland würde die gleichen Maßnahmen ergreifen müssen wie jene, die nun Griechenland auferlegt wurden: Die Steuern drastisch erhöhen, die Reform des Pensionssystems und das Einfrieren der Gehälter im öffentlichen Dienst. Wer die vom Stabilitätspakt erlaubte Nettokreditaufnahme auf maximal 3 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung ebenso überschreite wie die erlaubten Schulden von immerhin 60 Prozent, der müsse eben radikal sparen. Der „Abschied vom Schlaraffenland“, wie ihn der Wirtschaftsredakteur der „FAZ“, Rainer Hermann, dem griechischem Stabilitätsprogramm attestierte, könnte auch Deutschland bevorstehen.

Und was ist, wenn unsere bisherigen Kreditgeber ernsthafte Zweifel an unserer Fähigkeit hegen, unsere Zinsen bedienen zu können? Den chinesischen Anlegern scheint die Lust allmählich zu vergehen, das amerikanische Haushaltsdefizit zu finanzieren. Deshalb haben sie allein im Dezember 2009 US-Staatsanleihen im Volumen von 34 Milliarden Dollar abgestoßen. Ein Rekordwert, der dafür sorgt, dass nun Japan wieder der größte Gläubiger Washingtons ist.

Als einfacher Zeitungsleser bekommt man den Eindruck, dass solche Überlegungen in Deutschland derzeit keine großen Sorgen bereiten. Bei uns wird vielmehr auf Zeit gespielt. Erst im Jahr 2013 soll die Obergrenze des Maastricher Vertrags unterschritten werden. Bis dahin jedoch werden die über die Jahre aufgehäuften Schuldenlasten von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen weiter wachsen. Nach der aktualisierten, regierungsamtlichen Prognose wird sie sich bis 2013 von den derzeitigen etwa 76,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf rund 82 Prozent erhöhen. Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Jörg Asmussen, kündigte soeben an, dass erst im Jahr 2011 mit dem Defizitabbau begonnen werden könne, noch sei die Wirtschaftsentwicklung zu „fragil“.

Fünf Minuten bevor ich diesen Text am 22. Februar 2010 nachmittags abschickte, hielt die Kamera meines Mobiltelefons diese Zahl fest:1.675.281.374.764. Das sind 1 Billion, 675 Milliarden, 281 Millionen, 374 Tausend, 764 Euro. Es wird nicht die Zahl sein, die Sie sehen, wenn Sie diesen Text gelesen haben.