Von Textlabyrinthen, endlosen Spiegelungen und der Zerrissenheit der Welt

Achim Küpper beschreibt „Reflexionen der Sinnkrise“ in den Erzählungen E.T.A. Hoffmanns

Von Katja HachenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Hachenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Poesie, die sich selbst spiegelt, und nicht Gott“ – für den Titel seiner Studie greift Achim Küpper auf eine Formulierung zurück, die sich in einem nie abgeschickten Brief Clemens Brentanos aus dem Jahr 1816 an E.T.A. Hoffmann findet, und in dem dieser sein Unbehagen ausdrückt, das ihn bei der Lektüre von Hoffmanns Fantasiestück „Die Abenteuer der Sylvester-Nacht“ überkommen habe: „Seit längerer Zeit habe ich ein gewisses Grauen vor aller Poesie, die sich selbst spiegelt, und nicht Gott“.

Küppers – inklusive Anhang – 487 Seiten starke Arbeit, aufgenommen als Heft 220 in die Reihe „Philologische Studien und Quellen“ des Berliner Erich Schmidt Verlags, wurde 2008 von der philosophischen Fakultät der Universität Lüttich als Dissertation angenommen und von der belgischen Fondation Universitaire mit einem Publikationszuschuss ausgezeichnet. Die Durchführung der Arbeit sei ohne einen vierjährigen Forschungsauftrag als Aspirant des belgischen Fonds National de la Recherche Scientifique, so Küpper in seiner Danksagung, nicht möglich gewesen.

Das fünf Seiten umfassende Inhaltsverzeichnis steckt den Horizont der Untersuchung ab: Auf „Einführung und Grundlagen“, die sich mit den theoretischen Voraussetzungen der Arbeit sowie mit den Zeitzusammenhängen beschäftigen, folgen detailgenaue Analysen von „Das Fräulein von Scuderi“ sowie der Erzählung „Doge und Dogaresse“. Anstelle einer Zusammenfassung bieten „Rückblick und Erweiterung“ am Ende der Untersuchung Nachüberlegungen und Perspektiven zugleich.

Wie der Autor im Schlusskapitel betont, stelle seine Studie an sich selbst den Anspruch, zu jenem „neuen Hoffmann-Bild“ zumindest beigetragen zu haben, das Gerhard R. Kaiser bereits 1988 in seiner E.T.A. Hoffmann-Monografie im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel der Hoffmannforschung forderte: „Verdeckter Bezugspunkt […] wäre die oft apostrophierte, doch selten einsichtig gemachte Modernität H.s. Mit deren Ausweis aber erst […] könnte ein wissenschaftlich abgesichertes neues H.-Bild entstehen, für das Safranski 1984 mit der Formel vom ‚skeptischen Phantasten’ eine vorläufig akzeptable Formulierung angeboten hat“.

Gelingt es Küpper, diesem hohen (Selbst-)Anspruch mit seinem Text Genüge zu tun? Zwiespältig waren die Gefühle der Rezensentin, als sie das Rezensionsexemplar anforderte: Zunächst die Spannung angesichts des Titels, zugleich der Vorbehalt, dass literaturwissenschaftliche, begrifflich hoch abgesicherte Untersuchungen, die sich im Kontext der „Reflexionen der Sinnkrise“ bewegen, mit Fokus auf Hoffmanns Zeit und Werk bereits vorliegen. Und dann: Die „Scuderi“ – wissenschaftlich wie didaktisch vereinnahmt von ganzen Forscher- und Lehrer-Generationen! Wo könnte es dort einen wirklich neuen Bezugspunkt geben, eine dezidiert innovative Fragestellung – und deren überzeugende Beantwortung? „Ästhetische Selbstreflexion“ – „Strategien der Verwirrung“ – „Aporien des Subjektivismus“ – „Wo beginnt die Moderne?“ – „Der durchbrochene Rahmen“ – „Romantische Ich-Dissoziation“ – bekannte, kanonisierte Titel, die das von Küpper abgesteckte Forschungsgebiet bereits durchforstet und „abgegrast“ haben, sodass den Nachwuchsgermanisten wahrlich kein üppig bewachsenes, urbar zu machendes Neuland erwartet. Die Folie jahrzehntelanger Forschungsbemühungen und ihrer Erträge, die Spur der Hoffmann’schen Selbstkommentare sowie die Kommentare seiner Zeitgenossen und nachfolgender Schriftsteller laufen in jedem gelesenen Satz, in jedem Deutungsversuch Küppers mit, haben sich als Lesarten tief in das literarische Bewusstsein und Gedächtnis eingegraben. So muss sich eine Studie wie die vorliegende mit jeder Seite neu der Frage stellen: Wo ist die Progression, wo ist der Erkenntniszuwachs?

Küpper sieht es als erklärtes Ziel seiner Arbeit zu zeigen, dass Hoffmanns Erzählungen „ganz und gar durchsetzt sind“ von Rückbezügen und Rekursen auf andere Texte oder Kunstformen. Es gehe in seiner Studie also um Verweise, Bezüge und die Selbstreflexion in Hoffmanns Texten, aufgezeigt an den beiden ausgewählten Erzählungen. Es gehe aber auch um Brüche und Irritationen im Erzählgefüge, um Widersprüche in der Geschichte, um ein grundlegendes Befremden an dem Text – wobei der „Bruch“ gerade jenen Ort bezeichne, wo „nicht Gott“ sei, sondern „eine innere Leere, die sein Verschwinden in der Welt und in der Erzählung“ hinterlassen habe. Zwischen dem „Bruch“ und den „Spiegelungen“ scheine demnach ein eigentümlicher Zusammenhang zu bestehen – es gelte mithin, sowohl auf innere Brüche im Text hinzuweisen als auch ein Netz von verborgenen Bezugnahmen und impliziten Verweisen aufzudecken. Im Zentrum der Arbeit stünden die Einzelanalysen, vorgenommen mit einem entschiedenen Bemühen ums Detail und einer größtmöglichen Nähe zum Text selbst, da nur eine äußerst detailversessene Analyse der Vielschichtigkeit der Hoffmann’schen Texte und ihrer komplizierten Bauart gerecht zu werden vermöge.

In „Einführung und Grundlagen“ entdeckt Küpper in den von ihm untersuchten Erzählungen Hoffmanns das Labyrinth als eine Erscheinung, deren verrätselte Struktur zugleich zum Textkonzept erhoben werde und dessen verdunkelte Bedeutungen geradezu programmatischen Charakter trügen. Mit dem Labyrinth sei jene mythische Beschreibungsfigur aufgerufen, die über eine ebenso weit zurückreichende wie nachhaltige Texttradition verfüge und die als narratives Grundmuster, als Erzählmodell, auch für die Komplexität der modernen Welt wie für eine grundlegende Erfahrung des Verlorenseins und der Entfremdung stehe. Hoffmanns „Textlabyrinthe“ hätten keine Mitte mehr, sie verfügten zwar über eine Art von Eingang, doch warte am Ende des Weges kein letzter Sinn, keine Offenbarung, keine Wahrheit. Das Labyrinth bleibe ohne Ausweg, der Irrgang, von Täuschungen bestimmt, führe zu keinem Ziel. Was hierbei auf dem Spiel stehe, sei auch die Blumenberg’sche „Lesbarkeit der Welt“, die durch die Unüberschaubarkeit des Textlabyrinths offenbar geradezu negiert werde. Der Kernraum des Labyrinths, das „Sinnzentrum“, das allem erst Zusammenhalt und Einheit gebe, sei in Hoffmanns Erzählungen verloren gegangen, das Ziel des „Erlösungsweges“ nicht mehr zu erreichen, nicht einmal mehr vorhanden.

Dieser gleich am Beginn der Studie stehende Negativbefund der Unlesbarkeit und Sinnleere lässt im Leser die Frage entstehen, worauf hin die textanalytischen Bemühungen Küppers nun tatsächlich zielen. Ausgehend von den Beobachtungen der Brüchigkeit und Sinndestruktion hält der Autor gleichwohl am Postulat einer (möglichen wie faktischen) „Textinterpretation“ fest und setzt voraus, sich den Texten deutend in einem „Arbeitsgang“ zu nähern und sie so für das eigene Argumentationsraster verfügbar machen zu können, bestehen für ihn textuelle Gebilde, die, traditionellem philologischem Handwerk folgend, „Spuren ermittelnd“, „aufgedeckt“ und „entschlüsselt“ werden können. Es ist sein Anspruch, Annahmen „nachzugehen“ und „erhärtende Beweise“ für die vorausgesetzten Thesen finden, sowie ein „aufzuzeigendes System freilegen“ zu können. Dieses hermeneutisch-exegetische Vokabular mit seinem Systemgedanken scheint so gar nicht zu passen zu den Texten, mit denen wir es hier zu tun haben, Texte, von denen Heine schrieb, dass sie „beunruhigend (bleiben) bis zuletzt“: „Hoffmann hat es in seinen Texten versucht: Unsagbares zu sagen, nicht mehr Darstellbares darzustellen. Immer wieder von neuem setzte er an, den permanenten schöpferischen Lebensprozess zu poetisieren. Darum blieb in seiner Prosa alles in Bewegung“ (Auhuber).

Diese Beweglichkeit, dieser Fluss, dieses Oszillieren und in Zwischenräumen sich bewegen, dieses unaufgelöst Bleiben, das jedem Versuch einer Deutung sich Widersetzende und bewusst sich Entziehende – gerade dies ist es, was die Faszination der Hoffmann’schen Texte ausmacht und ihren Reiz nie zu einem Ende kommen lässt. Dass Küpper sich nun diesen Texten gleichsam in der Funktion eines „Chef-Ermittlers“ mit dem oben angeführten detektivisch-kriminalistischen Vokabular annähert, führt nicht allein zu einer zunehmenden Leseunlust und zu einer Übersensibilisierung im Hinblick auf bestimmte, kontinuierlich sich wiederholende Begriffe; es zeigt auch eine grundlegende Inkommensurabilität von Methode und Inhalt auf: Werkzeug und Gegenstand scheinen nicht recht zueinander zu passen; der Gegenstand lässt sich nicht verfügbar machen, er entzieht sich, allen Bemühungen zum Trotz, bis zuletzt.

Doch kehren wir zurück zum Küpper’schen „Arbeitsgang“. Auf Ausführungen zum Intertextualitätsbegriff folgen Bemerkungen zur Intertextualität und Selbstreflexion bei Hoffmann sowie ein Abgrenzungsversuch von der „Romantik“. Hoffmanns „Modernität“ wird beleuchtet im Horizont der Forschung, sein „poetischer Nihilismus“ wird aufgezeigt im Urteil seiner Zeitgenossen, wobei unter anderem die bekannte Bemerkung Hegels zu den Werken Hoffmanns wie Kleists zitiert wird: „Aus dem Bereiche der Kunst aber sind die dunklen Mächte grade zu verbannen, denn in ihr ist nichts dunkel, sondern alles klar und durchsichtig, und mit jenen Übersichtigkeiten ist nichts als der Krankheit des Geistes das Wort geredet und die Poesie in das Nebulose, Eitle und Leere hinübergespielt, wovon Hoffmann und Heinrich von Kleist […] Beispiele liefern“.

Das zweite Kapitel seiner Studie widmet Küpper dem „Fräulein von Scuderi“. Die „Scuderi“ wird mit dem Begriff des „absurden Erzählens“ belegt und Rahel Varnhagen von Enses Notiz in ihrem „Buch des Andenkens“ über Hoffmanns Erzählung wird angeführt, demzufolge dieser Text seinen „Wurm von Haus aus in sich (trage): (seinen) eigenen Tod. […] Da blühen die Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüche nur so, auf einem eignen Felde, das wenigstens voller Diktion stehen sollte: die man aber ganz vermisst“. Küpper sieht im Absurden, das nicht genauer definiert wird, das zentrale Moment des Textes und liest die „Scuderi“ als einen Kriminalfall ohne letzte Lösung. Wie man das Erzählte auch zu wenden versuche, die grundlegende Brüchigkeit und Sinnlosigkeit der Geschichte lasse sich nicht beheben. Da „restlos alle Elemente im Text […] von Brüchigkeit befallen“ seien, sei es schließlich nicht mehr möglich, „so etwas wie eine ‚letzte Wahrheit’ zu ermitteln“. Der Text lasse keine einzige Sinnmöglichkeit mehr zu, da auf allen Wegen Widersprüche lägen. Wie man „den Fall“ auch „aufzulösen“ versuche, die Kriminalgeschichte in der „Scuderi“ bleibe in sich widersprüchlich – womit der gesamte Text unumgänglich in die Aporie führe, da es in ihm keinen einzigen gesicherten Ort mehr gebe, von dem aus Erkenntnis möglich sei. So viel nur sei gewiss: Der Text gebe keine Wahrheit preis, abgesehen von der, dass gerade eine Wahrheit letzten Endes nicht bestehe.

In Anbetracht dieser apodiktischen Aussage fragt sich der Leser, warum Küpper diese in ihrem Gehalt nicht einfach anerkennt, sondern sie – im Fortlauf seiner Ausführungen – gleichsam gebetsmühlenartig wiederholen und durch „Aufdeckungen“ und Überlegungen wie: „Es stellt sich sogar die Frage, ob überhaupt ein einzelner Mann ein derartiges Verbrechenspensum zu bewältigen in der Lage wäre“ verifizieren zu müssen glaubt. Sicher, eine Dissertation hat in ihrer Funktion als Qualifikationsarbeit für Absicherung zu sorgen und muss nicht in erster Linie Lesegelüste befriedigen. Dass sie aber zwangsläufig zu einem Unbehagen am Weiterlesen führen muss, bedeutet dies noch lange nicht. Das „Gesetz der Aporie“, das Küpper im Hinblick auf Hoffmanns Erzählungen formuliert, die „grundlegende Inkommensurabilität“, die er diagnostiziert, ist in früheren Forschungen hinlänglich bewiesen worden und muss nicht wieder aufgekocht – und zerkocht – werden. Sowohl das „Gesetz der Aporie“ wie die festgestellte Absurdität der Hoffmann’schen Texte stehen den Küpper’schen interpretatorischen Vorannahmen von Exegese, Hermeneutik, Sinnsuche sowie seinem bemühten „Ermittlungsgedanken“ diametral entgegen. Warum anerkennt Küpper nicht die Hoffmann’sche Verabsolutierung der Fantasiesphäre, jene Autonomsetzung des Imaginären, die intendiert zu Entgrenzungsphänomenen, Unglaubwürdigkeiten, Konfusionen – und Destruktionen führt? Dies ist es, was das untersuchte Textkorpus ausmacht. Dies: Der Schauder, die Beunruhigung und, letztlich, das sich mitnichten auflösen und dingfest machen lassen! Dies: Dass einen Wahrheitsanspruch stellen zu wollen eine völlig unangemessene und darum falsche Voraussetzung hinsichtlich dieser Texte ist!

Auch die literarischen und historiografischen Bezüge, die Küpper in den folgenden Unterkapiteln herstellt, kranken an dieser Redundanz und – fast schon – Ignoranz: Gemeinsamer Nenner ist und bleibt die Darstellung der „Doppel- und Widersinnigkeiten der Welt wie […] der Orientierungslosigkeit des Menschen“ im Werk Hoffmanns, der Ausweis der „Scuderi“ als eines „seltsame(n) Gewebe(s) von Unrichtigkeiten“. Dem Text werde, durch alle zu beobachtenden Verschiebungen und Verkehrungen, eine ins Unermessliche gehende Uneindeutigkeit, Widersprüchlichkeit und Fremdheit aufgebürdet. Diese Verkehrungen seien nun keine „Unfallprodukte“, sondern folgten einer Strategie, die in der Verkehrung des Wirklichen ihr Ziel erreiche. Im Anführen von Bibelbezügen liest Küpper die Scuderi als Madonnengestalt und Eva-Magdalena, Madelon als Heilige Jungfrau und Eva sowie Olivier Brußon als fremdartigen Messias und neuen Jesus, und versteht diverse Textstellen – auf eine nicht nachvollziehbare Weise – als eine Anspielung auf die christliche Eschatologie. Es fragt sich, auf welches „Heil“, auf welche „Erlösung“ eine Erzählung hingeordnet sein könnte, die die postulierte Destruktion von Sinn und Heil in schonungslosem Maße vorführt und inszeniert. Genauso wenig überzeugt der Deutungsversuch der Eingangsszene der Erzählung, die von Küpper angesichts der von ihm beobachteten sexuellen und religiösen Konnotationen als ein symbolisch angedeuteter Kopulationsakt gelesen wird und somit als eine „massive Bedrohung der Jungfernschaft der Madonnenfigur“: Brußons Dolch sei ein urtypisches Phallussymbol, die Jesusgestalt Brußon dringe auf der allusiven Ebene des Textes in die Reinheit der Mariengestalt Scuderi ein, worin zudem eine latent inzestuöse Situation angelegt sei, da sie bildlich auf die Kopulation zwischen Jesus und seiner Mutter abziele. Der blasphemische Charakter dieser Konstellation sei offenkundig.

Das dritte Kapitel der Studie, das sich mit der Erzählung „Doge und Dogaresse“ beschäftigt, weist die gleiche Struktur auf wie das vorangegangene Kapitel: Auf erste Lektüre und Forschungsbericht folgen die Konstatierung der Absurdität von Text und Welt, die Aufdeckung von Widersprüchen und Ambivalenzen in der Figurendarstellung, die Darstellung literarischer, historiografischer und biblischer Bezüge, die Skizzierung einer immanenten Poetologie sowie außertextlicher Verweise. Zusätzlich beschäftigt sich ein Subkapitel mit den Bildbezügen der Erzählung, in der, nach Küpper, nicht Zitate aus anderen Texten im Vordergrund stünden, sondern intermediale Verweise auf die Welt von Kunst und Malerei. Küpper versteht hierbei das Intermediale als einen Teilaspekt des im weiteren Sinne Intertextuellen, ein Intermedialitätsbegriff, der verkürzt und eindimensional erscheint. Wie für die „Scuderi“, so konstatiert der Autor auch für „Doge und Dogaresse“ eine einschneidende Krisenerfahrung. Die Unfassbarkeit einer sinnlos gewordenen Welt sei nicht mehr in eine heile, lineare Form zu bringen. Die Sprache, und das bedeute auch: das literarische Schreiben, leuchte hier nicht mehr als „ein Medium der Heilung“ auf.

Am Ende seiner Untersuchung bekräftigt Küpper noch einmal seine These, dass Hoffmanns Texte nicht mehr nach einer Einheit fragten, keine Suche mehr gestalteten, deren Scheitern bereits zu ihrer Voraussetzung gehöre. Stattdessen seien sie durchsetzt von einer schmerzlich absurden Komik, die aus dem endgültigen Glaubensverlust hervorgegangen sei. Das „Textlabyrinth“, dessen Zentrum nichts als die eigene Leere berge, sei dazu verurteilt, durch nahezu endlose Spiegelungen nur noch auf sich selbst und die Zerrissenheit der Welt zu verweisen, da ihm „ein zentraler Sinn, auf den es einstmals hinzuführen versprach“, abhanden gekommen sei. Hoffmanns Werk erscheine als ein wesenloses Bild ohne Zentrum und erweise sich als früher Ausdruck einer existentiellen Sinnkrise, die später zum Inbegriff und Wesensmerkmal der modernen Welterfahrung geworden sei und die „bis heute aus der Geschichte des Menschen nicht mehr auszuräumen war“.

„Am Ende kehrt zurück, was an allem Anfang stand“ – diese im Schlussteil sich findende, orakelhaft anmutende Aussage Küppers lässt sich als Allegorie lesen im Hinblick auf Konzeption und Aufbau seiner Studie: Die Vorannahmen sehen sich bekräftigt und bestätigt, der „Arbeitsgang“ hat zum gewünschten Ergebnis geführt und den angestrebten „Beweis“ einer „Modernität“ Hoffmanns erbracht: quod erat demonstrandum. Der Kreis schließt sich. Nach mehreren hundert Seiten, in denen Küpper sein Vorgehen permanent neu legitimiert, in denen Retardierungen und Füllwörter (wie: „elementar“, „fundamental“, „radikal“, „flagrant“, „mit Verlaub“) die Lesergeduld oftmals ebenso arg strapazieren wie Inversionen wie: „die einzig und allein dem Gesetz der Aporie noch folgen“, in denen Hoffmanns Texte funktionalisiert und in Dienst genommen scheinen für die Tragfähigkeit der eigenen Beweisführung, tut sich die eingangs gestellte Frage nach Progression und Erkenntnisfortschritt erneut auf. Selbst eingedenk des Respekts, der selbstredend der großen, im Rahmen einer Dissertation zu leistenden Fleißarbeit geschuldet ist, kann die Frage nicht positiv beantwortet werden. Das unaufhörliche Gleiten der Hoffmann’schen Texte, ihre Diffusität und ihr Geheimnisvolles, scheinen gewaltsam festgemacht worden zu sein im Willkürakt der Interpretation. Der „entsetzliche[] Angstschrei in zwanzig Bänden“ (Heine über Hoffmanns Werk) verhallt ungehört, die Abgründigkeit der fiktionalen Ich-Konzeption, die Komplexität des Geschriebenen, wird, im Versuch der Dingfestmachung, verstümmelt. Die Zusammenhänge literarästhetischer Modernität und fiktionaler Subjektivität – welche Schichten und Brüche moderner Subjektivität werden freigelegt, welche Krisensymptome des neuzeitlichen Ichs werden gezeigt, welche Wahrnehmungssignaturen kennzeichnen diese Kategorie? – werden nicht wirklich einsichtig gemacht, genauso wenig wie der Begriff des „Sinns“, der – als „Sinnkrise“ – der Studie ihren Titel gibt.

Was man sich gewünscht hätte? Eine Dissertation, die ihr Potential nutzt, wirklich innovativ ist, quer denkt, den Mainstream aufsprengt. Und: Nur einen Hauch der imaginativen und ästhetischen Kraft des zergliederten, philologisch stumm gemachten Werks eines faszinierenden Autors.

Titelbild

Achim Küpper: "Poesie, die sich selbst spiegelt, und nicht Gott". Reflexionen der Sinnkrise in Erzählungen E.T.A. Hoffmanns.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2009.
485 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783503098903

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