Musik verbindet – nicht

Kontrastreich und spannend erzählt: „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“ von Stefan Moster

Von Dorothee ReinhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothee Reinhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die DDR gibt es nicht mehr, wie jedes Kind weiß. In Tücher gewickelt, ein paar Mottenkugeln hinzugegeben und ab in den Keller gebracht. Jetzt ist Westen, Freiheit und Gegenwart – Das ist natürlich Blödsinn: „Die Firma lebt“, so beginnt auch Stefan Mosters Debütroman „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“. Es könnte auch heißen: Die Vergangenheit lebt in den Menschen fort und bedingt ihr gegenwärtiges Handeln und Erleben, auch wenn sie sich auf einem Kreuzfahrtschiff befinden. Der Luxusliner als Inbegriff der westlichen Spaßgesellschaft und des äußeren Anscheins ist in diesem Roman der Schauplatz für eine Geschichte voller Menschlichkeit, Abgründen, Vertrauen und Verrat. Die Erfahrung der DDR-Diktatur, so sagte Moster einmal selbst, erweitert das deutsche Leben um einen schwerwiegenden Aspekt. Und so sei sie auch Teil seines Romans geworden.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Almut und ihr Sohn Sebastian. Vor einiger Zeit waren sie im Streit auseinander gegangen. Nun befinden sich beide auf einem Kreuzfahrtschiff nach Patagonien: Auf demselben Schiff – ohne voneinander zu wissen. Es ist leicht, sich auf einem so großen, weitverzweigten Organismus zu verpassen. Zumal Almut Bordpsychologin ist, sich also im oberen Bereich bei den Gästen aufhält, und Sebastian als Barpianist arbeitet, der mit den „gewöhnlichen“ Angestellten im Bauch des Luxusliners wohnen muss. Bevor die Frage entschieden wird, ob sich die beiden doch noch begegnen, erlebt jeder die Kreuzfahrt auf seine Weise. Almut schlägt sich mit ihrem Chef Bernd Gaus herum. Ein ehemaliger Stasi-Spitzel, der sie überrumpelt, weil in ihrem Zimmer ein Flügel steht, auf dem er spielen möchte. Außerdem braucht er Publikum: Eine Rolle, die Almut nur ungern übernimmt, aber ihm nicht verweigern kann. Gaus ist ihr auch deshalb besonders zuwider, da sie die DDR-Diktatur selbst erlebt hatte. Sebastian dagegen beschäftigt sich nicht mit der Vergangenheit. Sie drängt sich ihm zunächst auch gar nicht auf. Seine Abenteuer bestehen darin, sich in eine Kollegin zu verlieben und in einer Hilfsaktion für vier afrikanische Flüchtlinge. Als er zufällig das Geheimnis seiner Kollegen entdeckt, die die blinden Passagiere verstecken, wird er eingeweiht und beteiligt sich an der Hilfe. Seine Zeit, sich zu bewähren und erwachsen zu werden, beginnt. Am Ende muss er sich beweisen, wenn die alten DDR-Methoden auch ihn zu brechen versuchen.

Eine Geschichte, die spannend und vor allem interessant erzählt wird. Sowohl Almut als auch Sebastian fungieren als Erzähler. Abwechselnd gewinnt der Leser Einsichten in die jeweilige Gedankenwelt. Die Erzählart erinnert stark an den Inneren Monolog – wobei der Monolog der Mutter dem des Sohnes gegenübergestellt wird. Almuts Monolog ist rückwärtsgewandt, sie gebraucht häufig die Vergangenheit und es gibt Andeutungen, dass ihre Gedanken aufgeschrieben wurden, vielleicht in einer Art Logbuch. Sebastians Monolog ist dagegen sehr gegenwärtig, schneller, frecher. Er kritisiert die hierarchischen Zustände auf dem Schiff: „Die Schwarzen sind ganz unten und machen die miesesten Arbeiten“, und macht sich über die spießigen deutschen Passagiere lustig. Seine Erzählsituation wird nicht aufgeklärt. Dadurch bleibt sie fast völlig unmittelbar. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil sich so Mutter und Sohn nicht nur physisch innerhalb der Geschichte verpassen, sondern auch sprachlich.

Wenn zwei die Musik lieben, so würde man annehmen, gibt es immer eine Ebene, die die Hindernisse zwischen ihnen überwinden kann. Bei den beiden Protagonisten vollzog sich dieser Bruch in ihrer Mutter-Sohn-Beziehung aber gerade während sie Musik machten. Den Ausschlag dazu gab Sebastian. Almut und er spielten gerade vierhändig Klavier, als er im Streit ging und auszog. Auf dem Schiff möchte Gaus mit Almut vierhändig spielen, aber das wiederum ist ihr zu eng und sie windet sich, weil sie nicht weiß, wie sie sich gegen ihn wehren soll. Die Musik überwindet hier keine Grenzen, sie schafft sie. Für jeden einzelnen bedeutet sie viel, jeder ist ganz bei sich, wenn er Musik macht, aber – und das sagt ja der Titel – das vierhändige Spiel, der intime Dialog innerhalb der Musik, ist unmöglich. Einen Grund dafür gibt es immer. Almut verabscheut Gaus, weil er für sie die DDR, „Mielkes Firma“, repräsentiert. Die gemeinsame Liebe zur Musik kann diese Kluft nicht überwinden. Ihren Sohn liebt sie sehr, mit ihm würde sie um alles in der Welt die Musik teilen. Doch weil sie ihn nicht loslassen kann, ist es Sebastian, der sich gegen die Intimität des vierhändigen Spiels wehrt. Er braucht den Abstand, um erwachsen werden zu können.

Mosters Roman über Musik, DDR, Vertrauen und Verrat, Nähe und Einsamkeit ist ein gelungenes, gut geschriebenes Stück Literatur, das die deutsche DDR-Vergangenheit gekonnt in die menschlichen Schicksale verwebt. Was oberflächlich betrachtet wie eine spannende Geschichte aussieht – treffen sie sich oder nicht? – entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein intelligenter, sehr kontrastreich aufgebauter Roman mit viel Tiefgang.

Titelbild

Stefan Moster: Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels. Roman.
Mare Verlag, Hamburg 2009.
448 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783866481114

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch